Sonntag, 30. Juni 2013

(10) Negative Feststellungsklage: Bewegung im Fahrwasser der SPD

Negative Feststellungsklage:
Bewegung im Fahrwasser der SPD  
Reinhart.Vowinckel@web.de   http://blogspot.com        Zur Lage und Taktik 10        30.06.2013

Warum die Forderung einer negativen Feststellungsklage gegen die Sprechklausel absurd und schädlich ist

Die Protestbewegung gegen Stuttgart 21 hat offensichtlich ihr Ziel aus dem Auge verloren. Sie schippert unverkennbar ziellos im Kielwasser der SPD.
Rechtsanwalt Eisenhart von Loeper hat im Namen des Aktionsbündnisses gegenüber der Landesregierung und der Stadtverwaltung die Forderung erhoben, „das Heft des Handelns endlich in die Hand zu nehmen“ und durch eine ‚negative Feststellungsklage’ gerichtlich klären zu  lassen, dass dem Land aus der vertraglichen Sprechklausel keine zusätzlichen Zahlungspflichten entstehen. Die Begründung lautet:
Denn nach wie vor verweigert die Bahn die volle Übernahme der Milliarden, die den Kostendeckel überschreiten.
Als wenn die Bahn  das müsste! Als wenn wir irgendein Interesse daran hätten, dass sich ein Finanzier für S21 findet! Wir wollen nicht die Finanzierung, sondern die Beendigung von S21! Trotzdem haben sich auch noch Parkschützer und SÖS/Linke geistesabwesend angeschlossen. Die Aufforderung und vor allem ihre Begründung ist absurd.
So absurd, wie es die von Claus Schmiedel, Fraktionsvorsitzender der SPD im Landtag, im April verfolgte Idee war. Er wollte  der Bahn für ein paar Millionen die Sprechklausel abkaufen, um so das Mehrkostenrisiko vom Land abzuwenden.
Absurd war die von den Grünen in der Regierung abgesegnete Idee Schmiedels auch schon aus dem praktischen Grund, dass der Vertrag 16 Paragraphen enthält. Ein einzelner Paragraph kann dabei bis zu 17 eigens durchnummerierte Absätze enthalten. Und ein Absatz kann wiederum viele Sätze enthalten, die jeder für sich eine Bestimmung enthalten können. So enthält z. B. der § 8, Abs. 4 eine unauffällige  Bestimmung, welche die in § 2, Abs. 2 noch eingeräumte Ausstiegsklausel beiläufig wieder aufhebt. Wie kann man da in einer derart heiklen und umstrittenen Angelegenheit auf die Idee kommen,  aus all dem einen einzelnen Satz streichen und damit den ganzen Vertrag für sich selbst unschädlich machen und die Bedeutung des Vertrags  geradezu in ihr Gegenteil verkehren zu können? Da scheint Holland in Not.
Absurd war die Initiative Schmiedels jedoch vor allem, weil die Bahn ja, auf diese Klausel gestützt, Milliarden kassieren will bzw. nach dem Willen des Aufsichtsrates soll. Was bedeuten dem gegenüber schon  die angebotenen Millionen? 
Die Herren Kefer und Grube dürften sich an den Kopf gelangt haben. Aber aufgepasst! Schmiedel wäre nicht Schmiedel, ein gerissener und prinzipienloser Taktiker, wenn er sich dabei nichts gedacht hätte. Er will Handlungsfähigkeit demonstrieren, wo es für ihn keine gibt. Jedenfalls herrscht im Regierungslager offensichtlich zumindest taktische Verwirrung. Während Nils Schmid als Verhandlungsführer das mit der Sprechklausel verbundene Risiko als „ohnehin gering“ einschätzte, zumindest offiziell, sieht MP Kretschmann die Klausel als „Damoklesschwert“ über dem Lande, zumindest offiziell.
SPD-Schmiedels persönliches Projekt Stuttgart 21 ist die Demonstration der „Durchsetzungsfähigkeit“ seiner Partei als „Urlaubsvertretung“ der CDU bis zur nächsten Landtagswahl im Jahr 2016. In einem Interview mit der Stuttgarter Zeitung am 26.06.2013 räumte er zunächst ein: „Es hat uns sehr überrascht, dass die Bürger den Eindruck haben, die Grünen würden sich mit ihrer Politik stärker durchsetzen als wir.“ Dann aber gibt er zurück: „Das ist deshalb erstaunlich, weil auf dem Hauptfeld der politischen Auseinandersetzung, bei Stuttgart 21, die Grünen nun eifrig unser Projekt mitbauen. Ich kann nicht erkennen, dass die Grünen beim Versuch, Stuttgart 21 zu verhindern, einen Stich gemacht hätten.“
Bitte jetzt nicht wieder das so beliebte Grünen-bashing (s. u.)! Wie schon gesagt, die arme SPD steckt in einem Dilemma, in einer Zwickmühle. Eine Verpflichtung der Bahn, die Mehrkosten zu tragen, gibt es nicht, weder vertraglich (s. u.), noch politisch noch moralisch.

Sie  ist, wie schon gesagt, vor allem deswegen absurd, weil die Bewegung gegen den Durchgangsbahnhof  keinerlei Interesse daran hat, einen Finanzier für S 21 zu finden.
Die Initiative des Aktionsbündnisses ist jedoch auch noch aus anderen Gründen m. E. eher schädlich.
Was für einen Sinn machen z. B. derartige Aufforderungen an die Landesregierung? Zum einen können wir oft gar nicht beurteilen, welche Konsequenzen die Verwirklichung von außen herangetragener Forderungen alle haben kann. Zum anderen ist die Landesregierung gespalten. Was die eine Partei will, will die andere gerade nicht. Woher wollen wir wissen, wer jeweils für nachfolgende Untätigkeit verantwortlich ist? Ein Beispiel, das auch mich seiner Zeit ziemlich geärgert hat: In den Weihnachtstagen (14 Tage nach Grubes „Insolvenzerklärung“) haben vier unserer Prominenten, nämlich Egon Hopfenzitz, Sabine Leidig, Volker Lösch und Walter Sittler  in einem Offenen Brief verlangt: Grüne Spitzenpolitiker müssen und können jetzt S21 stoppen.“ So etwas ist einfach  neben der Kapp.  Die Grünen Spitzenpolitiker können ohne die SPD gar nichts, und deswegen müssen sie  auch nicht. Und die SPD will nun einmal S21 um keinen Preis stoppen.
Ein anderes Beispiel: „Versteckspiel – Schweigen als Verrat – Manipulierte Volksabstimmung – Volksabstimmung als Vorwand – Realitätsverleugnung – Die Abschaffung des Vertrauens – Die Aufkündigung der Redlichkeit“. So überschreibt Richter a. D. Christoph Strecker seine zweifellos sorgfältig recherchierten Beispiele für Desinformation durch die Landesregierung in einem Offenen Brief vom 11.06.2013 an Winfried Hermann. Statt immer nur oder vor allem die Grünen verantwortlich zu machen, sollten wir beide Fraktionen in die Pflicht nehmen. Wenn aber stattdessen nachher auch noch die eigentlich Gutwilligen „gebasht“  werden, können sich die aus dem sozialdemokratischen Intrigantenstadel oder bei der CDU auch noch ins Fäustchen lachen.
Genau diesen Fehler spricht wohl auch eine Sylvia (Heimsch?) gerade in einer kritischen Rundmail bei den Parkschützern an. In ihr heißt es einleitend: „Hallo, wir stehen auf der Kippe: mit den Grünen und den Grünen-Wählern – also den gut Etablierten und bürgerlich Orientierten, im Beruf Stehenden – verderben wir es uns gerade gehörig. Viele Grünenwähler haben keine Lust mehr auf dieses Grünen-Bashing. Auf der Parkschützerseite schlägt das teilweise schon in Hass um. 

Und schließlich halte ich dass Beschreiten des Rechtsweges zur Verhinderung des Projekts inzwischen für mehr oder weniger Aktionismus und Rechthaberei. Haben wir noch immer nicht oft genug die Erfahrung gemacht, dass wir außer dem Demonstrationsrecht praktisch keine Rechte haben und deswegen vor Gericht auch regelmäßig Niederlagen erleiden? Das Erregen unrealistischer rechtlicher Hoffnungen führt ebenfalls zu Enttäuschung und Frust, und es lenkt ab von dem, was wir selbst tun können, nämlich mit allgemeinverständlichen, nachvollziehbaren  Forderungen, z. B. an die SPD im Wahlkampf (s. u.),  selbst präsent sein.   
Sich in irgendeiner Form rechtlich statt politisch auf den Finanzierungsvertrag zu stürzen und stützen, ist schon deswegen sinnlos, weil es sich um einen durch und durch betrügerischen Vertrag handelt, den wir vor allem der CDU zu verdanken haben und natürlich zu 50 Prozent der Bahn. Diese Tatsache wird bisher jedoch sowohl in der Öffentlichkeit als auch von unserer Bewegung komplett ignoriert. Das Hin und Her um die Sprechklausel wäre gar nicht möglich, wenn die Tatsache des Betrugscharakters  auf dem Tisch läge und allen klar wäre.
Ich bin der Auffassung, wenn es jetzt um die Ausstiegskosten geht, dann sollten sie nicht im Verhältnis von 60 Prozent von der Bahn als Projektträger und zu 40 Prozent vom Land und seinen Partnern getragen werden, wie das im § 2, Abs. 2 ursprünglich für den Ausstieg vorgesehen war,  sondern im Verhältnis von 50 zu 50. Am Betrug, der uns den ganzen Schlamassel beschert hat, waren Bahn (bzw. Bund ) und Land unter der CDU-Regierung und mit Duldung der SPD in gleichem Maß beteiligt. Deswegen haben sie nun auch gleichermaßen die Verantwortung für die Schadensbegrenzung wahrzunehmen. Das heißt, die neue Regierung und letzten Endes die Bürger des Landes haben stellvertretend für CDU und FDP  für die Verpflichtungen des Landes, die von der Regierung Oettinger und der SPD eingegangen wurden, gerade zu stehen. Das finde ich ganz wichtig, um so etwas wie Gerechtigkeit, Fairness und Verantwortungsbewusstsein in die Geschichte hineinzubringen. In den Vorstellungen der SPD kommt das bisher ebenfalls nicht vor.

Und wer da auf unserer Seite qualifiziert mitreden will, sollte sich auch einmal  gewisse Grundkenntnisse zum Finanzierungsvertrag aneignen. Deswegen hier als Anregung noch einmal zu den beiden wichtigsten Klauseln des Vertrages.

Die Sprechklausel und die Mehrkosten

Die Sprechklausel hat in Wahrheit keinerlei Bedeutung in der Frage, wer die Mehrkosten finanzieren muss. Das hat ja auch Nils Schmid zu Recht angedeutet. Das ist allerdings aus dem Finanzierungsvertrag selbst nicht klar zu erkennen. Dazu muss man in das zwei Jahre ältere Memorandum of Understanding schauen. Dort wird die Funktion des Lenkungskreises beschrieben, in dem ja die Gespräche der Sprechklausel stattfinden sollen:
 Bei darüber noch hinausgehenden Kostensteigerungen werden DB AG und Land Gespräche aufnehmen. DB, Land, Stadt und Region vereinbaren darüber hinaus einen gemeinsamen Lenkungskreis zur Kostenauditierung und zur Mehrkostenbegrenzung.“ [III. Abs. 5]
Die Mehrkostenverteilung und -begleichung  ist also nicht Thema im Lenkungskreis. Im Lenkungskreis soll vielmehr nur über Möglichkeiten der Mehrkostenbegrenzung beraten und beschlossen werden. Finanzierungsentscheidungen dürfen ohnehin nur die zuständigen parlamentarischen Gremien treffen. Also die Gesprächsklauseln sind nicht das Problem, wie uns von der Regierung bis heute vorgemacht wird.
Es gibt aber noch eine ganz andere Klausel, die es  in sich hat. Ich kann mich nicht erinnern, bisher auch nur ein einziges Mal seitens der Regierung oder von sonst jemand von dieser  Klausel gehört zu haben, die ich Risikoklausel nennen möchte. Sie wurde wohl bisher im Interesse der SPD regelrecht tot geschwiegen,  genauso wie der betrügerische Charakter des gesamten Vertrags.

Die Risikoklausel  und das Dilemma der SPD

Sie steht im Vertrag unmittelbar vor der ersten Fassung der Sprechklausel in § 2.2:
Für die DB AG und die EIU [Eisenbahninfrastrukturunternehmen] ist es … von besonderem Interesse, dass für die DB AG und die EIU aus der Realisierung des Gesamtprojektes keine unkalkulierten Risiken entstehen …“ (§ 2, 2,1)
Die Risikoklausel ist wegen der Absicht der Irreführung über die Mehrkosten genau so verklausuliert und unverbindlich formuliert wie die Sprechklausel und deswegen vermutlich auch genau so wenig einklagbar. Für die Bahn sollte Risikoschutz gelten, für Stadt und Land nicht! Das ist der Kern des Betrugs am Bürger. Es war Absicht, die Bahn so königlich zu privilegieren! Und nun ist die Risikoschutzklausel pro Bahn das eigentliche, verheimlichte  Dilemma der SPD bei ihrem aktuellen Betrugsversuch. Deswegen gibt es für die SPD und die CDU im Hintergrund auch Grund genug, keine Feststellungsklage einzureichen. Ihre Ansprüche gegenüber der Bahn verstoßen gegen den von ihnen selbst einst gebilligten Vertrag und die in ihm begründete Kostenprivilegierung.  Mit ihm sollten einst der Landtag, das Regionalparlament  und der Gemeinderat hinter das Licht geführt werden und wurden es auch,  weil die ehrlichen Kosten des Projekts „nicht kommunizierbar“, d. h. nicht vertretbar waren. 

Schlussfolgerungen

  1. Der Vertrag schließt, wenn wir von seinem betrügerischen Charakter einmal absehen, zumindest eine Beteiligung der Bahn an den Mehrkosten nicht definitiv aus, legt aber die Kostenübernahme durch Land und Partner nahe, allerdings auch darin,  ohne wirklich verbindlich zu werden.
  2. In keinem Falle jedoch rechtfertigt der Vertrag den Anspruch des Landes auf volle Übernahme des Mehrkostenrisikos durch die Bahn. Die entsprechende Forderung der SPD ist also betrügerisch.
  3. Die SPD müsste da schon  andere Argumente ins Feld führen. Sie könnte es versuchen mit der Behauptung¸ die Bahn habe das Land mit den Kostenexplosionen über die wahren Kosten getäuscht. Doch da hat sie schlechte Karten,  denn dem steht u. a. die Vereinbarung in § 5 (2) entgegen, dass sich die vereinbarten Kosten noch verändern können.
  4. Wenn jemand, sagen wir die Bahn oder die SPD (als Vertreterin des Landes), sich mit einer Klage auf den Finanzierungsvertrag stützen will, dann stützt er sich auf einen gegen das Land und seine Bürger gerichteten betrügerischen Vertrag. Wer das tut, begibt sich also mutwillig in einen Sumpf. Das Risiko zu unterliegen, das er dabei eingeht, ist wohl ähnlich unkalkulierbar wie das Mehrkostenrisiko des Projekts.
  5. Die Berufung der Bahn auf eine angebliche vertragliche „Ausführungsverpflichtung“ bezieht sich vermutlich auf den Ausschluss des Rechts auf ordentliche Kündigung (§15) sowie des Rechts auf „qualifizierten Abschluss §§ 2 (2) sowie (8(4), mit welchem das Projekt unumkehrbar gemacht werden sollte. Aber diese Begründung ist hinfällig, wenn die Finanzierung (in diesem Fall die Mehrkostenfinanzierung) nicht mehr gesichert ist. Und das ist sie nicht mehr durch öffentlichen Beschluss des Kostendeckels durch die Regierung vom 13.09.2011. 
  6. Was die Möglichkeit zu klagen betrifft, sollten wir uns nicht den Kopf zerbrechen. Wir selbst können nicht klagen, und wir können auch mit Sicherheit die Regierung nicht zu einer gemeinsamen Klage bewegen. Außerdem spricht auch die Höhe des Risikos eines negativen Ausgangs gegen jede Aufforderung zur Klage.
  7. Die SPD soll uns sagen, worauf sie ihren Anspruch auf Weiterbau auf Kosten der Bahn gründen will, oder sie soll den von Kretschmann am 04.03. der Bahn angebotenen „konstruktiven Gesprächen über ein Alternative zu Stuttgart 21“ zustimmen.   Die Alternative zu solchen Gesprächen wäre sonst nur noch, dass die SPD zusammen mit der CDU politisch die Finanzierung der Mehrkosten durch das Land betreibt. Schmiedel hat das ja Kretschmann bereits angedroht. Auch dafür wäre der Klageweg viel zu riskant, und politisch wäre das wohl Harakiri. Dem können die Grünen also gelassen entgegen sehen.
  8. Als einzige rationale Lösung bleibt die Möglichkeit der einvernehmlichen Beendigung des Projekts, und für eine solche spricht alles.
  9. Das heikelste Thema auf dem Verhandlungsweg wäre sicherlich die Aufteilung der aufgelaufenen Kosten. Die aber haben bisher mit Sicherheit nicht annähernd die Höhe der zu erwartenden Mehrkosten erreicht. Und  selbst wenn es bereits zwei Milliarden wären, von denen beide Seiten je eine zu tragen hätte, so stünde dem auf Seiten des Landes immer noch ein erhaltener, funktionstüchtiger Kopfbahnhof gegenüber, also keineswegs ein oder zwei Milliarden „für nichts“
  10. Wir sollten die Publizierung dieser Überlegungen und Vorschläge nicht den Grünen überlassen, die ihre Koalitionsrücksichten zu nehmen haben, sondern selbst in die Hand nehmen, nicht nur über die Print- und TV-Medien, sondern auch über die sozialen Medien wie Facebook und Twitter. Wir sollten sie z. B. durch Umfragen und Unterschriftenlisten bekannt machen, um so politischen Druck auf die SPD und die Bahn in Richtung einer rationalen Lösung und mindestens erst einmal eines  Projektstopps auszuüben. 



Mittwoch, 12. Juni 2013

(9.2) Zur Lage und Taktik 9.2: Zur Rolle Schmiedels und der SPD

Zur Lage und Taktik 9.2                                                                                 12. Juni 2013
(Vorweg eine Anmerkung zu meinem Vergleich  in 9.1 zwischen der Petition des Landtags an die Deutsche Bahn und dem Vater unser, der missverstanden werden könnte: Die Bittschrift des Landtags hat mich an das würdige Gebet erinnert. Die Deutsche Bahn ist jedoch keine überirdische Macht, deren Willen wir ausgeliefert sind. Wir können uns ihr allenfalls aus mangelndem Mut ausliefern, und das hat der Landtag mit dem Blankoscheck in unserem Namen meines Erachtens unnötiger Weise getan.) 
Zur Rolle Schmiedels und der SPD

Es gibt, wie die Dinge bisher nun einmal gelaufen sind,  im Grunde keine verbindliche vertragliche Regelung mehr für die Finanzierung von Stuttgart 21. Wichtige Pflichten oder Rechte wurden  im Finanzierungsvertrag mit dem Zweck der Kostenverschleierung nicht klar definiert, sondern nur angedeutet. Auch die sogenannte Projektförderpflicht (FinV. § 16) ist längst ein totgerittenes Pferd, da auch sie im Vertrag nicht definiert und außerdem inzwischen von beiden Seiten (von der Bahn durch „Kostenexplosionen, vom Land z. B. durch den Kostendeckel oder auch die Volksabstimmung) ignoriert wurde, ohne dass sich die jeweils andere Seite dagegen zur Wehr gesetzt hätte, wohl wegen des juristisch dilettantisch gemachten Vertrags. Deswegen wird über S21 machtpolitisch entschieden werden. Das Zünglein an der Waage ist dabei die SPD, die den schmutzigen Job der CDU übernommen hat. Nachdem mit dem Faktenscheck im Herbst des Jahres 2010 der Blankoscheckcharakter des Vertrags ruchbar geworden war, bekennt sich die SPD zum Projekt, ohne sich zum Vertrag zu bekennen. Die SPD hat erkannt, dass ein höherer als der im Vertrag vereinbarte Preis nicht öffentlich vertretbar ist und allenfalls heimlich oder doch wenigstens unauffällig, z. B.  häppchenweise über 10 bis 15 Jahre verteilt gezahlt werden könnte.   Zur Veranschaulichung der Politik der SPD ein trauriges aktuelles Beispiel.

Der Geisterfahrer, der alle anderen auf der falschen Spur wähnt

Am Vorabend der Sitzung des Bahnaufsichtsrats vom 05. März 2013 unterbreitet MP Kretschmann dem stellvertretenden Bahnaufsichtsratsvorsitzenden Alexander Kirchner schriftlich ein Angebot zu „konstruktiven  Gesprächen über Alternativen zu Stuttgart 21“. Ein mutiger Schritt nach vorn, falls nicht wieder nur taktisches Manöver.
Prompt tobt  Staatsmann Schmiedel,  das sei ein „beispielloser Affront“ Kretschmanns gegenüber dem Koalitionspartner SPD. Der grüne Ministerpräsident habe zu einer solchen Einladung „keine Vollmacht“. „Koalitionskonsens sei schließlich: Die Volksabstimmung gilt, der Bahnhof wird gebaut.  Was er zu erwähnen „vergisst“: Der Bahnhof kann wohl nur seriös gebaut werden, wenn er auch seriös finanziert ist. (Süddeutsche  am 03.2013 unter der Überschrift „Kalkulierte Wut im schwäbischen Dramolett“)
Um den weiter denkenden Koalitionspartner nicht am Reden, sondern auch am Nachdenken zu hindern, setzt er noch eins drauf: Sollte der Aufsichtsrat sich von S21 verabschieden wollen, würde die SPD zusammen mit der Opposition ‚die Landesregierung beauftragen, die Deutsche Bahn auf Vertragserfüllung zu verklagen’“. Bevor ich auf diese angebliche Pflicht der Bahn zurückkomme, etwas zu den Umgangsformen des Claus Schmiedel: Er verpasst dem amtierenden Ministerpräsidenten und Chef des Koalitionspartners in aller Öffentlichkeit einen Maulkorb.  Dann beklagt sich über dessen angeblich „beispiellosen Affront“ und droht ihm in einem eigenen nun wirklich „beispiellosen Affront“ darüber hinaus größenwahnsinnig die Erpressung  und Kündigung der Koalition mit Hilfe der CDU an, die vermeintlich auch nach seiner Pfeife zu tanzen hat. Die Wochenzeitung KONTEXT formulierte neulich treffend, Schmiedel sei  ein „Geisterfahrer, der alle anderen auf der falschen Spur wähnt“. So hat er ja auch gerade erst die Bahn der „Fundamentalopposition“ bezichtigt, wie die Grünen, weil sie ihm die Sprechklausel nicht verkaufen wollte. Schmiedel ist koalitionsunfähig. Nicht einmal mit der Bahn kann er es, und so einer führt das Land am Nasenring!  Was ist das für ein Land? SOS!
Die Volksabstimmung und die Mehrkosten

Ein Beispiel juristischer und politischer Orientierungslosigkeit ist auch die Volksabstimmung, mit deren Hilfe die Verantwortung für den Finanzierungsvertrag den Bürgern aufgehalst wurde. In ihrer Begründung durch die Regierung hieß es zunächst vollkommen richtig:
Wenn aber weder das Land noch Deutsche Bahn AG bereit sind, die zu erwartenden Mehrkosten zu tragen, ist die Finanzierung des Vorhabens und damit seine Realisierbarkeit nicht mehr gewährleistet. Dies führt dazu, dass die Geschäftsgrundlage entfallen ist. Vom Land kann ein Festhalten an dem Finanzierungsvertrag nicht mehr verlangt werden Das Land kann nicht weitreichende Baumaßnahmen abwarten, um dann nach dem Prinzip der normativen Kraft des Faktischen in eine unabschätzbare Kostendynamik eingebunden zu werden (S.15)“
Genau das geschieht zurzeit: Dank SPD und Koalitionsvertrag darf die Bahn die Baumaßnahmen fortsetzen und dabei auf den Blankoscheck der Regierung Oettinger bauen. Und so waltet die „unabschätzbare Kostendynamik“.
Dann aber heißt in der Begründung fataler Weise auch:
„Der Anspruch des Landes richtet sich auf eine Anpassung des Vertrages dahingehend, dass weitere Kostensteigerungen über die verabredete Obergrenze von 4,526 Mrd. Euro hinaus in vollem Umfang von der Deutschen Bahn AG zu finanzieren sind.
Mit dieser Forderung hat sich die Landesregierung jedoch, zweifellos auch das unter Führung der SPD,  ins Unrecht gesetzt, juristisch und moralisch-politisch. Diese Forderung widerspricht dem von der SPD, wenn’s passt, doch so hoch gehaltenen Vertrag diametral. Zwischen Mehdorn und Oettinger bestand unübersehbar Einigkeit darüber (§ 2,2), dass das Projektrisiko nicht von der Bahn getragen werden sollte, und die SPD hat der verschleierten Vereinbarung, dass das Land mit Stadt und Region das Kostenrisiko tragen sollte,  zugestimmt! Sonst hätte es auch des „Vaterunsers“ an die Bahn nicht bedurft. Aber ganz abgesehen davon: Mit welchem Recht fordert nun das Land Baden-Württemberg, vertreten durch die SPD, halsstarrig   von anderen Bundesländern oder dem Bund, dass sie in Form weiterer Staatsverschuldung oder auch für ihre Bürger angehobener Bahntarife  den Kopf hinhalten für  die von den schwäbischen Alleskönnern vergeigte Finanzierung ihres unterirrdischen Lustschlosses? Wenn sie  die Bahn auf Vertragserfüllung verklagen will, dann verlangt sie damit auch, dass wir die Mehrkosten tragen. Nur zu! Auf zur nächsten Geisterfahrt, SPD! Von Bund und Bahn bekommen wir die Finanzierung sicherlich nicht geschenkt. Wenn die SPD in dieser Situation weiter am Projekt festhält, dann geht sie für die reichste Region der Republik auf Betteltour oder sie verrät den Kostendeckel. Eine Klage vor Gericht würde nur dann nur noch Sinn machen, wenn sie selbst auf die eigene Niederlage, also die Verpflichtung des Landes zur Kostenträgerschaft hinauswollte. Dann bekäme sie vielleicht ihr Projekt und seine Finanzierung und wäre die Verantwortung für die Finanzierung der Mehrkosten durch das Land los. Die trüge dann die Justiz. Könnte die SPD so etwas vorhaben?
Ehrlich und rechtschaffen wäre allein das zumindest stillschweigende Eingeständnis der eigenen Verantwortung für das Fehlen der Finanzierung und die Bereitschaft, das nun einmal zu teure Projekt aufzugeben.  Dann könnte man die bisher und durch den Rückbau  entstandenen Kosten zwischen Bahn, Land und Stadt,  wie im Finanzierungsvertrag (§ 2,2) ursprünglich vorgesehen, zum Beispiel im Verhältnis von 6 zu 4 aufzuteilen.
Und sollte die Beerdigung des Projekts Stadt und Land wirklich 1,5 Mrd. € kosten: Die Parole der Projektbetreiber vor der Volksabstimmung „1,5 Milliarden für nichts!“ war das Dümmste und Verlogenste, was ich je gehört habe. Schließlich behalten wir dann den Kopfbahnhof, und der und sein Ambiente sind  nun einmal  mehr Wert als 1,5 Milliarden €!

Mittwoch, 5. Juni 2013

(9.1) Zur Lage und Taktik 9.1: Oettingers Verantwortung für die Kostenexplosionen

Oettingers Verantwortung für die Kostenexplosionen
Reinhart.vowinckel@web.de               http://vowinckel.blogspopt.de   28. Mai 2013
Zur Lage und Taktik 9.1
Seit dem Aufsichtsratsbeschluss der Deutschen Bahn AG am 05. März, so habe ich den Eindruck, haben noch einmal viele Mitkämpfer das Vertrauen verloren, dass der Bau des Tiefbahnhofs noch verhindert werden kann. Aber es gibt einen ganz einfachen Umstand, der gegen die Unumkehrbarkeit spricht: Das Projekt ist bisher nicht finanziert. Die im Dezember in seinem Offenbarungseid von Bahnchef Grube  eingestandenen zwei Milliarden € an Mehrkosten sind bei weitem noch nicht das Ende der Kostenfahnenstange, und noch nicht einmal die zwei Milliarden sind bisher finanziert. Bund und Bahn haben sie lediglich „vorfinanziert“, bis endgültig geklärt ist, dass das Land mit seinen Partnern die Mehrkosten zu tragen hat. Im folgenden Statement werde ich zeigen, wie wir in dieser Sache im Wahlkampf erfolgversprechend politisch vorgehen können. So wie in diesem Teil meines Statements (9.1) die Auseinandersetzung mit dem auf dem Mist der CDU gewachsenen Finanzierungsvertrag im Mittelpunkt steht, so wird im Mittelpunkt des zweiten Teils (9.2), der in einigen Tagen folgen wird, die Auseinandersetzung mit der SPD als „Statthalter“ der CDU im Mittelpunkt stehen. Ich stelle meinen Darlegungen eine These voran:
Der Finanzierungsvertrag (FinV) mit seiner absurden Sprechklausel ist auf Täuschung und Betrug Dritter, vor allem des Landtags angelegt. Gestützt auf ihn wird es keine Lösung des Konflikts zwischen Land und Bahn und keinen Frieden im Land geben.  
Für das Informationsniveau und die Orientierungslosigkeit vieler  Abgeordneter oder z. B. auch des OB will ich vorweg vier Beispiele geben, drei Beispiele zum Thema Finanzierung und eines zum Thema Technik und Leistung.

Missunderstandings

Um die „Alternativlosikgeit“ von S21 noch einmal eindringlich zu zeigen, behauptete der  SPD-Sprecher Wolfgang Drexler in der Sitzung des Landtags vom 13. Mai 2009, an die Grünen im Landtag gewandt, zur Alternative K21:
„Wir müssten neue Gleise ins Neckartal legen, um den Kopfbahnhof auf 38 Züge pro Stunde zu ertüchtigen. Jetzt hat er gerade 25 Züge pro Stunde. Der Durchgangsbahnhof hat 51 Züge pro Stunde. Wir bauen den Bahnhof ja nicht für die nächsten zehn, sondern für die nächsten 150 Jahre.“ http://landtag-bw.de/Wp14/Plp/14_0066_23052009.pdf/ S_4755

Ähnlich orientierungslos zeigte sich der Landesfraktionsvorsitzende der CDU Peter Hauk  am 15.10.2010 im Rahmen einer öffentlichen Parteiveranstaltung:
“Ob das jetzt 10 oder 15 Milliarden kostet, kann Baden-Württemberg wurscht sein. … Die neueste Kalkulation lautet sieben Milliarden. Das müssen Sie nicht akzeptieren, aber das ist so… Wenn jemand sagt, woanders fehlten die Mittel, in den Schulen, bei der S-Bahn, dann ist das alles Kokolores. Es fehlt überhaupt nichts.“ http://www.hirschbergblog.de/2010/10/25/cdu-spitzenpolitiker-peter-hauk-ob-das-10-oder-15-milliarden …/ 

Fast inhaltsgleich das Glaubensbekenntnis des Stuttgarter Bundestagsabgeordneten, Mitglied des Bundestags-Verkehrsausschusses und CDU-Kreisvorsitzenden Stefan Kaufmann:
Als Stuttgarter sage ich aber: Auch wenn es richtig teuer wird – wir sollten es machen. Wir zahlen Milliarden in den Länderfinanzausgleich. Jetzt kriegen wir einmal was zurück – und dann wollen wir es nicht haben.“ (Die Zeit online: „Vorbei aber nicht überstanden“– http://www.zeit.de/2013/08/Stuttgart-21-Konflikt-Zukunft/komplett...)  

Und OB Schuster am 29.07.2009 vor dem Gemeinderat (Betreff:Stuttgart21 Anträge Nrn.277, 278, 285 und  286/2009):
„Aufgabe der Bahn ist, das Bahnprojekt umzusetzen. Das Risiko sollte daher grundsätzlich beim Bauherrn, nämlich der Deutschen Bahn,  bleiben.“ Nur dass das Risiko  bereits nicht mehr dort lag. 

Die Irreführung und Verführung zum überstürzten Vertrag

Was ist eine Entwurfsplanung?

Um die folgende Darstellung und Wüdigung der drei Finanzierungsverträge zu Stuttgart 21 verstehen zu können, sollten Sie, lieber Leser, liebe Leserin, den Begriff der Entwurfsplanung  kennen. Er taucht nicht zufällig auch an markanter Stelle im  Finanzierungsvertrag (§ 2,2) auf (s. u.). Der Begriff der Entwurfsplanung  entstammt der „Honorarordnung für Architekten und Ingenieure“ (HOAI):
Architekten und Bauingenieure gliedern den Fortschritt der Leistungen im Rahmen eines Bauprojekts in 9 Phasen, von denen die Entwurfsplanung die dritte ist (1. Grundlagenermittlung, 2. Vorplanung, 3. Entwurfsplanung, 4. Genehmigungsplanung, 5. Ausführungsplanung …) In der „Vorplanung“ (Phase 2) findet (laut Wikipedia) u. a. eine Kostenschätzung statt. Der „Entwurfsplanung“ (Phase 3) jedoch liegen die Planfeststellungsbeschlüsse zugrunde. Erst sie ermöglichen eine belastbare Kostenberechnung und eine Kostenkontrolle durch Vergleich der Kostenberechnung mit der bloßen Kostenschätzung in Phase 2.  (In der Phase 2 darf man sich noch „verschätzen“, was gut ist, wenn man mit einem niedrig gepreisten Angebot einen Auftrag ergattern will. In der Phase 3 jedoch wird nachprüfbar berechnet. Deswegen geschehen hier bei einem Projekt wie S21, natürlich „völlig überraschend“ und „nicht vorhergesehen“, die „Explosionen“, die „Explosionen der Wahrheit“.)

Welche Rolle spielte nun die Entwurfsplanung in der Geschichte des Finanzierungsvertrags?

1.  Die nach wie vor gültige  Rahmenvereinbarung  von 1995
Erstens:„Die Gesamtkosten des Projekts sind mit 4,893 Mrd. DM veranschlagt.“ (DM, nicht Euro!) § 3(1)
Zweitens: „Die Deutsche Bahn AG ist für die Einhaltung dieser Gesamtkosten … verantwortlich.“(§ 3,2)
Drittens:„Alle Beteiligten sind sich darüber einig, daß für das Gesamtprojekt eine Finanzierungsvereinbarung nach Abschluß des Planfeststellungsverfahrens zu treffen ist.“(§ 6) 
a. Das Kostenrisiko sollte also die Bahn als Bauherr tragen und nicht, wie heute, Land, Stadt usw. (vergl. Information Schusters im Gemeinderat, s. o. )
b. Eine Finanzierungsvereinbarung sollte erst nach Abschluss der Planfeststellung, also auch der Phase der Entwurfsplanung stattfinden. (Damals  lief es noch nach der Art ehrbarer Kaufleute.)

2.  Das „Memorandum of  Understanding“ vom 19.07.2007

Erstens: (III. 1): „Für die Deutsche Bahn AG … und den Bund als Alleingesellschafter der Deutschen Bahn AG ist es im Hinblick auf die Zukunft des Unternehmens von besonderem Interesse , dass für die DB aus der Realisierung des Gesamtvorhabens keine unkalkulierbaren Risiken entstehen und dass die Wirtschaftlichkeit dargestellt ist.“
Diese Bemerkung findet sich inhaltsgleich dann auch in der Finanzierungsvereinbarung zwei Jahre später (dort § 2,2). Die Wirtschaftlichkeit ist übrigens inzwischen laut Bahn nicht mehr gegeben!
Hier beginnen bereits die seltsamen Formulierungen. Der obige Satz soll sagen, Kostenrisiken sollten nicht von der schutzbedürftigen Bahn getragen werden. Da bleiben dann nur noch die Projektpartner. Es wird jedoch nicht definitiv vereinbart, dass die Bahn kein Risiko trägt und dass das die „Partner“ tun.
Zweitens: „Der Finanzierungsvertrag für Stuttgart 21 und die Neubaustrecke Wendlingen-Ulm soll zeitnah abgeschlossen werden.“ (IV.), also plötzlich nicht mehr nach der Planfeststellung oder Entwurfsplanung,   sondern zu einem willkürlichen Termin.  
Drittens: „Die Kosten für das Projekt betragen voraussichtlich rd. 2,8 Mrd. €.“ (III. 3)
Viertens : „… Bei einer Kostensteigerung von über 1 Mrd. € übernehmen die DB AG (vorrangig) und Land davon jeweils bis zu 160 Mio €. Bei darüber hinausgehenden Kostensteigerungen werden  DB AG und Land Gespräche aufnehmen. DB, Land, Stadt und Region vereinbaren darüber hinaus einen gemeinsamen Lenkungskreis zur Kostenauditierung und zur Mehrkostenbegrenzung.“ (III.5) Der Lenkungskreis wurde also nicht für Beschlüsse zur Mehrkostenübernahme, sondern zur Kostenbegrenzung (= Sparen) beschlossen.

3.  Der Finanzierungsvertrag vom 02.04.2009

Erstens: Die Bahn sollte als gewinnorientiertes Wirtschaftsunternehmen die Mehrkosten nicht tragen. Da blieben, wenn Projekt zu teuer, nur noch die Steuerzahler des Landes (siehe  schon im Memorandum).
Zweitens (neu): kein Kündigungsrecht und kein Recht auf Rückabwicklung (s. Memo sowie §§ 2, 8 und 15 FinV). Motto:  S 21 ist unumkehrbar. Oettinger hat sein Ziel erreicht.
Drittens: „Die Vertragsparteien verpflichten sich, das Projekt zu fördern.“ (§ 16, 10)
Viertens: Die Betrugsklausel (neu):
Für den Fall, dass nach Abschluss der Entwurfsplanung, spätestens jedoch bis zum 31.12.2009, eine Erhöhung der für das Projekt aufzuwendenden Gesamtkosten zu erwarten ist, welche zusätzlich die unter nachfolgendem § 8  Abs. 3 vereinbarten Beiträge übersteigt, werden die Vertragspartner Verhandlungen aufnehmen. [Sprechklausel]. Kann danach die Finanzierung nicht sichergestellt werden, wird das Projekt qualifiziert abgeschlossen. (Ausstiegsklausel, § 2,2)“
Ohne den unscheinbaren Einschub spätestens jedoch bis zum 31.12.2009  (Zum Zeitpunkt des FinV gab es von für das Projekt insgesamt 59 erforderlichen gerade einmal 7 Planfeststellungsbeschlüsse!)  hätte es zwar kein „ordentliches“ Kündigungsrecht mehr gegeben, aber doch noch weiterhin die Möglichkeit des „qualifizierten Abschlusses“ des Projekts, also des gemeinsamen Ausstiegs   wegen Unterfinanzierung und Aufteilung der entstandenen und noch entstehenden Kosten im Verhältnis von 60 % (Bahn) zu 40 % (Land).   
Der Vertrag hätte damals noch gar nicht abgeschlossen werden dürfen. Das heißt, weitere „Kostenexplosionen“ waren und sind immer noch programmiert. (Im Februar 2013 gab es laut Anton Hofreiter, Vorsitzender des Bundestags-Verkehrsausschusses 29 abgeschlossene Verfahren!)
Dass Oettinger die treibende Kraft bei dieser Hast war, geht aus Dokumenten jener Zeit hervor. Die Stuttgarter Zeitung hat im März noch einmal davon berichtet:
 „Schon im Herbst 2008 hatte Günther Oettinger im Lenkungskreis deutlich gemacht, dass er keine langen Kostendiskussionen wünsche. „Allein aufgrund der öffentlichen Debatte habe das Land großes Interesse  am schnellen Abschluss der Finanzierungsvereinbarung“, wurde er im Protokoll des Lenkungskreises wiedergegeben; das mache das Projekt unumkehrbar und helfe, die verunsicherten Bürger auf die Seite der Befürworter zu bringen“. (StZ, 15.03.2013)

Dementsprechend wurde die Ausstiegsklausel im Finanzierungsvertrag kurz aufgegriffen (dass nach Abschluss der Entwurfsplanung, spätestens jedoch bis zum 31.12.2009), um sie zu beerdigen; und damit jede Möglichkeit der Umkehr. Das steckte hinter der Aufforderung im Memorandum, den Finanzierungsvertrag „zeitnah“ abzuschließen und nicht nach der Berechnung der Kosten (Entwurfsplanung). Diese Wirkung bestätigte in der Sitzung des zuständigen Innenausschusses am 22. April 2009 (Lt-Drucksache 14/4411, S.2) auf einen Einwand von Seiten der Grünen hin  auch ein nicht namentlich genannten Abgeordneter der CDU: „Denn es sei in der Tat praktisch ausgeschlossen, dass bis zum Jahresende die für den Ausstieg erforderlichen Voraussetzungen erfüllt seien, sodass die entsprechende Klausel dann obsolet sei.“)
Und der Staatssekretär im Innenministerium Rudolf Köberle rechtfertigte das in der selben Sitzung: „…Weiter erklärte er, das Projekt sei seriös finanziert; denn auch für den Fall von Kostensteigerungen seien Regelungen enthalten, und zwar bis zu einer Höhe von mehr als einer Milliarde Euro. Darüber hinaus gehende Kostensteigerungen halte er für so unwahrscheinlich, dass es nicht sinnvoll wäre, prophylaktisch zu vereinbaren, wer sie gegebenenfalls zu tragen habe. Es bestehe Einigkeit in dem Wunsch, dass ein solcher Fall nicht eintrete.“  Diese Ablehnung von „Prophylaxe“, also kaufmännischer Risikominimierung war völlig verantwortungslos.
Und weiter heißt es dort:
 „…es gehe um eventuelle Kostensteigerungen resultierend aus dem Übergang von der dem Vertragswerk zugrunde liegenden Vorentwurfsplanung zur Entwurfsplanung. Derzeit gebe es keinen Anlass für Befürchtungen, dass Vorentwurfsplanung und Entwurfsplanung hinsichtlich der prognostizierten Kosten auseinanderliefen, und schon gar nicht zeichne sich eine so starke Abweichung ab, dass ein Wirksamwerden der erwähnten Klausel möglich würde.“
Die Aussage Köberles bestätigt, dass dem Finanzierungsvertrag nicht eine Entwurfsplanung, sondern deren Vorstufe, eine Vorentwurfsplanung zugrunde lag,  dass im Vertrag die genannten Zahlen also nicht belastbar waren, was sich ja auch nur zu bald bestätigte.
So ist der Hauptverantwortliche für die „Kostenexplosionen“ wohl auch nicht die Deutsche Bahn, sondern die Regierung Oettinger, die bei den überforderten Abgeordneten im Landtag einen voreiligen Vertragsabschluss durchdrückte.

Das „Eckpunktepapier“  und das Vater Unser

Welche Ausmaße dieser Druck angenommen haben muss, zeigt ein Landtagsbeschluss vom 24. Juli 2007. Mit den Stimmen von CDU, FDP/DVP und SPD verabschiedete der Landtag von Baden-Württemberg entgegen den Warnungen der Grünen das gemeinsam eingebrachte „Eckpunktepapier(abgeordnetenwatch.de/zustimmung_zu_den_eckpunkten_von_stuttgart_21_wendlingen_ulm-518-240.html):
Mit ihm  segnete der Landtag damals das 5 Tage zuvor von der Landesregierung unterzeichnete Memorandum of Missunderstanding ab. Unter Punkt 3 heißt es in ihm:
„Der Landtag fordert den Bund und die Deutsche Bahn AG auf, das bis an die Grenze der Belastbarkeit [damals 2,8 Mrd. €] gehende finanzielle Engagement des Landes zu würdigen und im Zuge der Umsetzung keine weiteren Nachforderungen mehr zu stellen.“
Das geschah zwei Jahre vor dem FinV! Ein denkwürdiger Beschluss, denkwürdig leider vor allem, weil so unendlich peinlich. Für mich klingt das wie eine religiöse Fürbitte nach dem Vorbild des „Vater unser im Himmel! Geheiligt werde dein Name. Dein Reich komme. Dein Wille geschehe … und erlöse uns von dem Übel …“ Sie klingt wie eine Abdankungserklärung. Eine tief gehende Verwirrung und Verirrung der parlamentarischen Demokratie im Ländle. Die eigene Verantwortung gegenüber dem Staat und dem Land wird von den Abgeordneten der drei Altparteien einem Logistikunternehmen anvertraut. Dabei ist die Bahn AG doch ein Konzern, der Profite zu machen hat (s. Memorandum III,1) und kein Wohltätigkeitsverein. Rein rechtlich gesehen ist die Aufforderung an die Adresse der Bahn, doch bitte keine Nachforderungen mehr zu stellen, auch noch Aufforderung zur Untreue des Bahnvorstands nach § 266 Strafgesetzbuch. Ich hoffe, die Beteiligten empfinden, wenn sie sich dem Blick in die Vergangenheit stellen, Scham. Ich jedenfalls empfinde, obwohl ich nicht beteiligt war, Scham. Das nennt man wohl Fremdscham. Richtiger wäre mutiges Beharren auf einer bis zur kompletten Entwurfsplanung  zeitlich nicht begrenzte Ausstiegsklausel gewesen.   Die Beteiligten sollten versuchen, das wieder gut zu machen.