Sonntag, 9. Februar 2014

Warum ist Sitzenbleiben kriminell?

Warum ist Sitzenbleiben kriminell?                  03.02.2014
Statement III zum Versammlungsrecht                  reinhart.vowinckel@web.de  http://vowinckel.blogspot,de   

Mein Thema in diesem Betrag zum Demonstrationsrecht sind die Sitzblockaden. Sie werden in Deutschland prinzipiell als strafbare Nötigungen behandelt. Ich möchte, um das äußerst komplexe Thema halbwegs nachvollziehbar zu strukturieren, die Aufmerksamkeit zunächst auf drei Gesetze lenken, um die sich in der Rechtsprechung dazu alles dreht. Das sind die Artikel 8 und 103 des Grundgesetzes (GG) sowie der § 240 des Strafgesetzbuches (StGB). Ihr Wortlaut plus einer kurzen Erläuterung:

1. Artikel 8 GG: Demonstrationsfreiheit

(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.
(2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.

Erläuterung: Das Demonstrationsrecht ist nicht nur ein individuelles, sondern ein kollektives Grundrecht, das Bürger vor dem Staat schützen soll. Es gilt nur für friedliche Versammlungen. Die Messlatte für „Unfriedlichkeit“ ist dabei sehr hoch gelegt (Waffenbesitz). Das bestätigt ein gerade einmal drei Jahre altes  Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 08. März 2011:
„Eine Versammlung verliert den Schutz des Art.8 GG grundsätzlich bei kollektiver Unfriedlichkeit. Unfriedlich ist danach eine Versammlung, wenn Handlungen von einiger Gefährlichkeit wie etwa aggressive Ausschreitungen gegen Personen oder Sachen oder sonstige Gewalttätigkeiten stattfinden, nicht aber schon, wenn es zu Behinderungen Dritter kommt, seien diese auch gewollt und nicht nur in Kauf genommen.“ (BVerfG 08-03-2011, Abs.33)
2. Artikel 103 GG: Bestimmtheitsgebot

(1)      Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

Erläuterung: Das Bestimmtheitsgebot in Art 103 GG bezweckt zwei Wirkungen. Zum einen sollen Straftatbestände allein vom Gesetzgeber, also den Parlamenten bestimmt werden und nicht erst im Nachhinein von den Gerichten. Zum anderen sollen Straftatbestände für die Bürger klar erkennbar sein.


3. Paragraph 240 des Strafgesetzbuches: Nötigung

(1) Wer einen Menschen rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung nötigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Rechtswidrig ist die Tat, wenn die Anwendung der Gewalt oder die Androhung des Übels zu dem angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist.
Erläuterung: Hier kommt es auf den Begriff rechtswidrig an, denn nicht jede Nötigung, ob mit Gewalt oder als Drohung, ist auch gleich rechtswidrig. Rechtswidrig ist sie erst, wenn sie „verwerflich“ ist. In der Rechtsprechung werden als Synonyme für den Begriff „verwerflich“ auch folgende Begriffe benutzt: sozialwidrig, sozial unerträglich, sozial schädlich.

Zweite-Reihe-Rechtsprechung ein Rätsel

Warum ist Verkehrsbehinderung im Sitzen verwerflich, im Stehen oder Gehen jedoch nicht?
Warum sind Demonstrationen hier „sozialadäquat“, dort aber „sozialschädlich“?
Sitzblockaden werden in Deutschland generell als strafbare Nötigung behandelt, also kriminalisiert. Die pseudorechtliche Begründung geht folgendermaßen: Wer sich auf eine Straße setzt, um Kraftfahrzeuge an der Weiterfahrt, z. B. in eine Baustelle  zu hindern, wendet durch seine einfache körperliche Präsenz noch keine strafbare körperliche Gewalt an. In dem Moment, da vor ihm ein Fahrzeug anhält und nachfolgenden Fahrzeugen den Weg versperrt, übt der Sitzende jedoch angeblich mit Hilfe des gestoppten Fahrzeugs körperliche Gewalt aus. Eine absurde Geschichte. Kann der juristisch unverdorbene Bürger das noch verstehen? Kann er es noch mit dem Nötigungsparagraphen des Strafrechts in Übereinstimmung bringen? Wird da nicht das Bestimmtheitsgebot des Artikel 103 des Grundgesetzes in die Tonne getreten?
Das Bundesverfassungsgericht  zu sozialkompatiblen Nötigungen
Bei unseren Montagsdemos können sich in einer eventuell entstehenden Fahrzeugschlange immer auch z. B. Baufahrzeuge befinden, die an der Weiterfahrt auf eine Baustelle gehindert werden. Auch hier findet nicht strafbare Nötigung statt. Das hat auch das BVerfG bereits in seinem Urteil vom 24.10.2001 eingeräumt:
„Mit der Ausübung des Versammlungsrechts sind häufig unvermeidbar gewisse nötigende Wirkungen in Gestalt von Behinderungen Dritter verbunden … Derartige Behinderungen Dritter und Zwangswirkungen sind durch Art. 8 GG gerechtfertigt, soweit sie als sozial-adäquate Nebenfolgen mit rechtmäßigen Demonstrationen verbunden sind.“ (BVerfG 24.10.2001, Abs. 51)
Eine historische Verirrung -  Des Rätsels Lösung demnächst in  Statement IV

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