Warum ist Sitzenbleiben kriminell? 03.02.2014
Statement III zum Versammlungsrecht reinhart.vowinckel@web.de http://vowinckel.blogspot,de
Mein
Thema in diesem Betrag zum Demonstrationsrecht sind die Sitzblockaden. Sie werden in Deutschland prinzipiell als strafbare
Nötigungen behandelt. Ich möchte, um das äußerst komplexe Thema halbwegs
nachvollziehbar zu strukturieren, die Aufmerksamkeit zunächst auf drei Gesetze
lenken, um die sich in der Rechtsprechung dazu alles dreht. Das sind die
Artikel 8 und 103 des Grundgesetzes (GG) sowie der § 240 des Strafgesetzbuches
(StGB). Ihr Wortlaut plus einer kurzen Erläuterung:
1. Artikel 8 GG:
Demonstrationsfreiheit
(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis
friedlich und ohne Waffen zu versammeln.
(2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch
Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.
Erläuterung: Das Demonstrationsrecht ist nicht nur ein
individuelles, sondern ein kollektives Grundrecht, das Bürger vor dem Staat
schützen soll. Es gilt nur für friedliche Versammlungen. Die Messlatte für
„Unfriedlichkeit“ ist dabei sehr hoch gelegt (Waffenbesitz). Das bestätigt ein
gerade einmal drei Jahre altes Urteil
des Bundesverfassungsgerichts vom 08. März 2011:
„Eine Versammlung verliert den Schutz des Art.8 GG grundsätzlich bei
kollektiver Unfriedlichkeit. Unfriedlich
ist danach eine Versammlung, wenn Handlungen von einiger Gefährlichkeit wie
etwa aggressive Ausschreitungen gegen Personen oder Sachen oder sonstige
Gewalttätigkeiten stattfinden, nicht aber schon, wenn es zu Behinderungen
Dritter kommt, seien diese auch gewollt und nicht nur in Kauf genommen.“
(BVerfG 08-03-2011, Abs.33)
2. Artikel 103 GG:
Bestimmtheitsgebot
(1) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die
Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.
Erläuterung: Das Bestimmtheitsgebot in Art 103 GG bezweckt zwei
Wirkungen. Zum einen sollen Straftatbestände allein vom Gesetzgeber, also den
Parlamenten bestimmt werden und nicht erst im Nachhinein von den Gerichten. Zum
anderen sollen Straftatbestände für die Bürger klar erkennbar sein.
3.
Paragraph 240 des Strafgesetzbuches:
Nötigung
(1) Wer einen Menschen rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung
mit einem empfindlichen Übel zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung
nötigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe
bestraft.
(2) Rechtswidrig ist die
Tat, wenn die Anwendung der Gewalt
oder die Androhung des Übels zu dem
angestrebten Zweck als verwerflich
anzusehen ist.
Erläuterung: Hier kommt es auf den Begriff rechtswidrig an, denn
nicht jede Nötigung, ob mit Gewalt oder als Drohung, ist auch gleich rechtswidrig.
Rechtswidrig ist sie erst, wenn sie „verwerflich“ ist. In der Rechtsprechung
werden als Synonyme für den Begriff „verwerflich“ auch folgende Begriffe
benutzt: sozialwidrig, sozial unerträglich, sozial schädlich.
Zweite-Reihe-Rechtsprechung ein Rätsel
Warum ist
Verkehrsbehinderung im Sitzen verwerflich, im Stehen oder Gehen jedoch nicht?
Warum sind Demonstrationen
hier „sozialadäquat“, dort aber „sozialschädlich“?
Sitzblockaden werden in Deutschland generell als
strafbare Nötigung behandelt, also kriminalisiert. Die pseudorechtliche
Begründung geht folgendermaßen: Wer sich auf eine Straße setzt, um
Kraftfahrzeuge an der Weiterfahrt, z. B. in eine Baustelle zu hindern, wendet durch seine einfache
körperliche Präsenz noch keine strafbare körperliche Gewalt an. In dem Moment,
da vor ihm ein Fahrzeug anhält und nachfolgenden Fahrzeugen den Weg versperrt,
übt der Sitzende jedoch angeblich mit Hilfe des gestoppten Fahrzeugs
körperliche Gewalt aus. Eine absurde Geschichte. Kann der juristisch unverdorbene
Bürger das noch verstehen? Kann er es noch mit dem Nötigungsparagraphen des
Strafrechts in Übereinstimmung bringen? Wird da nicht das Bestimmtheitsgebot des
Artikel 103 des Grundgesetzes in die Tonne getreten?
Das Bundesverfassungsgericht zu sozialkompatiblen Nötigungen
Bei
unseren Montagsdemos können sich in einer eventuell entstehenden
Fahrzeugschlange immer auch z. B. Baufahrzeuge befinden, die an der Weiterfahrt
auf eine Baustelle gehindert werden. Auch hier findet nicht strafbare Nötigung
statt. Das hat auch das BVerfG bereits in seinem Urteil vom 24.10.2001 eingeräumt:
„Mit der Ausübung des Versammlungsrechts sind häufig
unvermeidbar gewisse nötigende Wirkungen
in Gestalt von Behinderungen Dritter verbunden … Derartige Behinderungen
Dritter und Zwangswirkungen sind
durch Art. 8 GG gerechtfertigt, soweit sie als sozial-adäquate Nebenfolgen mit
rechtmäßigen Demonstrationen verbunden sind.“ (BVerfG 24.10.2001, Abs. 51)
Eine historische Verirrung
- Des Rätsels Lösung demnächst in Statement IV
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