Unsere Montagsdemos
gehören vor allem vor den Bahnhof
Zwei
Falschmeldungen der letzten Tage, unseren Protest gegen S21 betreffend.
1.
Die Stuttgarter Zeitung an Silvester:
„Den S21-Gegnern sind die
Montagsdemos auf dem Arnulf-Klett-Platz und auf der Schillerstraße vor dem
Hauptbahnhof untersagt worden, weil sie regelmäßig erhebliche
Verkehrsbehinderungen zur Folge hatten. Die
Stadt hat die Kundgebungen daher nach dem Ende des Weihnachtsmarktes auf den
Marktplatz verlegt.“
Das
wäre jedenfalls rechtswidrig. Die Stadt darf verfassungsrechtlich prinzipiell
keine Demo „verlegen“. Das können nur die Demonstranten:
„Art. 8 Abs. 1 GG gewährleistet
auch das Recht, selbst zu bestimmen,
wann, wo und unter welchen Modalitäten eine Versammlung stattfinden soll.“
„Der sich Äußernde hat nicht nur das Recht, überhaupt seine Meinung kundzutun,
sondern er darf hierfür auch die Umstände wählen, von denen er sich die größte
Verbreitung oder die stärkste Wirkung seiner Meinungskundgabe verspricht (Abs.
97).“ (Bundesverfassungsgericht am 22.02.2011)
Die
Stadt darf allerdings aus schwerwiegenden Sicherheitsbedenken heraus bestimmte
Orte verweigern. Das gilt allerdings in der Regel auch nicht für alle Zeiten. Einen
bestimmten Kundgebungsort vorschreiben kann sie hingegen nicht.
2.
OB Kuhn in einem Interview mit der
Badischen Zeitung vom 02.01.2014:
„Zeigen Sie mir, welche andere Stadt
einen so prominenten Platz gemeint
der Marktplatz) anbietet für eine
Demonstration, nicht irgendwo, sondern im Herzen der Stadt.“
Mit
einem Eigenlob versucht OB Kuhn sich der an ihm aufkommenden Kritik zu
entziehen, aber auch das Eigenlob stinkt. Verfassungsrechtlich muss, ich wiederhole muss eine Stadt Kundgebungen gerade in ihrem Herzen zulassen. Auch
dazu das Bundesverfassungsgericht:
„Vor
allem innerörtliche Straßen und Plätze werden heute als Stätten des Informations- und Meinungsaustausches
sowie der Pflege menschlicher Kontakte angesehen. (Abs.67).“
Demonstrationen
sind eben für jede Stadt eine „Herzensangelegenheit“, ob sie will oder nicht.
Beide
Meldungen sind Beispiele für tagtägliche Desinformation der Öffentlichkeit
durch Verwaltung, Medien und Politiker. Das kann aber nur dem
auffallen, der seine Rechte einigermaßen kennt. Wer sie nicht kennt, der kann sie
auch nicht verteidigen, wenn sie angegriffen werden. Und das geschieht gerade
im Zusammenhang mit S21 massiv.
Die
Stadt kann eben nicht einen von uns angemeldeten Demonstrationsort einfach
irgendwohin „verlegen“.
Sie kann lediglich einen Ort verweigern,
und das nur aus Sicherheitsgründen und Gründen der Funktionstüchtigkeit öffentlicher Einrichtungen -
und eben auch nicht aus Gründen der Unbequemlichkeit oder Belästigung. Auch
dazu das BvG:
„Eine Untersagung einer
Versammlung kommt nur in Betracht, wenn eine unmittelbare, aus erkennbaren
Umständen herleitbare Gefahr für mit der Versammlungsfreiheit gleichwertige elementare
Rechtsgüter vorliegt. Für das Vorliegen der ‚unmittelbaren’ Gefährdung bedarf
es einer konkreten Gefahrenprognose. Bloße
Belästigung Dritter, die sich aus der Gruppenbezogenheit der
Grundrechtsausübung ergeben und sich ohne Nachteile für den Versammlungszweck
nicht vermeiden lassen, reichen hierfür nicht. Sie müssen in der Regel
hingenommen werden. Sind unmittelbare Gefährdungen von Rechtsgütern zu
befürchten, ist diesen primär durch
Auflagen entgegenzuwirken (Abs. 90).“(Entscheidung vom 22.02.2011).“
„ Die Bürger sollen damit selbst
entscheiden können, wo sie ihr Anliegen – gegebenenfalls auch im Blick auf
Bezüge zu bestimmten Orten oder Einrichtungen – am wirksamsten zur Geltung
bringen können. (Abs. 64)“
Welcher
Ort sollte das für uns sein wenn nicht der Hauptbahnhof Stuttgarts???
Nun zu den Verbotsbegründungen der Stadtverwaltung und der
Verwaltungsgerichtsbarkeit:
Am
31. Januar 2013, also vor bald einem Jahr, erließ die Stadtverwaltung in einem
Schreiben an Carola Eckstein ein Versammlungsverbot für das Bahnhofsinnere. Angemeldet worden war von
Carola eine Versammlung an einem Samstag mit 30 Teilnehmern und einer Dauer von
zwei Stunden, für die nicht einmal öffentlich aufgerufen werden sollte. Ich
will vorweg anmerken, dass der Kopfbahnhof für Montagsdemos vermutlich zu eng
ist. Das tatsächliche Fassungsvermögen sollte aber von der Stadtverwaltung
gemeinsam mit Vertretern unseres Protestes bestimmt und Demos sollten neben der
Personenzahl auch in der Dauer einvernehmlich
erheblich (z. B. auf 15 bis 30 Minuten) beschränkt werden.
Die
Begründungen der Stadtverwaltung für das damalige Verbot lässt ein erhebliches
Maß an Realitäts- und Rechtsverweigerung erkennen. Das Bundesverfassungsgericht
hatte in seiner Entscheidung im Jahr 2011 zur Halle des Frankfurter Flughafens zum
Begriff eines Öffentlichen Forums festgestellt:
Dieses ist dadurch charakterisiert, dass
auf ihm eine Vielzahl von verschiedenen Tätigkeiten und Anliegen verfolgt
werden kann und hierdurch ein vielseitiges und offenes Kommunikationsgeflecht
entsteht …, wo die Verbindung von Ladengeschäften, Dienstleistungsanbietern,
Restaurationsbetrieben und Erholungsflächen einen Raum des Flanierens schafft
und so Orte des Verweilens und der Begegnung entstehen. Werden Räume in dieser
Weise für ein Nebeneinander verschiedener, auch kommunikativer Nutzungen
geöffnet und zum öffentlichen Forum, kann aus ihnen … auch die politische
Auseinandersetzung in Form von kollektiven Meinungskundgaben durch
Versammlungen nicht herausgehalten werden. (Abs. 70)
Dem
entgegen behauptete die Stadtverwaltung:
„Der Stuttgarter Hauptbahnhof ist
im Gegensatz zur im Fraport-Entscheidung angesprochenen Örtlichkeit nicht zu
Zwecken des Flanierens, Verweilens und
der Begegnung geschaffen worden, sondern soll der Abwicklung des Reiseverkehrs
und den damit verbundenen Einkäufen (insbesondere Schnellimbisse und Verkauf
von Reiselektüre) dienen. Über den Reisebedarf hinausgehende
Einkaufsmöglichkeiten oder auch Erholungsflächen als Flächen der
zwischenmenschlichen Begegnung und des Austauschs sind im Stuttgarter
Hauptbahnhof nicht vorhanden.“
Da
sollte doch die Bahn für den Fall, dass wir mal wieder auf einen verspäteten
Zug warten und das nicht auf zugigen Bahnsteigen wollen, überall Schilder aufstellen:
„HERUMSTEHEN UND HERUMGEHEN
NICHT VORGESEHEN UND DAHER VERBOTEN!“
Auch
Straßen wurden und werden nicht für Fußgänger gebaut sondern für Kraftfahrzeuge.
Trotzdem dürfen wir als Demonstranten auf ihnen demonstrieren. Mit einer solchen Begründung eines generellen
Demonstrations verbotes käme unsere Verwaltung bei einer Grundrechtsklage vor
dem Verfassungsgericht wohl kaum durch. Und genau so abenteuerlich erscheinen mir
die Begründungen der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs in Mannheim, die
Montagskundgebungen am Bahnhof plötzlich zu verbieten:
„Ein hinreichend großer Beachtungserfolg ist
auch in der Lautenschlagerstraße, die unmittelbar in den Arnulf-Klett-Platz
einmündet und von wo Sichtkontakt zum Hauptbahnhof besteht, gewährleistet (S.10).“
Zum
einen: Eine solche Behauptung ist von Willkür geprägt. Woher will der VGH das
wissen? Zum anderen: Wer hat darüber zu entscheiden, der VGH oder wir? Und noch
deutlicher wird diese Willkür in der vom VGH von der Stadtverwaltung
übernommenen Milchmädchenrechnung:
„Die von der Antragsgegnerin errechnete Zahl von insgesamt ca. 8.300
Verkehrsteilnehmern überwiegt bei Weitem die Anzahl der Teilnehmer der
Montagsdemonstrationen, die sich im Jahresverlauf 2013 auf durchschnittlich 1.500 Personen …
belaufen hat (S. 10).“
Zwischen den beiden in Frage
stehenden Rechten, dem auf „Leichtigkeit des Verkehrs“ und dem
Demonstrationsrecht besteht ein qualitativer Unterschied, der nicht nach dem
Mehrheitsprinzip, also rein quantitativ zu fassen ist. Das Recht auf
Demonstrationen zur Stärkung demokratischer Willensbildung ist für das System
von Demokratie und Rechtsstaat laut BvG „konstitutiv“, also unersetzlich.
Verkehrstaus müssen demgegenüber in der Regel hingenommen werden. Ihnen soll
nicht durch Verbote, sondern durch Auflagen, also für die Demonstranten
hinnehmbare Einschränkungen begegnet werden. Außerdem hatte die Stadt drei
Jahre Zeit, ein Prozedere der Verkehrsumlenkung für 30 oder 60 Minuten zu
entwickeln.
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