Sonntag, 9. Februar 2014

Unsere Montagsdemos gehören vor allem vor den Bahnhof

      Unsere Montagsdemos gehören vor allem vor den Bahnhof

Statement II zum Thema Demonstrationsrecht  reinhart.vowinckel@web.de    08.01.2014

Zwei Falschmeldungen der letzten Tage, unseren Protest gegen S21 betreffend.
1. Die Stuttgarter Zeitung an Silvester:
Den S21-Gegnern sind die Montagsdemos auf dem Arnulf-Klett-Platz und auf der Schillerstraße vor dem Hauptbahnhof untersagt worden, weil sie regelmäßig erhebliche Verkehrsbehinderungen zur Folge hatten. Die Stadt hat die Kundgebungen daher nach dem Ende des Weihnachtsmarktes auf den Marktplatz verlegt.“
Das wäre jedenfalls rechtswidrig. Die Stadt darf verfassungsrechtlich prinzipiell keine Demo „verlegen“. Das können nur die Demonstranten:
Art. 8 Abs. 1 GG gewährleistet auch das Recht, selbst zu bestimmen, wann, wo und unter welchen Modalitäten eine Versammlung stattfinden soll.“ „Der sich Äußernde hat nicht nur das Recht, überhaupt seine Meinung kundzutun, sondern er darf hierfür auch die Umstände wählen, von denen er sich die größte Verbreitung oder die stärkste Wirkung seiner Meinungskundgabe verspricht (Abs. 97).“ (Bundesverfassungsgericht am 22.02.2011)
Die Stadt darf allerdings aus schwerwiegenden Sicherheitsbedenken heraus bestimmte Orte verweigern. Das gilt allerdings in der Regel auch nicht für alle Zeiten. Einen bestimmten Kundgebungsort vorschreiben kann sie hingegen nicht.
2. OB Kuhn in einem Interview mit der Badischen Zeitung vom 02.01.2014:
„Zeigen Sie mir, welche andere Stadt einen so prominenten Platz gemeint der Marktplatz) anbietet für eine Demonstration, nicht irgendwo, sondern im Herzen der Stadt.“
Mit einem Eigenlob versucht OB Kuhn sich der an ihm aufkommenden Kritik zu entziehen, aber auch das Eigenlob stinkt. Verfassungsrechtlich muss, ich wiederhole muss eine Stadt Kundgebungen gerade in ihrem Herzen zulassen. Auch dazu das Bundesverfassungsgericht:
„Vor allem innerörtliche Straßen und Plätze werden heute als Stätten des Informations- und Meinungsaustausches sowie der Pflege menschlicher Kontakte angesehen. (Abs.67).“
Demonstrationen sind eben für jede Stadt eine „Herzensangelegenheit“, ob sie will oder nicht.

Beide Meldungen sind Beispiele für tagtägliche Desinformation der Öffentlichkeit durch  Verwaltung, Medien  und Politiker. Das kann aber nur dem auffallen, der seine Rechte einigermaßen kennt. Wer sie nicht kennt, der kann sie auch nicht verteidigen, wenn sie angegriffen werden. Und das geschieht gerade im Zusammenhang mit S21 massiv.
Die Stadt kann eben nicht einen von uns angemeldeten Demonstrationsort einfach irgendwohin „verlegen“.
Sie kann lediglich einen Ort verweigern, und das nur aus Sicherheitsgründen und Gründen der Funktionstüchtigkeit öffentlicher Einrichtungen - und eben auch nicht aus Gründen der Unbequemlichkeit oder Belästigung. Auch dazu das BvG:
Eine Untersagung einer Versammlung kommt nur in Betracht, wenn eine unmittelbare, aus erkennbaren Umständen herleitbare Gefahr  für mit der Versammlungsfreiheit gleichwertige elementare Rechtsgüter vorliegt. Für das Vorliegen der ‚unmittelbaren’ Gefährdung bedarf es einer konkreten Gefahrenprognose. Bloße Belästigung Dritter, die sich aus der Gruppenbezogenheit der Grundrechtsausübung ergeben und sich ohne Nachteile für den Versammlungszweck nicht vermeiden lassen, reichen hierfür nicht. Sie müssen in der Regel hingenommen werden. Sind unmittelbare Gefährdungen von Rechtsgütern zu befürchten, ist diesen primär durch Auflagen entgegenzuwirken (Abs. 90).“(Entscheidung vom 22.02.2011).“

„ Die Bürger sollen damit selbst entscheiden können, wo sie ihr Anliegen – gegebenenfalls auch im Blick auf Bezüge zu bestimmten Orten oder Einrichtungen – am wirksamsten zur Geltung bringen können. (Abs. 64)“
Welcher Ort sollte das für uns sein wenn nicht der Hauptbahnhof Stuttgarts???

Nun zu den Verbotsbegründungen  der Stadtverwaltung und der Verwaltungsgerichtsbarkeit:
Am 31. Januar 2013, also vor bald einem Jahr, erließ die Stadtverwaltung in einem Schreiben an Carola Eckstein ein Versammlungsverbot für das Bahnhofsinnere. Angemeldet worden war von Carola eine Versammlung an einem Samstag mit 30 Teilnehmern und einer Dauer von zwei Stunden, für die nicht einmal öffentlich aufgerufen werden sollte. Ich will vorweg anmerken, dass der Kopfbahnhof für Montagsdemos vermutlich zu eng ist. Das tatsächliche Fassungsvermögen sollte aber von der Stadtverwaltung gemeinsam mit Vertretern unseres Protestes bestimmt und Demos sollten neben der Personenzahl auch in der Dauer einvernehmlich erheblich (z. B. auf 15 bis 30 Minuten) beschränkt werden.
Die Begründungen der Stadtverwaltung für das damalige Verbot lässt ein erhebliches Maß an Realitäts- und Rechtsverweigerung erkennen. Das Bundesverfassungsgericht hatte in seiner Entscheidung im Jahr 2011 zur Halle des Frankfurter Flughafens zum Begriff eines Öffentlichen Forums festgestellt:
Dieses ist dadurch charakterisiert, dass auf ihm eine Vielzahl von verschiedenen Tätigkeiten und Anliegen verfolgt werden kann und hierdurch ein vielseitiges und offenes Kommunikationsgeflecht entsteht …, wo die Verbindung von Ladengeschäften, Dienstleistungsanbietern, Restaurationsbetrieben und Erholungsflächen einen Raum des Flanierens schafft und so Orte des Verweilens und der Begegnung entstehen. Werden Räume in dieser Weise für ein Nebeneinander verschiedener, auch kommunikativer Nutzungen geöffnet und zum öffentlichen Forum, kann aus ihnen … auch die politische Auseinandersetzung in Form von kollektiven Meinungskundgaben durch Versammlungen nicht herausgehalten werden. (Abs. 70)
Dem entgegen behauptete die Stadtverwaltung:
Der Stuttgarter Hauptbahnhof ist im Gegensatz zur im Fraport-Entscheidung angesprochenen Örtlichkeit nicht zu Zwecken des Flanierens,  Verweilens und der Begegnung geschaffen worden, sondern soll der Abwicklung des Reiseverkehrs und den damit verbundenen Einkäufen (insbesondere Schnellimbisse und Verkauf von Reiselektüre) dienen. Über den Reisebedarf hinausgehende Einkaufsmöglichkeiten oder auch Erholungsflächen als Flächen der zwischenmenschlichen Begegnung und des Austauschs sind im Stuttgarter Hauptbahnhof nicht vorhanden.“
Da sollte doch die Bahn für den Fall, dass wir mal wieder auf einen verspäteten Zug warten und das nicht auf zugigen Bahnsteigen wollen, überall Schilder aufstellen:
 „HERUMSTEHEN UND HERUMGEHEN NICHT   VORGESEHEN UND DAHER VERBOTEN!“
Auch Straßen wurden und werden nicht für Fußgänger gebaut sondern für Kraftfahrzeuge. Trotzdem dürfen wir als Demonstranten auf ihnen demonstrieren.  Mit einer solchen Begründung eines generellen Demonstrations verbotes käme unsere Verwaltung bei einer Grundrechtsklage vor dem Verfassungsgericht wohl kaum durch. Und genau so abenteuerlich erscheinen mir die Begründungen der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs in Mannheim, die Montagskundgebungen am Bahnhof plötzlich zu verbieten:
„Ein hinreichend großer Beachtungserfolg ist auch in der Lautenschlagerstraße, die unmittelbar in den Arnulf-Klett-Platz einmündet und von wo Sichtkontakt zum Hauptbahnhof besteht, gewährleistet (S.10).“
Zum einen: Eine solche Behauptung ist von Willkür geprägt. Woher will der VGH das wissen? Zum anderen: Wer hat darüber zu entscheiden, der VGH oder wir? Und noch deutlicher wird diese Willkür in der vom VGH von der Stadtverwaltung übernommenen Milchmädchenrechnung:
 „Die von der Antragsgegnerin errechnete Zahl von insgesamt ca. 8.300 Verkehrsteilnehmern überwiegt bei Weitem die Anzahl der Teilnehmer der Montagsdemonstrationen, die sich im Jahresverlauf  2013 auf durchschnittlich 1.500 Personen … belaufen hat (S. 10).“
Zwischen den beiden in Frage stehenden Rechten, dem auf „Leichtigkeit des Verkehrs“ und dem Demonstrationsrecht besteht ein qualitativer Unterschied, der nicht nach dem Mehrheitsprinzip, also rein quantitativ zu fassen ist. Das Recht auf Demonstrationen zur Stärkung demokratischer Willensbildung ist für das System von Demokratie und Rechtsstaat laut BvG „konstitutiv“, also unersetzlich. Verkehrstaus müssen demgegenüber in der Regel hingenommen werden. Ihnen soll nicht durch Verbote, sondern durch Auflagen, also für die Demonstranten hinnehmbare Einschränkungen begegnet werden. Außerdem hatte die Stadt drei Jahre Zeit, ein Prozedere der Verkehrsumlenkung für 30 oder 60 Minuten zu entwickeln.

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