Donnerstag, 24. Januar 2013

Der Laie kommt aus dem Staunen nicht heraus

„Der Laie kommt aus dem Staunen nicht heraus: Die DB Regio ist Auftragnehmer der Region, und doch macht sie mit dem Verband fast, was sie will.“ , schreibt Thomas Faltin zu recht empört Aber das ist ja nicht zufällig so, sondern von den früheren Regierungen und ihren Abgeordneten so gewollt. Und so etwas ist gerade im Verhältnis zur Bahn keine Ausnahme. In das gleiche Staunen gerät man als Laie, wenn man den Finanzierungsvertrag zu Stuttgart 21 zwischen dem Land und der Deutschen Bahn AG ein wenig unter die Lupe nimmt, und das kann bis zu einem gewissen Punkt auch ein Laie. Der Finanzierungsvertrag ist ein raffinierter Knebelvertrag. In seiner Struktur ähnelt er übrigens einem Sado-Maso-Spielchen. Die Bahn gibt die Domina, die Rommel, Schuster , Teufel, Oettinger und Co geben die wechselnde Kundschaft. Der Vertrag zielt auf den Kontrollverlust, den Verlust der Souveränität des Landes und der Stadt auf Jahre, wenn nicht Jahrzehnte, einerseits über den Bahnknoten und die Hauptstadt und andererseits über einen erheblichen Teil ihrer finanziellen Mittel. Das Ergebnis ähnelt dem Verlust der Kontrolle über den Schließmuskel, der zur Zeit noch durch den Kostendeckel ersetzt wird. In dem Vertrag geht es nur darum, wer wann was zahlt - oder auch nicht. Das Projekt steht allein unter der Regie der Bahn. Für sie muss es betriebswirtschaftlich rentabel sein. Deswegen darf es auch keine für die Bahn unkalkulierbaren Kostenrisiken mit sich bringen (§ 2,2). Deswegen ist klar, dass höhere Kosten nicht von der Bahn, sondern allein von Stadt, Region und Land zu tragen sind. Umgekehrt gibt es eine derartige Sicherung, also die einer volkswirtschaftlichen Rentabilität für das Land, die Stadt und die Region nicht. Wenn die Kosten über den vereinbarten Rahmen von ca. 4,5 Milliarden Euro steigen, hat man zu sogenannten Gesprächen zusammenzutreten („Sprechklausel“ des Vertrags, s. § 3,3). Dafür gibt es den Lenkungskreis. Dass man sich dort auf eine Kostenübernahme einigen muss, steht nicht drin, aber genau das ist gemeint. Ein „ordentliches“ Kündigungsrecht ist ausdrücklich ausgeschlossen (§ 15). Aber auch die Möglichkeit eines Projektabbruchs und die Verpflichtung zu einem geordneten Rückbau bei nicht einvernehmlich lösbaren Kosten- und Finanzierungsproblemen ist ebenso ausdrücklich ausgeschlossen (§§ 2,2 sowie 8,4). Diese Entrechtung des Landes wird durch die Sprechklausel ein Stück weit verschleiert. Wohl deswegen wird die Verneinung sogar von ausgewiesenen Projektkritikern noch gern übersehen. Ohne sie zu erkennen, kann man jedoch auch den überaus hinterhältigen Charakter des gesamten Vertrags, mit dem der Bahn ein Blankoscheck ausgestellt wurde, nicht durchschauen. Der Esslinger Fachanwalt Arne Maier kommt als Gutachter u. a. zu dem Ergebnis: „Die Bahn kann das Projekt vertragskonform beenden (S.1)“… „wenn der Kostenrahmen des Projekts die Wirtschaftlichkeitsgrenze deutlich überschreitet (S. 2)“. Aber für Stadt und Land stellt er so etwas nicht fest. Sie haben eben nicht die gleichen Rechte wie die Bahn. Auch deswegen warten sie klugerweise darauf, dass die Bahn zugibt, das Projekt an die Wand gefahren zu haben, und selbst seine Beendigung vorschlägt. Und das wird sie klugerweise dann tun und vielleicht sogar aktienrechtlich tun müssen, wenn sie das weniger kostet als eine Fortsetzung des Projekts auf eigene Kosten oder das Hinterlassen einer Bauruine, eine Möglichkeit der Erpressung von Land und Stadt durch die Bahn, mit der sie bei Vertragsabschluss offensichtlich kalkuliert hat. Eine Option, die jedoch durch den an sich vertragswidrigen Kostendeckel durchkreuzt wird. Nicht die Kunden müssten bezahlen für etwas, das sie nicht bekommen haben, sondern die Bahn als Lieferant, der nicht liefern konnte. Dann wäre die Bahn in die Falle getappt, die sie ihren willigen Geschäftspartnern gestellt hat. In meinen Augen haben sich mit diesem Vertrag sowohl die CDU-Regierungen wie auch die Landtagsabgeordneten und Stadtverordneten von CDU, SPD und FDP wie der Freien Wähler der Untreue gegenüber den Bürgern des Landes und der Stadt schuldig gemacht.

(3) Zur Lage und Taktik


Zur Lage und Taktik – 3. Teil     Reinhart.Vowinckel@web.de     18.01.2013
http//vowinckel.blogspot.com
Erinnerung an Teil 1
Einige Repräsentanten unserer Bewegung haben in einem Offenen Brief unter der Schlagzeile „Grüne Spitzenpolitiker müssen und können jetzt S21 stoppen!“  argumentiert, der Verweis auf die Volksabstimmung, die zum Bau von S21 verpflichte, sei „spätestens seit dem 12.Dezember 2012 unglaubwürdig“, also seit dem Kostenoffenbarungseid Kefers. Ich halte einen solchen Appell jedoch zum einen für unrealistisch. Die Landesregierung kann S21 nicht einfach stoppen, zum einen da sie sich an den Finanzierungsvertrag gebunden sieht, der sie knebelt, zum anderen,  da sie auch der Pflicht unterliegt, Kosten möglichst zu vermeiden. Der gesamte Appell geht in seinem Hauptstoß gegen die Grünen am Ziel vorbei. Für den sie knebelnden Finanzierungsvertrag ist neben der CDU und der FDP vor allem die SPD verantwortlich.
Die mangelnde Justierung des Appells geht auch aus der Begründung hervor. Der Verweis der Landesregierung auf die VA ist nicht erst seit der neuen Kostenwahrheitsexplosion nicht mehr „glaubwürdig“. Er war noch nie mehr als eine politische Propagandalüge der gegenwärtigen Regierung  und deswegen für selbstbewusste Demokraten noch nie glaubwürdig.  Auf dieser Tatsache (und keineswegs nur Meinungsäußerung zu beharren ist keineswegs Formalismus oder Paragraphenreiterei. Wie inzwischen auch Dieter Reicherter  in einem an die Regierung gerichteten Schreiben zitierte, hat die Landesabstimmungsleiterin Friedrich  am 13.02.2012 entgegen der Behauptung der Regierung und anderer eindeutig klargestell: „Nachdem die Gesetzesvorlage die nach der Landesverfassung erforderliche Stimmenmehrheit nicht erreicht hat, hat sich insoweit auch keine Änderung der Rechtslage ergeben.“  Die Regierung verbreitet also seit mehr als einem Jahr unwidersprochen die Unwahrheit über eine angebliche Verpflichtung zu S21 durch die VA, und unsere Bewegung lässt sie gewähren. Ich meine, mit der VA hat ein Akt  geistiger und politischer Unterwerfung stattgefunden. Vielleicht geschah das ja in der ehrenwerten Absicht, die Grüne Regierungsriege als  Hoffnungsträger das Gesicht wahren zu lassen. Jemanden das Gesicht wahren zu lassen kann unter Umständen auch durchaus klug sein. Aber auf eines sollten wir in der konkreten Situation von vornherein  stets achten, nämlich darauf, dabei  nicht selbst das Gesicht zu verlieren und als  Gegner unglaubwürdig  und als vermeintliche „Weicheier“ allenfalls wohlwollen belächelt zu werden.
Erinnerung an Teil 2
Im Mittelpunkt von Teil 2 meiner Überlegungen steht deshalb der Finanzierungsvertrag (FV). Seine Bedeutung ist mindestens so groß wie die der VA, wird jedoch in unserer Bewegung teilweise noch  völlig falsch eingeschätzt (s. Carola Eckstein). Deswegen kann es nicht schaden, ihn mal gründlich anzuschauen, dabei besonders auf die §§ 2, Absatz 2 sowie 8, Absatz 4 zu achten und ihn dann  zu diskutieren.
Der Vertrag verspricht erstens der Bahn die betriebliche Wirtschaftlichkeit (§ 2,2) des durchgeführten Projekts. Demgegenüber haben das Land und seine Projektpartner keinen vertraglichen Anspruch auf volkswirtschaftliche, also soziale und verkehrswirtschaftliche  „Wirtschaftlichkeit“. Deswegen sollten unsere Regierungen In Berlin und Stuttgart  durch unsere Propaganda erst einmal dazu veranlasst werden, eine volkswirtschaftliche Kosten-Nutzen-Rechnung bei einem unabhängigen Gutachter in Auftrag zu geben und sie auch zu veröffentlichen.
Zweitens schließt der FV die Möglichkeit einer „ordentlichen“ Kündigung z. B. durch die Landesregierung ausdrücklich aus. Trotzdem wurde bei der VA den Bürgern die Möglichkeit einer einfachen Kündigung vorgegaukelt.
Drittens wird ein  Projektabbruch mit „qualifiziertem Abschluss“, also Rückbau, und einer geregelten Kostenverteilung, wie Carola es in ihrem Statement vom 27.12.20012 fälschlich darstellt,  als Option sogar ausdrücklich ausgeschlossen (§ 8, 4). Stattdessen heißt es mehrmals wie z. B. in § 3 Abs. 3: „Ist das Land der Auffassung, dass angezeigte Erhöhungen (der Kosten) nicht durch von der Bahn aufgezeigte Chancen oder Einsparungen ausgeglichen werden können, kann es den Lenkungskreis zur Entscheidung anrufen.“  Das nennt man die „Sprechklausel“ des Vertrags. Dabei sollte klar sein, dass Entscheidungen, weitere Kosten zu tragen, nicht im Lenkungskreis,  getroffen werden könnten, etwa per Mehrheitsentscheidung, sondern nur von den zuständigen Gremien der einzelnen Projektpartner, also Stadt, Land und Region.
Die im Jahre 2009 im Land regierenden Parteien CDU und FDP haben mit Billigung der SPD im Landtag wie im Gemeinderat bewusst und mutwillig einen zumindest in meinen Augen skandalösen finanziellen Knebelungs- und Selbstknebelungsvertrag abgeschlossen, der  m. E. wegen finanzieller Knebelung nachfolgender Parlamente sogar  verfassungswidrig ist. In Wahrheit bindet also nicht, wie zur Verschleierung des Skandalvertrags behauptet, die VA die angeblich idealdemokratische Regierung an den Vertrag und das Projekt, sondern allein der Knebelvertrag, der nun von der SPD zur Erpressung der Grünen benutzt werden kann und zu verantworten ist. Der Vertrag ist ein schwarzes Kuckucksei, das von den Sozialdemokraten in Land und Stadt den Grünen unter dem Deckmantel der „Projektförderungspflicht“  immer noch als Knebel ins Maul gesteckt wird. Deswegen zielt auch der Offene Brief mit der Parole „Grüne Spitzenpolitiker müssen und können jetzt S21 stoppen!“  im Grunde haarscharf daneben.  Adressaten unserer Kritik und Appelle  sollten im Moment vor allem  die rosaroten und dann die schwarzen Spitzenpolitiker bis hin nach Brüssel sein.

Nachfolgend 3. Teil: 
Wo kein Kläger, da auch kein Richter! Wo oben der Mut fehlt, hilft unten Druck.

Inzwischen ist neben Carolas und meiner Einschätzung des Finanzierungsvertrags auch noch ein Gutachten des Esslinger Fachanwalts Arne Maier und der „Juristen zu Stuttgart 21“ in Umlauf. Diese geradezu verführerisch gute Analyse kommt zu folgenden Ergebnissen:
1.        „Die Deutsche Bahn kann das Projekt vertragskonform beenden“(S.1). Dazu beruft sich Arne Maier neben dem BGB vor allem auf das Aktienrecht. „Bereits diese Sprechklausel’ ermöglicht der Deutschen Bahn AG die Beendigung des Projekts auf der Basis der  - auch aktienrechtlich vorgegebenen Wirtschaftlichkeitsmaxime, zumal der Bund, das Land  Baden-Württemberg  und die Stadt es ablehnen, sich an den Mehrkosten zu beteiligen.“ (S. 3)
2.        „Die Beendigung ist für die Deutsche Bahn AG wirtschaftlicher als seine Fortsetzung“ (S.1.). Dazu beruft er sich naheliegender Weise auf den Offenbarungseid  der Bahn:“ Damit steht fest, dass das Projekt für die Deutsche Bahn AG nicht wirtschaftlich ist (S. 2).“
3.        Eine Fortsetzung des Projekts würde den Reputationsschaden der Deutschen Bahn potenzieren“ (S. 1).
4.        „Unklar ist, wie die Kosten, die das Projekt bis zu seiner Beendigung verursacht hat (‚Ausstiegskosten’), zwischen den Projektbeteiligten aufzuteilen ist. Sinnvoller Weise werden die Projektbeteiligten  auch diese Kostenverteilung einvernehmlich regeln. Die Deutsche Bahn AG wird  einen Großteil der Kosten tragen müssen.“ (S.5)
5.         (S.1). „Die Deutsche Bahn wurde von ihrer Führung  in eine Lage gebracht, in der sie nur noch zwischen Pest  (Mehrkosten) und Cholera (Ausstiegskosten) wählen kann. Sie kann und muss die für dieses Dilemma Verantwortlichen ermitteln und ggf. persönlich in Haftung nehmen. Bei einer erfolgreichen Durchsetzung solcher Ersatzansprüche entstehen der Deutschen Bahn AG  entsprechend geringere, möglicherweise gar keine Ausstiegskosten.“ (S. 6) „Die Mitglieder des Aufsichtsrats sollten sich … nicht darauf verlassen, dass ihre etwaige zivilrechtliche Haftung  von ihren Haftpflichtversicherungen abgedeckt ist (S.1)
Der Schwerpunkt des Gutachtens liegt auf der Gefahr für die Aufsichtsratsmitglieder der Deutschen Bahn AG, eventuell haftungs- und auch strafrechtlich zur Verantwortung gezogen zu werden. Der Vorwurf eines Knebelvertrages kommt in ihrem Gutachten – alle möglichen Gesichter schonend und unpolitisch - nicht vor, und das ist okay so. Wie wir hören, konnte das Gutachten immerhin bereits den Aufsichtsrat  ziemlich verstören, und Grube und Co. wird es nicht anders ergangen sein, warum sonst die ganzen Terminverschiebungen. Es hat uns also bereits geholfen. Aber wir sollten auf dem Teppich bleiben. Die Bundesregierung wird mit Hilfe einer Hauptversammlung alles tun, den Bahnvorstand und die Aufsichtsräte von allem Versagen reinzuwaschen, und wenn sie nicht will, dass der Vorstand in Haftung genommen wird, wird das auch nicht geschehen. Wo kein Kläger, da auch kein Richter! Da hilft nur noch Druck von unten. Nur wenn die Regierungen in Berlin und in Stuttgart politisch „in Haftung genommen“ werden, könnte sich etwas ändern. Deswegen könnte eine juristische Expertise zur Frage der persönlichen Haftung auch für die Verantwortlichen in Stuttgart durchaus helfen. Wir haben ein Wahljahr, und Politiker wollen wiedergewählt werden, also keine Flecken in der Jacke haben. Wenn bei dem zu erwartenden weiteren Versagen der Bahn  und der Regierung mit unserer Hilfe schließlich die Medien zum Kläger werden,  wie sie das in Sachen Berliner Flughafen und S21 bereits ein Stück weit geworden sind, dann könnte auch das Volk in Gestalt der Wähler zum Richter werden.. Dazu sollten wir pragmatisch eine angemessene und differenzierte Rang- und Reihenfolge verfolgen:
An erster Stelle die CDU mit ihrem Knebelvertrag, an zweiter Stelle die SPD  als Würger und dann erst die Grünenführer  als Weicheier, die sich gern würgen lassen, wenn sie nur „die Macht“ behalten.
Dazu drei Vorschläge bzw. Forderungen:
  • Veröffentlichung des Gutachtens Urs Kramer zum Antrag der Netz AG (StZ v.17.01.)
  • Volkswirtschaftliche Kosten-Nutzen-Berechnung durch unabhängigen Fachmann  
  • Nachvollziehbare Berechnung der Zahlungsverpflichtungen von Land und Stadt bei Beendigung des Projekts
Und dazu vor allem Nils Schmid in den Schwitzkasten, in dem er und Schmiedel bisher Winfried Hermann haben.
Also nicht kopflos, sondern   

Oben bleiben!

Sonntag, 20. Januar 2013

(2) Zur Lage und Taktik


Reinhart.Vowinckel@web.de : Zur Lage und Taktik – 2. Teil    12.01.2012

(Das Kleingedruckte braucht  nur der zu lesen, der seine Nase mal selbst in gewisse Fakten stecken will. )

Im ersten Teil einer Lage und Taktikbestimmung habe ich versucht zu zeigen, wie die Öffentlichkeit, also letztlich die Bürger und mit ihnen auch unsere Bewegung von der Landesregierung taktisch geschickt hinters Licht geführt wurden, um Stuttgart 21 politisch aus der Schusslinie zu bekommen. MP Kretschmann beruft sich auf seine Rechts- und Gesetzestreue, die ihn angeblich wegen des VA-Ergebnisses zur Durchführung von S21 verpflichte. Tatsächlich jedoch verpflichtet ihn die rechtlich gescheiterte VA aber zu nichts. Die Verantwortung für S21 liegt weiter bei der Bahn und den Projektpartnern und nicht beim Volk. Deswegen sollte das Volk auch nicht die Verantwortung für S21 und das heißt auch für einen von der Regierung Oettinger ausgestellten Blankoscheck  (Finanzierungsvereinbarung) aufhalsen lassen.  In diesem zweiten Teil meiner Überlegungen wird es  um die Bedeutung dieses Finanzierungsvertrages gehen.

 „Gesprächsklausel“ – Versteck eines staatlichen Blankoschecks

Bei einem ersten Blick in den Finanzierungsvertrag  stellt man erstaunt fest, der Vertrag schließt seine ordentliche Kündigung aus. In § 15 (1) des Finanzierungsvertrags zu S21 heißt es ausdrücklich: „Eine ordentliche Kündigung dieses Vertrages ist ausgeschlossen.“  Da aber jeder Vertrag prinzipiell kündbar ist, kann das nur bedeuten, er ist nur „unordentlich“ kündbar. Unordnung ist demnach durch den Finanzierungsvertrag programmiert. Die projektkritischen „Juristen zu S21“ sehen in diesem Ausschluss des Rechts auf ordentliche Kündigung eine vertragliche  „Regelungslücke“. In ihrer Einschätzung des Vertrages vom 30. 08.2011, also drei Monate vor der VA,  heißt es:
Der 'Geburtsfehler' der Regelungslücke stellt aus juristischer Sicht  einen groben Fehler dar, der nicht hätte passieren dürfen. Im Falle der Überschreitung der  kalkulierten Gesamtkosten wird die Lage rechtlich und  finanziell nicht mehr beherrschbar. Will man das Projekt nicht abbrechen,  weil man bereits viele hundert Millionen Steuergelder verbaut hat, muss man nachfinanzieren."
Das bedeutet jedoch, dass der von der Regierungskoalition beschlossene und  uns so teure „Kostendeckel“ von Anfang an vertragswidrig war. Dass die Bahn den Vertragsbruch jedoch bisher hingenommen hat, zeigt wohl deutlich, dass sie seit dem öffentlichen Faktenscheck begonnen hat, ein Unrechtsbewusstsein zu entwickeln. Das zeigt aber, nebenbei bemerkt, auch, wie wichtig dem Ministerpräsidenten Recht und Gesetz wirklich sind. Von der Tatsache, dass der Kostendeckel einen Rechtsbruch darstellt, sollte uns auch die Tatsache nicht ablenken, dass wir seine Nutznießer, also gewissermaßen Komplizen des Rechtsbruchs sind, also auf einer brüchigen Basis bauen.. Der Ausschluss des Rechts auf ordentliche Kündigung hat also bereits zu einiger Unordnung geführt.
Deswegen kann uns auch ein tieferer  Blick in den Vertrag nicht schaden. Das habe nicht nur ich, das hat auch Carola Eckstein in den Weihnachtstagen getan und ihre wie sie meint „erfreulichen“ Ergebnisse in den Online-Verteiler des Parkschützerrates gestellt. Doch wir sind, was Lage und Taktik betrifft, zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangt.
(Dem weiteren vorausschicken möchte ich, dass es sicherlich um unsere Bewegung und ihre Taktik besser bestellt wäre, wenn mehr von uns sich öfter solchen Mühen unterziehen würden, wie Carola es getan hat. Dabei kann man auch als juristischer Laie einiges lernen, was ein Demokrat wissen sollte. Und dann könnten wir uns über unsere Ergebnisse austauschen und so auch Missverständnisse ausräumen und Fehleinschätzungen leichter vermeiden, wie ich es hier zumindest versuche.)
Carola zitiert aus § 2, Absatz 2: Kann danach (nach dem 31.12.2009) die Finanzierung nicht sichergestellt werden,  wird das Projekt qualifiziert abgeschlossen.“  Qualifizierter Abschluss bedeutet Rückbau. Erfreut darüber, dass im Vertrag  für den Fall weiterer Kostensteigerungen auch die Möglichkeit des Rückbaus (bei 60 % für die Bahn und 40 % der zu begleichenden Kosten für die Projektpartner Land, Stadt usw.) vorgesehen ist, gibt sie die Losung aus:         Finanzierungsvertrag einhalten = Stuttgart 21 jetzt abwickeln!“
Damit hat sie sich jedoch, wie von den Verfassern beabsichtigt,  in den Fallstricken der Verklausulierungskünste der Bahn und der früheren CDU-FDP-Landesregierung verfangen.
Es heißt dort nicht „kann …nach dem 31.12.2009“, sondern kann „bis spätestens zum 31.12.2009“ die Finanzierung nicht sichergestellt werden, „wird das Projekt qualifiziert abgeschlossen“. Seit dem 01. 01. 2010  gibt es also vertraglich keinen Rückbau mehr, egal wie die Kosten steigen. Unmissverständlich klar gemacht wird das mit dem § 8, Absatz 4 für den Fall weiterer Kostensteigerungen: Im Falle weiterer Kostensteigerungen nehmen die EIU (Eisenbahninfrastrukturunternehmen) und das Land Gespräche auf. Paragraph 2 Abs. 2 findet insoweit keine Beachtung.“ 
An der Passage des Vertrags (§ 2,2), aus der hier zitiert wurde, sind  bei einer  Einschätzung von Lage und Taktik mindestens 3 Aspekte von erheblicher Bedeutung für uns:
  1. Der Vertrag garantiert der Bahn die betriebliche „Wirtschaftlichkeit“ des schwäbischen Prestigeprojekts. Die Bahn ist also bei mangelnder Wirtschaftlichkeit nicht (mehr) verpflichtet zu bauen bzw. zu Ende zu bauen, und sie muss auch keine unkalkulierbaren Risiken eingehen. In dem Punkt irrt übrigens Thomas Wüpper  in seinem ansonsten ausgezeichnet recherchierten und aufschlussreichen Artikel „Bahn sagt auch Treffen des Aufsichtsrats ab“ in der StZ. vom 12.01.2013, wenn er schreibt, „die Risiken trägt der Konzern als Bauherr und Betreiber.“  Die Risiken tragen laut Vertrag  allein das Land und seine Partner. Für Sie gibt es derartige Absicherungen wie für die Bahn nicht.
  2. In § 2 (2) wurde zwar für einen begrenzten Zeitraum und zwar vom  02.04.2009  bis spätestens  zum 31.12.2009, also für maximal 9 Monate die Option eines Rückbaus, vorgesehen. In § 8 (4) wird diese Option jedoch für die Zeit ab 01.01.2010 ausdrücklich negiert. Eine Begründung für die nur neunmonatige Dauer der „Kündigungsfrist“ wird nicht gegeben. Die Hintergründe wären sicherlich interessant.
  3. Vom 01.01.2010 an sind bei weiteren Kostensteigerungen stets Verhandlungen aufzunehmen, in denen die Projektpartner (Land, Stadt, Region und Flughafen) sich darauf einigen, wer von ihnen welche Kosten zu übernehmen hat. Genau für diese „Gespräche“ wurde der „Lenkungskreis“ geschaffen.  Dieser Mechanismus wird auch „Sprechklausel“ genannt. In § 3 (3) heißt es z. B.: „Ist das Land der Auffassung, dass angezeigte Erhöhungen (der Kosten) nicht durch die aufgezeigten Chancen oder Einsparungen ausgeglichen werden können, kann es den Lenkungskreis zur Entscheidung anrufen.“  
Die Regierung Teufel und die Bundesregierung vertreten durch Verkehrsminister Wissmann  bei der Rahmenvereinbarung zu S21 vom 07.11.1995 sowie die Regierung Oettinger bei den Verhandlungen im April 2009 haben also für das Land einen würdelosen Selbstknebelungsvertrag abgeschlossen und sich von der Deutschen Bahn einen unkündbaren Blankoscheck abschwatzen lassen, versteckt in der berüchtigten Sprechklausel.  Die Suppe auszulöffeln haben nun die Bürger, da die CDU-SPD-Regierung ohne sie offensichtlich überfordert ist.  Der Verfassungsrechtler Wieland hat bereits eine neue VA als Möglichkeit hingestellt, aber das ist  schon deswegen Unsinn, da  eine erneute  VA  oder auch ein Bürgerentscheid der Stadt am Quorum scheitern würden.
Wenn wir im Sinne der Kostenvermeidungspflicht Stuttgart 21 abgewickelt sehen möchten, womit Carola sicherlich unser aller Herzenswunsch ausspricht, dürfen wir uns auf vieles berufen, jedoch nicht gerade auf den Finanzierungsvertrag, der die Abwicklung ausdrücklich nicht vorsieht. Und auch „S21 plus“ kommt, jedenfalls für mich, nicht in Frage. Das wäre eine absurde und würdelose Konsequenz aus den vorliegenden Erkenntnissen und Entwicklungen. Die Regierung  soll endlich Farbe bekennen, politische Farbe,  und die Aufhebung des Vertrages ohne Schadensersatzpflicht  herbeiführen, bevor alles  zu spät ist.  

Sonntag, 13. Januar 2013

(1) Zur Lage und Taktik


Zur Lage und Taktik – 1. Teil Reinhart.vowinckel@web.de 1. Januar 2012

Vier prominente Gegner von „Stuttgart 21“ (Hopfenzitz, Leidig, Lösch und Sittler) haben sich am 17. 12. 2012 mit einem offenen Brief unter der Überschrift „Grüne Spitzenpolitiker müssen und können jetzt S21 stoppen!“ an die Grünen in der Landesregierung gewendet. Sie berufen sich auf eine veränderte Lage, verändert zum einen durch die inzwischen vorliegende amtliche Bestätigung, dass „S21“ einen Rückbau bedeutet, zum anderen durch den Kostenoffenbarungseid Kefers. Ihr Argument, was die Kosten angeht, lautet: „Die Bürgerinnen und Bürger stimmten am 27. November im Bewusstsein ab, dass dies definitiv die Obergrenze der Gesamtkosten sein würde.“
Nun hatte jedoch der Ministerpräsident bereits im Januar 2012 ebenfalls prominenten Kritikern von „S21“ in einem Offenen Brief seine Auffassung mitgeteilt:
Die Argumente, die Sie gegen Stuttgart 21 anführen, waren der Bevölkerung hinlänglich bekannt. Gleichwohl hat sich deren Mehrheit am Ende für das Projekt entschieden…Am 27. November hat schlicht die Mehrheit der Bevölkerung entschieden.“
Damit hatte er ein für alle Male klargestellt, dass auch er sich für den Weiterbau entschieden hat und dass Appelle wie in dem neuen Offenen Brief wohl auf taube Ohren stoßen werden. Hier einmal davon abgesehen, dass es nicht einmal 30 Prozent der Stimmberechtigten, geschweige denn „die Mehrheit der Bevölkerung“ gewesen waren, hat er damit dem Kabinett seine Richtlinie vorgegeben, an die sich auch seine „Staatsrätin für Zivilgesellschaft und Bürgerbeteiligung“ Gisela Erler jetzt hielt. Sie ließ verlauten, die Kostensteigerung sei kein Argument für den Projektstop, da die abstimmenden Bürger gewusst hätten, dass es aller Wahrscheinlichkeit nach teurer würde als versprochen, was natürlich nur eine Vermutung und kein Argument sein kann.
In ihrem Offenen Brief widersprachen nun unsere Prominenten einer entsprechenden Äußerung der Staatsrätin: „Wer jetzt, wie Frau Staatsrätin Gisela Erler, argumentiert, die Bürgerinnen und Bürger wären implizit von weiteren Kostensteigerungen ausgegangen (Tagblatt, 10.12.), sagt schlicht die Unwahrheit.“ Dem kann ich jedoch so leider nicht folgen. Ihr müsst nur z. B. die amtliche Begründung des Gesetzentwurfes für die VA einmal aufmerksam lesen. Wenn sie an irgendetwas keinen Zweifel lässt, dann an der Gefahr bzw. Wahrscheinlichkeit, dass die Kosten über den vertraglich vereinbarten Kostenrahmen hinaus steigen werden.
Trotzdem ist die Unaufrichtigkeit auch der Staatsrätin nicht zu bezweifeln. Nur steckt sie in einem ganz anderen Punkt, der in unserer Bewegung jedoch noch immer übersehen wird. Sie steckt in der scheinheiligen, pseudodemokratischen und pseudorechtstaatlichen Berufung vor allem des Ministerpräsidenten auf die Volksabstimmung, die angeblich dazu verpflichte, S 21 zu bauen bzw. bauen zu lassen. Auch die vier Prominenten unserer Bewegung lassen sich ein auf die Frage, ob die Bürger bei der VA dieses oder jenes gewusst haben. Damit lassen sie sich jedoch auch ein auf die Behauptung, durch die VA sei irgendetwas oder gar alles entschieden worden. Wer sagt, seit dem Offenbarungseid Kefers gelte die VA „nicht mehr“, erkennt ihre bisherige rechtliche Geltung an. Eine solche Behauptung ist jedoch ein Lüge. Deswegen ist es auch völlig wurscht und Schnee von gestern, was die Bürger damals gewusst haben oder nicht gewusst haben.
Der Erfinder dieser Lüge ist der selbsternannte Landesvater höchst persönlich. In seinem Offenen Brief vom Anfang des Jahres 2012 an unsere Prominenten schrieb er:
Können Sie sich ernsthaft einen Ministerpräsidenten und eine Landesregierung wünschen wollen, die sich, weil ihnen ein politisches Ergebnis missfällt – über den Willen der Mehrheit in einem Gesetzgebungsverfahren, - denn nichts anderes ist eine Volksabstimmung nach unserer Landesverfassung – hinwegsetzt und sich schlicht nicht an Gesetz und Recht gebunden fühlt?“

Erinnert Ihr Euch noch an die Tage vor der Volksabstimmung, als viele sich an den Glauben klammerten, wir könnten vielleicht doch ein Wunder erleben und das Quorum erreichen oder wir würden doch zumindest eine Mehrheit der Ja-Stimmen erlangen? Damals goss Kretschmann Wasser in den Wein oder sollte ich besser sagen in den Schnaps der Hoffnungen? Wenn das Wunder des Quorums nicht geschehe, dann werde S21 auch gebaut, auch wenn die Mehrheit gegen S21 sei, denn er halte sich als guter Staatsbürger an Recht und Gesetz.
In dem oben zitierten Satz für seine Kritiker leugnet der Ministerpräsident jedoch den nicht gerade unbedeutenden Unterschied zwischen einem Gesetzgebungsverfahren und einem Gesetzesbeschluss. Bekanntlich führt nicht jedes Verfahren auch zu einem positiven Ergebnis. Zweifellos war die Volksabstimmung (VA) ein Gesetzgebungsverfahren, und es gab auch Mehrheiten, aber eben nicht die gesetzlich für ein neues Gesetz erforderlichen. (Und was die für die Rechtskraft irrelevante relative Mehrheit der Projektbefürworter (Nein-Stimmen) in der Abstimmung angeht, auf die sich Kretschmann und Co. nun berufen, so hat auch sie nicht die Höhe des Quorums erreicht. Auch die Mehrheit der Projektbefürworter hätte also keineswegs ausgereicht für ein Gesetz pro Weiterfinanzierung.) Damit war also das Gesetzgebungsverfahren nach Recht und Gesetz gescheitert, genau so gescheitert, wie zuvor das im Landtag eingebrachte Kündigungsgesetz im Abstimmungsverfahren am Nein von CDU und FDP gescheitert war.
Und, so leid es mir tut, nach meiner Auffassung ist auch der Kostendeckel des Kabinetts vertrags- und damit rechtswidrig. Er verstößt gegen den Finanzierungsvertrag. Deswegen ist auch die vermutlich auf einem Irrtum beruhende Parole „Finanzierungsvertrag einhalten = Stuttgart 21 jetzt abwickeln“ zweischneidig. (Darauf werde ich im nächsten Beitrag näher eingehen) Schon deswegen wird die Regierung den Kostendeckel aufgeben und keineswegs den Kopf für ihn hinhalten, wenn wir sie nicht daran hindern können. Wie die VA war auch er lediglich ein Propagandainstrument und als solches eben von begrenzter Haltbarkeit, da letztlich alle Lügen zu kurze Beine haben.
Was gibt nun Kretschmann und Co. das Recht, unter Berufung auf Recht und Gesetz einerseits und die VA andererseits Regierungshandeln zu legitimieren? Die Antwort lautet: Nichts! Die Behauptung einer Verpflichtung durch die Abstimmung ist eine Propagandalüge und zugleich die Demonstration fehlenden Respekts vor den Regeln des Rechtsstaates. Wenn der MP uns wegen unseres beharrlichen Protestes und unserer Wahrnehmung demokratischer Rechte der Missachtung demokratischer und rechtsstaatlicher Grundsätze bezichtigt, so tut er das nach der Methode des Diebes, der da schreit: „Haltet den Dieb!“, um so im Gedränge von sich als Täter, d. h. als Rechtsbrecher abzulenken.

Deswegen sollten wir uns keinen Illusionen mehr hingeben und auf Einsicht oder guten Willen der Regierung hoffen Die hat andere Ziele. Wenn das Projekt jetzt nicht auf anderen Wegen gestoppt wird, dann ist der point of no return endgültig überschritten, und es tritt genau das ein, was die Regierung im Jahr 2011 in ihrer Begründung des Volksabstimmungsgesetzes zum Finanzierungsvertrag noch als dem Volk nicht zumutbar darstellte:
Aufgrund bisheriger Stellungnahmen der Deutschen Bahn AG ist davon auszugehen, dass sie nicht zu einer entsprechenden Vertragsanpassung bereit ist, weshalb dem Land ein Festhalten an dem Vertrag nicht zumutbar und ein Kündigungsrecht nach § 60 Abs. 1 Satz 1 LVwfG gegeben ist. Das Land kann nicht weitreichende Baumaßnahmen abwarten, um sodann nach dem Prinzip der normativen Kraft des Faktischen in eine unabschätzbare Kostendynamik eingebunden zu werden.“ (eigene Hervorhebung)
Lasst uns den VA-Spieß umdrehen und die Versuche der Regierung vereiteln, sich aus ihrer einmal übernommenen Verantwortung für das Projekt und dessen Stopp zu stehlen und sie dem Volk aufzuhalsen!