An
hart-aber-fair@wdr.de von
Reinhart.Vowinckel@web.de 12.11.13
Sehr geehrte Damen und
Herren vom TV-Moderationsteam Hart aber fair!
Mit Freude habe ich
gestern Abend nach Ihrer Talkrunde vernommen, in der nächsten Runde soll es um
das Thema Direkte Demokratie – Volksentscheide gehen. Dabei wird sicherlich der
Stuttgarter Protest gegen den immer noch in Planung befindlichen Tiefbahnhof
eine nicht unerhebliche Rolle spielen. Deswegen erlaube ich mir, Ihnen einige
aktuelle Hinweise zum Thema zu geben. Bei dazu eventuell entstehenden Fragen
können Sie auf entsprechende Links zurückgreifen.
- Winfried Kretschmann rühmt sich, „dass es uns gelungen ist, mit der Volksabstimmung einen historischen ersten Schritt in eine echte Bürgergesellschaft gemacht zu haben.“ (Offener Brief zu Stuttgart 21 vom 06.02.2012). Dass ist jedoch so nicht zutreffend. Den ersten Schritt in die schwäbische „Bürgergesellschaft“, was auch immer das ist, hat, wenn wir mal vom Protest gegen das KKW im badischen Wyhl absehen, allenfalls unsere Stuttgarter Protestbewegung getan und nicht die Landesregierung mit der Volksabstimmung (VA). Die Volksabstimmung diente vielmehr objektiv dem gegenteiligen Ziel, nämlich den mit dem Stuttgarter Protest vorangetriebenen historischen Prozess in Richtung mehr direkter Demokratie abzuwehren und umzukehren: Allein der Landtag sollte entscheiden (s. dazu mehr auf meiner Website (http://vowinckel.blogspot.de), Statement Nr. 11).
- Der zweite Schritt in der Rückwärtsbewegung war die betrügerische Behauptung Kretschmanns nach der VA, durch den Ausgang der VA sei a) das Land nach „Recht und Gesetz“ und b) jedermann nach den Grundsätzen der Demokratie verpflichtet, den Tiefbahnhof zu bauen bzw. nicht mehr zu bekämpfen. Entsprechend der Verfassung des Landes wurde jedoch zum einen durch die VA keinerlei neues Recht geschaffen, also auch keineswegs das Projekt legitimiert, da die dazu erforderlichen Mehrheiten nicht erreicht wurden. (Das hat Kretschmann nach einem Jahr in einem Offenen Brief an Walter Sittler sogar zugeben müssen.)
Außerdem kann nach dem
Grundgesetz auch keine Mehrheit von irgendwem das individuelle Grundrecht der
Freiheit der Meinung und ihrer Bekundung außer Kraft setzen. Kretschmann ging
also noch hinter das geltende Recht zurück und verleugnete damit die
baden-württembergische Verfassung und auch das Grundgesetz, und die
Stuttgarter Staatsanwaltschaft folgte ihm in der Verfolgung von symbolischen
Demonstrationshandlungen dabei (s. Website, Zur Lage und Taktik 6 vom
03.03.2013). Das baden-württembergische Volksabstimmungsrecht gilt ohnehin
schon als Schlusslicht in der Bundesrepublik. Aber Kretschmann schaffte es,
sogar dieses noch zurückzudrehen und aus einem Nein (zur Kündigung des
Finanzierungsvertrags) ein Ja (zum gesamten Projekt) zu drechseln.
- Ein Zweck der VA war, wie die Fraktionsvorsitzende der Grünen seinerzeit befriedigt feststellte, die „Befriedung“ des Konflikts um den Bahnhof gewesen. Der lästige Protest, das heißt die freie Meinungsäußerung, sollte von der Straße geholt werden. Das war Koalitionsbedingung der SPD gewesen, deren Vorsitzender Schmid ja auch sehr stolz auf „seine“ Erfindung der VA war, also nicht etwa Bedingung der Grünen, obwohl die vor den Landtagswahlen im Jahr 2011 noch selbst auf Plakaten eine Volksabstimmung zu S21 gefordert hatte. (http://www.sueddeutsche.de/politik/2.220/streit-zwischen-gruenen-und-spd-um-stuttgart-kalkulierte-wut-im-schwaebischen-koalitionsdramolett-1.1616529)
Ein anderer mit der VA vor
allem von Seiten der SPD verfolgter Zweck war, mit dem in ihr angesprochenen
Finanzierungsvertrag das Projekt auch rechtlich aus der Schusslinie zu holen
(s. a. O. Zur Lage und Taktik Nr.
10 30.06.2013), denn die SPD-Führung
will S21, im Unterschied zu großen Teilen der Basis. Dieser obskure, rechtlich
kaum belastbare Vertrag ist unverkennbar darauf angelegt, die Öffentlichkeit
über die zu erwartenden Projektgesamtkosten hinweg zu täuschen, und enthält
praktisch die Ausstellung eines
Blankoschecks an die Deutsche Bahn-AG.
Ministerpräsident
Oettinger hätte den Finanzierungsvertrag im Jahr 2009 jedoch ohne die
Unterstützung und Mitverantwortung der SPD-Führung, deren Vertreter heute mehr
als die Hälfte Regierung bilden, nicht durch den Landtag gebracht. Aus
inzwischen bekannt gewordenen regierungsinternen Papieren geht hervor, dass
selbst die Bürokratie Oettingers die wahren Kosten für in der Öffentlichkeit „nicht kommunizierbar“, also
unvertretbar hielt. U. a. deswegen war die parlamentarische Legitimation
des Projekts ja auch von Projektkritikern in Frage gestellt worden. Die sollte
nun durch die VA nachgeliefert werden. So erklärte denn auch der aus
unbekannten Gründen inzwischen abgelöste Oberstaatsanwalt Häußler
gegenüber den Stuttgarter Nachrichten vom 18.12.2012: „Das Volk hat entschieden, das Projekt war
legitimiert.“ (Auch er hat m. W. einmal einen Eid darauf abgelegt,
Recht und Gesetz zu achten und zu schützen.)
- Der Protest gegen S21 wird in der Öffentlichkeit zurzeit repräsentiert zum einen durch das „Aktionsbündnis“ (AB) gegen S21. (Mitglieder des AB sind Vertreter von: BUND; Die Grünen; SPD-Mitglieder gegen S21.; Die Linke; Leben in Stuttgart (Gangolf Stocker); Pro Bahn; VCD (Verkehrsclub); Stiftung Architektur-Forum; „Stuttgart Ökologisch Sozial“; „Aktive Parkschützer“ (APS); GewerkschafterInnen gegen S21; ArchitektInnen für K21; Schutzgemeinschaft Filder. Sprecher ist der Rechtsanwalt Eisenhart von Loeper.) In ihm spielen die Grünen und Sympathisanten eine erhebliche Rolle. Zum anderen gibt es als Repräsentanten den „Pressesprecher der Parkschützer“ Matthias von Herrmann, der allerdings mehr oder weniger in eigenem Namen, also nicht unbedingt des „Parkschützerrates“ (PSR ) spricht. Im PSR sind parteipolitisch in keiner Weise gebundene oder orientierte Gruppen wie Stadtteilgruppen und Funktionsgruppen des Protestes vertreten.
Zur Zeit gibt es eine
Auseinandersetzung um die Frage, ob Störungen von öffentlichen Reden
Kretschmanns wie am 03.10., dem „Tag der Deutschen Einheit“, also durch
Aktionen eines „zivilen Ungehorsams“ durch Gruppen des Protestes dem
Ansehen der Bewegung schaden oder nicht. Das „Aktionsbündnis“ (AB) ist dieser
Auffassung und droht mit öffentlicher Distanzierung von solchen Proetesten, was
bislang im Protest verpönt war. Meiner Wahrnehmung nach fühlt sich jedoch die
Mehrheit derer, die heute noch aktiv sind, zumindest in diesem Punkt vom AB
nicht vertreten. Sie sagen, der Stuttgarter Protest ist in der öffentlichen
Wahrnehmung weitgehend „in der Versenkung
verschwunden“. Ohne seine auffällige körperliche Präsenz würde er
gar nicht mehr wahrgenommen. Ich will hier aus einer Rundmail vom heutigen Tage
im Verteiler des „Parkschützerrates“: (parkschuetzerrat@unser-park.de)
zitieren: „Ich frag mich immer wieder wo
diese damaligen Aktionen oder Aktivisten hin sind, wo sind diese Zeiten hin,
als man bis mitten in der Nacht Kreuzungen blockiert hat, als sich ein AB NICHT
VON SOLCHEN DINGEN DISTANZIERT HAT???
Dieser Konflikt ist m. E.
für die „Bewegung“ von strategischer Bedeutung. Es geht um die Abhängigkeit
oder Unabhängigkeit von Parteien. Es sind die im AB stärker als im PSR
vertretenen „grünen“ politischen Interessen, denen z. B. die Verunglimpfung von
Kretschmann mit „Lügenpack, Lügenpack“- Chören verständlicher Weise
zuwider läuft. Das AB setzt also, wenn man so will, nur die Politik der
Landesregierung fort, die mit der Volksabstimmung begann: runter von der
Straße. Nur so vermag ich mir auch zu erklären, dass von den Repräsentanten nie
der Betrug der Landesregierung thematisiert wurde, z. B. in Presseerklärungen,
und die Öffentlichkeit so nie von ihm erfahren hat. Das könnte auch der Partei
der Grünen schaden. Der von der Landesregierung und nicht etwa vom Landtag zur Befriedung des Protestes verkündete
„Kostendeckel“ bei 4,5 Mrd. Euro steht in klarem Widerspruch zum
Finanzierungsvertrag, der trotz „Deckel“ munter umgesetzt wird.
M. f.
G. R. V.
Sehr geehrte GestalterInnen im
Moderationsteam Hart aber fair,
Reinhart Vohwinkel hat auch mir
fairerweise sein Schreiben an Sie zur Kenntnis gegeben und mich darin
erwähnt. Ich möchte das nur kurz um zwei aktuelle Aspekte ergänzen
und auch berichtigen:
1. In Stuttgart laufen derzeit zwei neue
Bürgerbegehren siehe www.storno21.de und www.leistungsrueckbau-s21.de
Das Storno21-Begehren ist
wesentlich auch eine Aufarbeitung jener Volksabstimmung vom November 2011, die
geradezu ein Volksbetrug in Milliardenhöhe war, den die Bahn sogar am
12.12.2012 als Teil-Geständnis und Grube neuerdings am 25.10.13 indirekt
eingestanden haben. Daraus leiten wir ein gesetzliches Kündigungsrecht ab, das
nächstes Jahr im Eilverfahren - gegen das erwartete Nein des Gemeinderats -
durchgesetzt werden soll, wie ich dies vor drei Jahren auch anhand eines
überflüssigen Prestigeprojekts in Nagold (nördl. Schwarzwald) mit einer
Bürgerinitiative erst gerichtlich und dann im Bürgerentscheid vom Dez.
2011 durchsetzen konnte.. Reinhart Vohwinkel ist beizupflichten, dass die
Volksabstimmung vom Nov. 2011 nur koalitionspolitisch der
"Befriedung" zwischen den wegen S 21 zerstrittenen Koalitionsparteien
Grüne und SPD galt und auch deshalb nur - fälschlich - "der Käs gegessen"
(MP Kretschmann) sein soll.
2. Unterschiedliche Strömungen und
Spannungen in einer Bewegung sind normal, allerdings im letzten Absatz seines
Schreibens von Reinhart Vohwinkel überzogen und nicht wirklich treffend
wiedergegeben, soweit es das Aktionsbündnis betrifft. Wir haben uns intern
eindringlich dagegen gewendet , anlässlich des Tags der deutschen Einheit
massiv zu stören (in meiner PM zu diesem Anlass hatte ich die fehlende
"innere Einheit" wegen der bahnseitigen Vernachlässigung der
Infrastruktur und der ärmeren Bundesländer angemahnt). Das erscheint uns
legitim, zumal wir über das Sichtbarmachen des Protests bei Vermeidung echter
Störungen intensive Gespräche geführt hatten. Ich will es aber nicht hier
vertiefen, weil es mit der Frage der Volksentscheide nichts zu tun hat.
Übrigens zum Ausgangspunkt des Themas: Die Bewegung erfährt trotz des
wahnsinnigen Faktenschaffens der Deutschen Bahn AG gerade mit den gut
begründeten neuen Bürgerbegehren (Nr. 3 und 4, das zweite
"schwebt" noch bei Gericht) ihre Stärke und Dynamik, die sich
auch in den laufenden Montagsdemos zeigt, deren 200. wir am 2.12.2013
entgegensehen.
Freundliche Grüße
(Dr.iur).Eisenhart von Loeper
Sprecher im Aktionsbündnis
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