Die
versuchte Zähmung
des Wolfes
War
die „Sitzblockade“ am Schwarzen Donnerstag eine erlaubte
Versammlung?
2.
Kommentar zur zweiten
Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am 11.11.2015 um 10 Uhr
v.
i. S. d. P. reinhart.vowinckel@web.de
http://
vowinckel.blogspot.de 09.11.2015
Am kommenden
Mittwoch (11.11.2015, 10.00 Uhr) geht die Gerichtsverhandlung über
den „Schwarzen“ oder „Roten Donnerstag“ vor fünf Jahren vor
dem Stuttgarter Verwaltungsgericht in die zweite Runde. Endlich ist
es einigen Mitstreitern gelungen, die damaligen Ereignisse vor ein
Gericht zu bringen.
Am
30.09.2010 „veranstalteten“ Tausende von Stuttgartern vom Rentner
bis zur
Schülerin
aus
akutem Anlass zum
Ausdruck ihres Protestes gegen ein ihrer
Überzeugung nach asoziales
Großprojekt eine spontane, Aufsehen
erregende Sitzdemonstration.
In
der Tradition der
Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs wird
die Landesregierung versuchen,
auch
diese
„Sitzblockade“
als
Aktion eines rechtswidrigen und damit strafbaren, weil
angeblich gewalttätigen bürgerlichen
Ungehorsams zu kennzeichnen. So
dürfte sie
das
blutige und
von der weiteren
Wahrnehmung
des Versammlungsrechts durch die Stuttgarter Protestbewegung
ostentativ und
möglichst endgültig abschreckende
Vorgehen
des
Stuttgarter Polizeipräsidiums rechtfertigen.
Im
Mittelpunkt des Verfahrens wird und darf jedoch auf der anderen Seite
nun nicht etwa die
Brutalität
des
Polizeieinsatzes stehen.
Der ist
lediglich ein Symptom eines letzten Endes gegen das Versammlungsrecht
und damit gegen das Grundgesetz gerichteten „Staatsaktes“. Für
die Auflösung einer Versammlung bedarf es laut Verfassungsgericht
nun
einmal eines
vorherigen „Verwaltungsaktes“ der zuständigen Ordnungsbehörde.
Ein solcher Beschluss lag jedoch meines Wissens nicht vor. Die
Vorschrift eines solchen mit der Anhörung beider Seiten verbundenen
Verwaltungsaktes ist im Grunde eine Institution direkter Demokratie
wie auch das gesamte Versammlungsrecht. Allenfalls
der Nachweis einer akuten Gefährdung der Sicherheit des
Staates (siehe „Rahmenbefehl“ des Innenministeriums) oder von
Leben oder Gesundheit Dritter hätte
das Vorgehen von Polizeipräsidium und Staatsanwaltschaft eventuell
rechtfertigen
können. Eine
solche Gefährdung ging jedoch nur von Polizei und anwesender
Staatsanwaltschaft aus. Und
„Die bloße Gefährdung der öffentlichen Ordnung
kann ein Versammlungsverbot … grundsätzlich nicht rechtfertigen
...“ (Verfassungsgericht
im Jahr
2007 im Heiligendamm-Urteil Abs. 26).
Nun
noch weitere Informationen zum Versammlungsrecht. Im ersten Absatz
von Artikel 8 GG heißt es:
(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder
Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.
Zum
Schutz des Rechts auf freie Versammlungen hat das Verfassungsgericht
ergänzt:
„Der Schutz ... umfasst
vielfältige Formen gemeinsamen Verhaltens bis hin zu nicht verbalen
Ausdrucksformen, darunter
auch Sitzblockaden (Frankfurt
– Air Base
– Urteil
Abs.
32).“
„Sitzblockaden“
wurden jedoch vom BGH im Laepple-Urteil als „Gewaltakte“ und
„Terror“ militanter Minderheiten stigmatisiert.
Demgegenüber erweiterte das Verfassungsgericht bereits im
Wackersdorf-Urteil:
„Mit der Ausübung des
Versammlungsrechts sind häufig unvermeidbar gewisse nötigende
Wirkungen in Gestalt von Behinderungen Dritter verbunden (...).
Derartige Behinderungen Dritter und Zwangswirkungen sind durch Art. 8
GG gerechtfertigt, soweit sie als sozial-adäquate Nebenfolgen mit
rechtmäßigen Demonstrationen verbunden sind (…)
(Wackersdorf-Urteil des BVerfG vom 14.10.2001 Abs. 51).
Eine absolutistische Gegenposition zum Grundgesetz bezog jedoch im
Jahr 1969 der Bundesgerichtshof:
„Niemand ist berechtigt,
tätlich in die Rechte anderer einzugreifen, insbesondere Gewalt zu
üben, um auf diese Weise die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit zu
erregen und eigenen Interessen oder Auffassungen Geltung zu
verschaffen (Laepple-Urteil
BGH Abs. 16).“
Mit
ähnlicher grundgesetzwidriger Argumentation werden noch heute
Sitzdemonstrationen strafrechtlich verfolgt. Demgegenüber stellte
das Verfassungsgericht fest, dass die Verfolgung der Absicht, durch
eine Versammlung Aufmerksamkeit zu erregen, gerade zum Kern des
Versammlungsrechts gehört.
Hier
nun einige weitere
Informationen auch zum
Recht auf spontane Versammlungen. Der
zweite Absatz von Artikel 8 lautet:
(2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch
Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.
In §
14 des die Versammlungsfreiheit einschränkenden Versammlungsgesetzes
von 1953 heißt es dazu u.a.:
(1) Wer die Absicht hat, eine öffentliche Versammlung unter freiem
Himmel oder einen Aufzug zu veranstalten, hat dies spätestens 48
Stunden vor der Bekanntgabe der zuständigen Behörde unter Angabe
des Gegenstandes der Versammlung oder des Aufzuges anzumelden.
Gegen
diese gesetzliche Bestimmung haben die Stuttgarter Demonstranten
meines Wissens am 30.10.2010 tatsächlich verstoßen, und auf diesen
Umstand vor allem dürfte die Landesregierung in ihrer Rechtfertigung
des Versuchs, die Sitzdemonstration aufzulösen, auch abheben. Die
meisten Demonstranten sind an jenem Morgen zu den Bäumen geeilt,
nachdem per Mail, Handy und Hörensagen aufgerufen worden war, dort
gemeinsam gegen die überraschend und rechtswidrig für den nächsten
Tag geplante Fällung der Bäume zu protestieren; andere wie ein
Stuttgarter Richter sind zufällig hinzu gestoßen. Das heißt jedoch
noch lange nicht, dass sie nicht ohne Anmeldung demonstrieren
durften. Dem Verstoß gegen das Versammlungsgesetz steht gegenüber,
dass die Polizei eine Versammlung überhaupt nur dann auflösen darf,
wenn dafür ein Beschluss der Ordnungsbehörde vorliegt, den
sie vollstrecken darf, und der lag meines Wissens nicht vor.
Grundrechte
stehen über einfachem Recht. Zum „einfachen“ Recht gehören auch
das Versammlungsgesetz oder die Strafgesetze. Wenn wir sie verletzen,
haben wir noch längst nicht den Schutz eines Grundrechts verloren.
So heißt es z. B. Im ersten Urteil des BVerfG zum Versammlungsrecht
u.a. :
„Das
Fehlen eines gesamtverantwortlichen Anmelders hat lediglich zur
Folge, daß die Eingriffsschwelle der zuständigen Behörde bei
Störungen - ähnlich wie bei einer Spontandemonstration - absinken
kann, sofern die Behörde ihrerseits alles getan hat, um in Erfüllung
ihrer Verfahrenspflichten - etwa durch ein Angebot zur fairen
Kooperation - die Durchführung einer friedlich konzipierten
Demonstration zu ermöglichen
(Brokdorf-Urteil
Abs.
89).“
Mit anderen Worten: Spontanität und Mangel an Organisation allein
heben das Recht auf eine Versammlung noch nicht auf. Auch spontane,
nicht entsprechend § 14 VersG angemeldete Versammlungen genießen
prinzipiell den Schutz von Artikel 8 GG.
„Die staatlichen Behörden
sind gehalten, nach dem Vorbild friedlich verlaufender
Großdemonstrationen versammlungsfreundlich zu verfahren und nicht
ohne zureichenden Grund hinter bewährten Erfahrungen
zurückzubleiben. Je mehr die Veranstalter ihrerseits zu einseitigen
vertrauensbildenden Maßnahmen oder zu einer
demonstrationsfreundlichen Kooperation bereit sind, desto höher
rückt die Schwelle für behördliches Eingreifen wegen Gefährdung
der öffentlichen Sicherheit (Brokdorf-Urteil
BVerfG 3. Leitsatz).“
Und
zum guten Schluss:
„Die in § 15
VersG als Schranke im Sinne des Art. 8 Abs. 2 GG
enthaltene Ermächtigung zur Gefahrenabwehr
sieht für Eingriffe in die Versammlungsfreiheit die Form
des Verwaltungsakts vor, dessen Erlass zudem im Ermessen
der Versammlungsbehörde steht. … Die
behördliche Entscheidung konkretisiert die Rechte und Pflichten der
Versammlungsteilnehmer (Wackersdorf-Urteil
Abs. 48).“
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