Samstag, 21. November 2015

Die versuchte Zähmung des Wolfes


Die versuchte Zähmung des Wolfes
War die „Sitzblockade“ am Schwarzen Donnerstag eine erlaubte Versammlung?
2. Kommentar zur zweiten Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am 11.11.2015 um 10 Uhr

v. i. S. d. P. reinhart.vowinckel@web.de http:// vowinckel.blogspot.de 09.11.2015

Am kommenden Mittwoch (11.11.2015, 10.00 Uhr) geht die Gerichtsverhandlung über den „Schwarzen“ oder „Roten Donnerstag“ vor fünf Jahren vor dem Stuttgarter Verwaltungsgericht in die zweite Runde. Endlich ist es einigen Mitstreitern gelungen, die damaligen Ereignisse vor ein Gericht zu bringen.
Am 30.09.2010 „veranstalteten“ Tausende von Stuttgartern vom Rentner bis zur Schülerin aus akutem Anlass zum Ausdruck ihres Protestes gegen ein ihrer Überzeugung nach asoziales Großprojekt eine spontane, Aufsehen erregende Sitzdemonstration.
In der Tradition der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wird die Landesregierung versuchen, auch diese „Sitzblockade“ als Aktion eines rechtswidrigen und damit strafbaren, weil angeblich gewalttätigen bürgerlichen Ungehorsams zu kennzeichnen. So dürfte sie das blutige und von der weiteren Wahrnehmung des Versammlungsrechts durch die Stuttgarter Protestbewegung ostentativ und möglichst endgültig abschreckende Vorgehen des Stuttgarter Polizeipräsidiums rechtfertigen.

Im Mittelpunkt des Verfahrens wird und darf jedoch auf der anderen Seite nun nicht etwa die Brutalität des Polizeieinsatzes stehen. Der ist lediglich ein Symptom eines letzten Endes gegen das Versammlungsrecht und damit gegen das Grundgesetz gerichteten „Staatsaktes“. Für die Auflösung einer Versammlung bedarf es laut Verfassungsgericht nun einmal eines vorherigen „Verwaltungsaktes“ der zuständigen Ordnungsbehörde. Ein solcher Beschluss lag jedoch meines Wissens nicht vor. Die Vorschrift eines solchen mit der Anhörung beider Seiten verbundenen Verwaltungsaktes ist im Grunde eine Institution direkter Demokratie wie auch das gesamte Versammlungsrecht. Allenfalls der Nachweis einer akuten Gefährdung der Sicherheit des Staates (siehe „Rahmenbefehl“ des Innenministeriums) oder von Leben oder Gesundheit Dritter hätte das Vorgehen von Polizeipräsidium und Staatsanwaltschaft eventuell rechtfertigen können. Eine solche Gefährdung ging jedoch nur von Polizei und anwesender Staatsanwaltschaft aus. Und
Die bloße Gefährdung der öffentlichen Ordnung kann ein Versammlungsverbot … grundsätzlich nicht rechtfertigen ...“ (Verfassungsgericht im Jahr 2007 im Heiligendamm-Urteil Abs. 26).

Nun noch weitere Informationen zum Versammlungsrecht. Im ersten Absatz von Artikel 8 GG heißt es:
(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.
Zum Schutz des Rechts auf freie Versammlungen hat das Verfassungsgericht ergänzt:
Der Schutz ... umfasst vielfältige Formen gemeinsamen Verhaltens bis hin zu nicht verbalen Ausdrucksformen, darunter auch Sitzblockaden (Frankfurt – Air Base – Urteil Abs. 32).“
„Sitzblockaden“ wurden jedoch vom BGH im Laepple-Urteil als „Gewaltakte“ und „Terror“ militanter Minderheiten stigmatisiert. Demgegenüber erweiterte das Verfassungsgericht bereits im Wackersdorf-Urteil:
Mit der Ausübung des Versammlungsrechts sind häufig unvermeidbar gewisse nötigende Wirkungen in Gestalt von Behinderungen Dritter verbunden (...). Derartige Behinderungen Dritter und Zwangswirkungen sind durch Art. 8 GG gerechtfertigt, soweit sie als sozial-adäquate Nebenfolgen mit rechtmäßigen Demonstrationen verbunden sind (…) (Wackersdorf-Urteil des BVerfG vom 14.10.2001 Abs. 51).
Eine absolutistische Gegenposition zum Grundgesetz bezog jedoch im Jahr 1969 der Bundesgerichtshof:
Niemand ist berechtigt, tätlich in die Rechte anderer einzugreifen, insbesondere Gewalt zu üben, um auf diese Weise die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit zu erregen und eigenen Interessen oder Auffassungen Geltung zu verschaffen (Laepple-Urteil BGH Abs. 16).
Mit ähnlicher grundgesetzwidriger Argumentation werden noch heute Sitzdemonstrationen strafrechtlich verfolgt. Demgegenüber stellte das Verfassungsgericht fest, dass die Verfolgung der Absicht, durch eine Versammlung Aufmerksamkeit zu erregen, gerade zum Kern des Versammlungsrechts gehört.
Hier nun einige weitere Informationen auch zum Recht auf spontane Versammlungen. Der zweite Absatz von Artikel 8 lautet:
(2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.
In § 14 des die Versammlungsfreiheit einschränkenden Versammlungsgesetzes von 1953 heißt es dazu u.a.:
(1) Wer die Absicht hat, eine öffentliche Versammlung unter freiem Himmel oder einen Aufzug zu veranstalten, hat dies spätestens 48 Stunden vor der Bekanntgabe der zuständigen Behörde unter Angabe des Gegenstandes der Versammlung oder des Aufzuges anzumelden.
Gegen diese gesetzliche Bestimmung haben die Stuttgarter Demonstranten meines Wissens am 30.10.2010 tatsächlich verstoßen, und auf diesen Umstand vor allem dürfte die Landesregierung in ihrer Rechtfertigung des Versuchs, die Sitzdemonstration aufzulösen, auch abheben. Die meisten Demonstranten sind an jenem Morgen zu den Bäumen geeilt, nachdem per Mail, Handy und Hörensagen aufgerufen worden war, dort gemeinsam gegen die überraschend und rechtswidrig für den nächsten Tag geplante Fällung der Bäume zu protestieren; andere wie ein Stuttgarter Richter sind zufällig hinzu gestoßen. Das heißt jedoch noch lange nicht, dass sie nicht ohne Anmeldung demonstrieren durften. Dem Verstoß gegen das Versammlungsgesetz steht gegenüber, dass die Polizei eine Versammlung überhaupt nur dann auflösen darf, wenn dafür ein Beschluss der Ordnungsbehörde vorliegt, den sie vollstrecken darf, und der lag meines Wissens nicht vor.
Grundrechte stehen über einfachem Recht. Zum „einfachen“ Recht gehören auch das Versammlungsgesetz oder die Strafgesetze. Wenn wir sie verletzen, haben wir noch längst nicht den Schutz eines Grundrechts verloren. So heißt es z. B. Im ersten Urteil des BVerfG zum Versammlungsrecht u.a. :
Das Fehlen eines gesamtverantwortlichen Anmelders hat lediglich zur Folge, daß die Eingriffsschwelle der zuständigen Behörde bei Störungen - ähnlich wie bei einer Spontandemonstration - absinken kann, sofern die Behörde ihrerseits alles getan hat, um in Erfüllung ihrer Verfahrenspflichten - etwa durch ein Angebot zur fairen Kooperation - die Durchführung einer friedlich konzipierten Demonstration zu ermöglichen (Brokdorf-Urteil Abs. 89).“
Mit anderen Worten: Spontanität und Mangel an Organisation allein heben das Recht auf eine Versammlung noch nicht auf. Auch spontane, nicht entsprechend § 14 VersG angemeldete Versammlungen genießen prinzipiell den Schutz von Artikel 8 GG.
Die staatlichen Behörden sind gehalten, nach dem Vorbild friedlich verlaufender Großdemonstrationen versammlungsfreundlich zu verfahren und nicht ohne zureichenden Grund hinter bewährten Erfahrungen zurückzubleiben. Je mehr die Veranstalter ihrerseits zu einseitigen vertrauensbildenden Maßnahmen oder zu einer demonstrationsfreundlichen Kooperation bereit sind, desto höher rückt die Schwelle für behördliches Eingreifen wegen Gefährdung der öffentlichen Sicherheit (Brokdorf-Urteil BVerfG 3. Leitsatz).“

Und zum guten Schluss:
Die in § 15 VersG als Schranke im Sinne des Art. 8 Abs. 2 GG enthaltene Ermächtigung zur Gefahrenabwehr sieht für Eingriffe in die Versammlungsfreiheit die Form des Verwaltungsakts vor, dessen Erlass zudem im Ermessen der Versammlungsbehörde steht. … Die behördliche Entscheidung konkretisiert die Rechte und Pflichten der Versammlungsteilnehmer (Wackersdorf-Urteil Abs. 48).“

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