Mittwoch, 13. November 2013


An hart-aber-fair@wdr.de von Reinhart.Vowinckel@web.de 12.11.13

Sehr geehrte Damen und Herren vom TV-Moderationsteam Hart aber fair!
Mit Freude habe ich gestern Abend nach Ihrer Talkrunde vernommen, in der nächsten Runde soll es um das Thema Direkte Demokratie – Volksentscheide gehen. Dabei wird sicherlich der Stuttgarter Protest gegen den immer noch in Planung befindlichen Tiefbahnhof eine nicht unerhebliche Rolle spielen. Deswegen erlaube ich mir, Ihnen einige aktuelle Hinweise zum Thema zu geben. Bei dazu eventuell entstehenden Fragen können Sie auf entsprechende Links zurückgreifen.
  1. Winfried Kretschmann rühmt sich, „dass es uns gelungen ist, mit der Volksabstimmung einen historischen ersten Schritt in eine echte Bürgergesellschaft gemacht zu haben.“ (Offener Brief zu Stuttgart 21 vom 06.02.2012). Dass ist jedoch so nicht zutreffend. Den ersten Schritt in die schwäbische „Bürgergesellschaft“, was auch immer das ist,  hat, wenn wir mal vom Protest gegen das KKW im badischen Wyhl absehen, allenfalls unsere Stuttgarter Protestbewegung getan und nicht die Landesregierung mit der Volksabstimmung (VA). Die Volksabstimmung diente vielmehr objektiv dem gegenteiligen Ziel, nämlich den mit dem Stuttgarter Protest vorangetriebenen  historischen Prozess in Richtung mehr direkter Demokratie abzuwehren und umzukehren: Allein der Landtag sollte entscheiden (s. dazu mehr auf meiner Website (http://vowinckel.blogspot.de), Statement Nr. 11).
  2. Der zweite Schritt in der Rückwärtsbewegung war die betrügerische Behauptung Kretschmanns nach der VA, durch den Ausgang der VA sei a) das Land nach „Recht und Gesetz“ und b) jedermann nach den Grundsätzen der Demokratie verpflichtet, den Tiefbahnhof zu bauen bzw. nicht mehr zu bekämpfen. Entsprechend der Verfassung des Landes wurde jedoch zum einen durch die VA keinerlei neues Recht geschaffen, also auch keineswegs das Projekt legitimiert, da die dazu erforderlichen Mehrheiten nicht erreicht wurden. (Das hat Kretschmann nach einem Jahr in einem Offenen Brief an Walter Sittler sogar zugeben müssen.)
Außerdem kann nach dem Grundgesetz auch keine Mehrheit von irgendwem das individuelle Grundrecht der Freiheit der Meinung und ihrer Bekundung außer Kraft setzen. Kretschmann ging also noch hinter das geltende Recht zurück und  verleugnete damit die baden-württembergische Verfassung und auch das Grundgesetz,  und die Stuttgarter Staatsanwaltschaft folgte ihm in der Verfolgung von symbolischen Demonstrationshandlungen dabei (s. Website, Zur Lage und Taktik 6 vom 03.03.2013). Das baden-württembergische Volksabstimmungsrecht gilt ohnehin schon als Schlusslicht in der Bundesrepublik. Aber Kretschmann schaffte es, sogar dieses noch zurückzudrehen und aus einem Nein (zur Kündigung des Finanzierungsvertrags) ein Ja (zum gesamten Projekt) zu drechseln.
  1. Ein Zweck der VA war, wie die Fraktionsvorsitzende der Grünen seinerzeit  befriedigt feststellte, die „Befriedung“ des Konflikts um den Bahnhof gewesen. Der lästige Protest, das heißt die freie Meinungsäußerung, sollte von der Straße geholt werden. Das war Koalitionsbedingung der SPD gewesen, deren Vorsitzender Schmid ja auch sehr stolz auf „seine“  Erfindung der VA war, also nicht etwa Bedingung der Grünen, obwohl die vor den Landtagswahlen im Jahr 2011 noch selbst auf Plakaten eine Volksabstimmung zu S21 gefordert hatte. (http://www.sueddeutsche.de/politik/2.220/streit-zwischen-gruenen-und-spd-um-stuttgart-kalkulierte-wut-im-schwaebischen-koalitionsdramolett-1.1616529)
Ein anderer mit der VA vor allem von Seiten der SPD verfolgter Zweck war, mit dem in ihr angesprochenen Finanzierungsvertrag das Projekt auch rechtlich aus der Schusslinie zu holen  (s. a. O. Zur Lage und Taktik Nr. 10        30.06.2013), denn die SPD-Führung will S21, im Unterschied zu großen Teilen der Basis. Dieser obskure, rechtlich kaum belastbare Vertrag ist unverkennbar darauf angelegt, die Öffentlichkeit über die zu erwartenden Projektgesamtkosten hinweg zu täuschen, und enthält praktisch die Ausstellung eines Blankoschecks an die Deutsche Bahn-AG. 
Ministerpräsident Oettinger hätte den Finanzierungsvertrag im Jahr 2009  jedoch ohne die Unterstützung und Mitverantwortung der SPD-Führung, deren Vertreter heute mehr als die Hälfte Regierung bilden, nicht durch den Landtag gebracht. Aus inzwischen bekannt gewordenen regierungsinternen Papieren geht hervor, dass selbst die Bürokratie Oettingers die wahren Kosten für in der Öffentlichkeit „nicht kommunizierbar“, also unvertretbar  hielt. U. a. deswegen war die parlamentarische Legitimation des Projekts ja auch von Projektkritikern in Frage gestellt worden. Die sollte nun durch die VA nachgeliefert werden. So erklärte denn auch der aus unbekannten Gründen  inzwischen abgelöste Oberstaatsanwalt Häußler gegenüber den Stuttgarter Nachrichten vom 18.12.2012: „Das Volk hat entschieden, das Projekt war legitimiert.“ (Auch er hat m. W. einmal einen Eid darauf abgelegt,  Recht und Gesetz  zu achten und zu schützen.)
  1. Der Protest gegen S21 wird in der Öffentlichkeit zurzeit repräsentiert zum einen durch das „Aktionsbündnis“ (AB) gegen S21. (Mitglieder des AB sind Vertreter von: BUND; Die Grünen; SPD-Mitglieder gegen S21.; Die Linke; Leben in Stuttgart (Gangolf Stocker); Pro Bahn; VCD (Verkehrsclub); Stiftung Architektur-Forum; „Stuttgart Ökologisch Sozial“; „Aktive Parkschützer“ (APS); GewerkschafterInnen gegen S21; ArchitektInnen für K21; Schutzgemeinschaft Filder. Sprecher ist der Rechtsanwalt Eisenhart von Loeper.) In ihm spielen die Grünen und Sympathisanten eine erhebliche Rolle. Zum anderen gibt es als Repräsentanten den „Pressesprecher der Parkschützer“ Matthias von Herrmann, der allerdings mehr oder weniger in eigenem Namen, also nicht unbedingt des „Parkschützerrates“ (PSR )  spricht. Im PSR sind parteipolitisch in keiner Weise gebundene oder orientierte Gruppen wie Stadtteilgruppen und Funktionsgruppen des Protestes vertreten.
Zur Zeit gibt es eine Auseinandersetzung um die Frage, ob Störungen von öffentlichen Reden Kretschmanns wie am 03.10., dem „Tag der Deutschen Einheit“, also durch Aktionen eines „zivilen Ungehorsams“ durch Gruppen des Protestes  dem Ansehen der Bewegung schaden oder nicht. Das „Aktionsbündnis“ (AB) ist dieser Auffassung und droht mit öffentlicher Distanzierung von solchen Proetesten, was bislang im Protest verpönt war. Meiner Wahrnehmung nach fühlt sich jedoch die Mehrheit derer, die heute noch aktiv sind, zumindest in diesem Punkt vom AB nicht vertreten. Sie sagen, der Stuttgarter Protest ist in der öffentlichen Wahrnehmung weitgehend „in der Versenkung verschwunden“. Ohne seine auffällige körperliche Präsenz würde er gar nicht mehr wahrgenommen. Ich will hier aus einer Rundmail vom heutigen Tage im Verteiler des „Parkschützerrates“: (parkschuetzerrat@unser-park.de) zitieren: „Ich frag mich immer wieder wo diese damaligen Aktionen oder Aktivisten hin sind, wo sind diese Zeiten hin, als man bis mitten in der Nacht Kreuzungen blockiert hat, als sich ein AB NICHT VON SOLCHEN DINGEN DISTANZIERT HAT???
Dieser Konflikt ist m. E. für die „Bewegung“ von strategischer Bedeutung. Es geht um die Abhängigkeit oder Unabhängigkeit von Parteien. Es sind die im AB stärker als im PSR vertretenen „grünen“ politischen Interessen, denen z. B. die Verunglimpfung von Kretschmann mit „Lügenpack, Lügenpack“- Chören  verständlicher Weise zuwider läuft. Das AB setzt also, wenn man so will,  nur die Politik der Landesregierung fort, die mit der Volksabstimmung begann: runter von der Straße. Nur so vermag ich mir auch zu erklären, dass von den Repräsentanten nie der Betrug der Landesregierung thematisiert wurde, z. B. in Presseerklärungen, und die Öffentlichkeit so nie von ihm erfahren hat. Das könnte auch der Partei der Grünen schaden. Der von der Landesregierung und nicht etwa vom Landtag zur Befriedung des Protestes verkündete „Kostendeckel“  bei 4,5 Mrd. Euro steht in klarem Widerspruch zum Finanzierungsvertrag, der trotz „Deckel“  munter umgesetzt wird.             M. f. G.  R. V.  

 
     Sehr geehrte GestalterInnen im Moderationsteam Hart aber fair,

     Reinhart Vohwinkel hat auch mir fairerweise sein Schreiben an Sie zur Kenntnis gegeben und mich darin erwähnt. Ich möchte das nur kurz um zwei aktuelle Aspekte ergänzen und auch berichtigen:

    1. In Stuttgart laufen derzeit zwei neue Bürgerbegehren siehe www.storno21.de und www.leistungsrueckbau-s21.de
     Das Storno21-Begehren ist wesentlich auch eine Aufarbeitung jener Volksabstimmung vom November 2011, die geradezu ein Volksbetrug in Milliardenhöhe war, den die Bahn sogar am 12.12.2012 als Teil-Geständnis und Grube neuerdings am 25.10.13 indirekt eingestanden haben. Daraus leiten wir ein gesetzliches Kündigungsrecht ab, das nächstes Jahr im Eilverfahren - gegen das erwartete Nein des Gemeinderats - durchgesetzt werden soll, wie ich dies vor drei Jahren auch anhand eines überflüssigen Prestigeprojekts in Nagold (nördl. Schwarzwald) mit einer Bürgerinitiative erst gerichtlich und dann  im Bürgerentscheid vom Dez. 2011 durchsetzen konnte.. Reinhart Vohwinkel ist beizupflichten, dass die Volksabstimmung vom Nov. 2011 nur koalitionspolitisch der "Befriedung" zwischen den wegen S 21 zerstrittenen Koalitionsparteien Grüne und SPD galt und auch deshalb nur - fälschlich - "der Käs gegessen" (MP Kretschmann) sein soll.

    2. Unterschiedliche Strömungen und Spannungen in einer Bewegung sind normal, allerdings im letzten Absatz seines Schreibens von Reinhart Vohwinkel überzogen und nicht wirklich treffend wiedergegeben, soweit es das Aktionsbündnis betrifft. Wir haben uns intern eindringlich dagegen gewendet , anlässlich des Tags der deutschen Einheit massiv zu stören (in meiner PM zu diesem Anlass hatte ich die fehlende "innere Einheit" wegen der bahnseitigen Vernachlässigung der Infrastruktur und der ärmeren Bundesländer angemahnt). Das erscheint uns legitim, zumal wir über das Sichtbarmachen des Protests bei Vermeidung echter Störungen intensive Gespräche geführt hatten. Ich will es aber nicht hier vertiefen, weil es mit der Frage der Volksentscheide nichts zu tun hat. Übrigens zum Ausgangspunkt des Themas: Die Bewegung erfährt trotz des wahnsinnigen Faktenschaffens der Deutschen Bahn AG gerade mit den  gut begründeten neuen Bürgerbegehren (Nr. 3 und 4, das zweite  "schwebt" noch bei Gericht) ihre Stärke und Dynamik, die sich auch in den laufenden Montagsdemos zeigt, deren 200. wir am 2.12.2013 entgegensehen.

    Freundliche Grüße

    (Dr.iur).Eisenhart von Loeper
    Sprecher im Aktionsbündnis

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