Das Demonstrationsrecht ist ein
Supergrundrecht
Statement IV zum Versammlungsrecht 07.02.2014
Reinhart.Vowinckel@web.de http://vowinckel.blogspot.de
Vor einigen Monaten verkündet der
damalig Bundesinnenminister Friedrich, es gebe ein „Supergrundrecht auf
Sicherheit“. Prompt erfuhr er von kompetenter Seite, unter anderen dem
ehemaligen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts Papier, energischen Widerspruch. Es gibt nicht einmal
ein einfaches Grundrecht auf Sicherheit, ganz einfach weil kein Staat ein
solches Recht gewährleisten könnte.
Schon in seinem Urteil vom
24.10.2001 zu Sitzblockaden hat das Bundesverfassungsgericht den Strafgerichten vorgehalten:
„Der besondere Schutz der Versammlungsfreiheit beruht auf ihrer Bedeutung für den Prozess öffentlicher
Meinungsbildung in der freiheitlichen demokratischen Ordnung des
Grundgesetzes. Der Schutz reicht daher
über den der allgemeinen Entfaltungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG hinaus. …Dieses
auf kollektive Meinungsäußerung gerichtete Grundrecht kommt Mehrheiten wie
Minderheiten zugute und verschafft auch denen Möglichkeiten zur Äußerung in
einer größeren Öffentlichkeit, denen der direkte Zugang zu den Medien
versperrt ist (BVerfG am 24.10.2001, Abs. 38)“.
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Mit dieser die Freiheitsrechte
betonenden Äußerung stemmte es sich gegen die Verabsolutierung des
Sicherheitsbedürfnisses des überwiegenden Teils der deutschen Strafjustiz unter
Führung des Bundesgerichtshofs in Karlsruhe. Zweimal hat der BGH seine Linie
der Kriminalisierung von Demonstrationshandlungen in der deutschen Justiz auch gegenüber Gerichten, die freiheitlich
entschieden hatten, durchgesetzt und das bis heute leider unter Mithilfe
mangelnder Abhilfe des Bundesverfassungsgerichts.
Staatsgewalttätige Paranoia - der Bundesgerichtshof 1969
Das erste Mal geschah das am
08.08.1969 mit dem sogenannten Läpple-Urteil.
Ich habe darüber bereits in Statement III berichtet. In ihm hieß es:
„Die Studenten, die sich auf den
Gleiskörper der Straßenbahn setzten oder stellten, um damit den
Straßenbahnverkehr zu blockieren, nötigten die Führer der Straßenbahn mit
Gewalt, ihre Fahrzeuge anzuhalten.“ (a. a. O. Abs. 12)
Nun bedarf es wohl schon eines
erheblichen böswilligen Einfallsreichtums, im bloßen Hinstehen oder Hinsetzen
Einsatz von Gewalt zu erkennen. Aber Demos sollten nach Kräften kriminalisiert
werde, und die Herrschaften beim BGH ließen sich etwas einfallen. Die
Kernaussage der spitzfindigen juristischen Begründung des Urteils lautete, der
Bewertung als Gewalt stehe nicht entgegen,
„daß die Studenten die Straßenbahn nicht durch den Einsatz körperlicher
Kräfte aufhielten, sondern nur mit
geringem Kraftaufwand einen psychisch
determinierten Prozess in Lauf setzten. … Stellt sich ein Mensch der Bahn
auf den Schienen entgegen, so liegt darin die Ausübung eines Zwanges, der für
den Fahrer sogar unwiderstehlich ist, denn er muss halten, weil er sonst einen
Totschlag beginge. (Abs. 12)“
Unübersehbar lag hier nicht
einmal ein minimaler Kraftaufwand vor, geschweige denn ein Kraftaufwand¸ der
dem in § 240 StGB als strafbar vorausgesetzten entsprochen hätte. Trotzdem
brauchten sowohl der BGH als auch das BVerfG weitere 26 Jahre, bis eine neue
Zusammensetzung des Richterkollegiums des Verfassungsgerichts zu der mehrheitlichen
Erkenntnis führte, dass der § 240 StGB vom BGH verballhornt worden war und
damit dem Bestimmtheitsgebot widersprach.
Aber das war eine rein
formalistische Kritik, die sich nicht ausreichend auch mit der hinter dieser
Rechtsbeugung stehenden politischen bzw. ideologischen Überzeugung
auseinandersetzte. Nicht nur in formaler Hinsicht widerspricht das
Läpple-Urteil den Urteilen des heutigen Verfassungsgerichts. Hinter der
Entschlossenheit des BGH, den Nötigungsparagraphen zurechtzutrimmen und zu
beugen, bis er für die eigenen politischen Ziele brauchbar war, stand ihre
politische Überzeugung, dass das Grundrecht
auf friedliche Demonstrationen ein im Grunde ein gefährliches Übel ist. Der
Tenor dieses Urteil war die Furcht vor Förderung von Terrorismus der
Demonstranten:
Personenverbänden so wenig wie einzelnen kann die Mitsprache in
öffentlichen Angelegenheiten mit anderen Mitteln als denen der Werbung, Überzeugung und Überredung
gestattet sein. Entscheidungen in solchen Angelegenheiten müssen frei von
gewaltsamer Einwirkung in den Händen der Organe liegen, die durch Verfassung
und Gesetz dazu legitimiert und durch Mehrheitsentscheidungen des Volkes auf der Grundlage von geordneten
und gegen Missbrauch und Verfälschung abgesicherten Wahlen und Abstimmungen
berufen sind. Die Anerkennung eines
Demonstrationsrechtes in dem von der Kammer angenommenen Ausmaß liefe auf die
Legalisierung eines von militanten Minderheiten ausgeübten Terrors hinaus,
welcher mit der auf dem Mehrheitsprinzip fußenden demokratischen Verfassung ,
letztlich aber auch als Verstoß gegen das Prinzip der Gleichheit aller vor dem
Gesetz mit den Grundsätzen der
freiheitlichen demokratischen Grundordnung schlechthin unverträglich ist.“
(Läpple-Urteil BGH vom 08.08.69, Abs. 16)
Das heißt im Grunde genommen, Elemente direkte Demokratie laufen auf
Terror hinaus. Auch absolut friedliche, gewaltlose Demonstrationen, mit denen
nur auf gesellschaftliche oder staatliche Missstände aufmerksam gemacht werden sollte, sollten deswegen zur
Abschreckung kriminalisiert werden. Nur darum ging und geht es dem BGH.
Besonders aufschlussreich
hinsichtlich der vergangenheitsgebundenen Denkweise des BGH ist eine
Nebenbemerkung des Urteils. Ziel der Bahnblockade der Studenten war eine Anhörung der Studentenvertretung durch
die Kölner Stadtverwaltung zum Thema Fahrpreiserhöhungen für Studenten, dessen
Berechtigung die unteren Gerichte zunächst als strafbefreiend angesehen hatten.
Der BGH jedoch weist zunächst informierend darauf hin:
„Eine Rechtspflicht zum Gehör besteht von Verfassungs wegen nur im
gerichtlichen Verfahren … und im übrigen nur, soweit sie gesetzlich
vorgeschrieben ist. Ein verfassungsmäßiges Recht des Bürgers oder irgendeiner
Organisation, von sämtlichen öffentlichen Stellen und Behörden vor jeglicher
Maßnahme gehört zu werden… existiert nicht.“
Nun waren derartig allgemeine
Forderungen von den Studenten auch gar nicht erhoben worden, aber dem Senat
ging es ja um die Vorbeugung gegen Terror, also die allgemeine öffentliche
Sicherheit gegenüber einem Phantom, und so fuhr er fort:
„Ein Recht auf Anhörung „kann auch gar nicht wünschbar sein…Eine Anhörung solcher Art … wird mitunter aber auch im öffentlichen
Interesse um des Ansehens der von der Mehrheitsentscheidung des Volkes getragenen
Organe willen zu meiden sein...(Läpple-Urteil, Abs. 14)“
Dem BGH ist anscheinend auch bis
heute noch nicht klar geworden, dass das Demonstrationsrecht ja gerade ein Grundrecht auf Anhörung darstellt, wenn
auch nicht formell, sondern nur informell, je nach Bedarf der Bürger und
Sensibilität der „Staatsgewaltigen“. Und dass es auch eine formelle Pflicht auf
Anhörung bei Bedarf geben sollte, dass ist wohl inzwischen auch sowohl
sämtlichen Parlamentsparteien wie auch der Wirtschaft gerade durch den Protest
gegen S21 bewusst geworden.
Der BGH dürfte sich wohl auch nie
Rechenschaft darüber abgelegt haben, welche Beleidigung und Herabwürdigung von
sich der Gewaltlosigkeit verpflichtet fühlenden und für das Gemeinwohl
engagierten Demonstranten mit Zivilcourage in ihrer Kriminalisierung vor sich
geht. Ob sie dabei je an den ersten Artikel des Grundgesetzes gedacht haben:
Art. 1 GG: „Die Würde des Menschen ist
unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen
Gewalt.“
Dieses Urteil des BGH vom
08.08.1969 behielt bis zum 09. Januar
1995, also 26 Jahre, lang Gültigkeit. Vier Grundrechtsbeschwerden wurden
mit Mehrheit oder Stimmengleicheit (4 zu 4) zurückgewiesen. Bis dann durch
Neubesetzung eines Senats eine Mehrheit den „vergeistigten“ Gewaltbegriff als
verfassungswidrig ablehnte.
Das war natürlich eine schallende
Ohrfeige für den Bundesgerichtshof. Aber die brannte und schallte allenfalls ein
halbes Jahr lang. Mit ihrer nächsten Aburteilung von Blockadeaktionen am 20.
Juli 1995 entwickelten die Richter ihre „Zweite-Reihe-Rechtsprechung“, mit der auch gewaltfreie Blockaden
weiterhin verboten wurden, und diese herrscht inzwischen auch schon wieder seit fast
20 Jahren, mit Duldung des Bundesverfassungsgerichts.
Wie sie das Problem fehlender
körperlicher Kraftentwicklung im Läpple-Urteil dadurch gelöst hatten, dass sie
Blockierern quasi telekinetische, hypnotische Gewalt zusprachen, griffen sie
nun zu einem neuen Zaubertrick, der weniger an Hypnose erinnert als an
Löffelbiegen. Sie rematerialisierten ihren bis dahin fälschlicherweise
„entmaterialisierten“ Gewaltbegriff. Eine leblose Metallkonstruktion, genannt
Auto, die einen anderen Autofahrer weder verletzen noch gar töten noch
irgendwie mit einem anderen „erheblichen Übel“ bedrohen (§ 240 StGB) kann und
möchte und auch selbst nichts dergleichen erfahren kann, ersetzte nun den fehlenden Gewalttäter. Aber
es war nun wenigstens wieder Materie als Joker im Spiel, als Straftatmittler,
wie es im Urteil hieß. .
Hätte der BGH schon 1969 mit
diesem Gewaltbegriff operieren wollen, hätte er vermutlich alt ausgesehen.
Straßenbahnen folgen einander nicht so schnell. Da hätte die eine die andere
nicht so schnell blockiert und damit als Tatmittler an Stelle des Demonstranten
gewalttätig gehandelt.
Demonstrationen sind staatstragend
(Bundesverfassungsgericht)
Um das erste BGH-Urteil zu
Sitzblockaden von 1969 aus gebührendem historischen Abstand in seiner
Rückwärtsgewandtheit verstehen zu können, hilft sicherlich die Kenntnis der
wichtigsten Positionen des heutigen Bundesverfassungsgerichts. In seinem Urteil
vom 22.02.2011 zur Demonstrationsfreiheit schreibt es:
:
„Als Freiheit zur kollektiven Meinungskundgabe ist die
Versammlungsfreiheit für eine freiheitlich demokratische Staatsordnung konstituierend (Abs. 63)“.
In seinem Urteil vom März 2011 schließlich
hält es sogar noch einmal ausdrücklich fest, dass nach Artikel 8 GG sogar Sitzblockaden geschützt sind:
„Der Schutz ist nicht auf
Veranstaltungen beschränkt, auf denen argumentiert und gestritten wird, sondern umfasst vielfältige
Formen gemeinsamen Verhaltens bis hin zu nicht verbalen Ausdrucksformen, darunter auch Sitzblockaden …“ (BVerfG
am 07.03.2011, Abs. 32)
Diese Aussage hat allerdings den Haken,
dass das BVerfG die Zweite-Reihe-Rechtsprechung trotzdem anerkennt.
Weiter betont das BVerfG:
„Mit der Ausübung des Versammlungsrechts sind häufig unvermeidbar
gewisse nötigende Wirkungen in
Gestalt von Behinderungen Dritter verbunden … Derartige Behinderungen Dritter
und Zwangswirkungen sind durch Art.
8 GG gerechtfertigt, soweit sie als sozial-adäquate Nebenfolgen mit
rechtmäßigen Demonstrationen verbunden sind.“ (BVerfG 24.10.2001, Abs. 51)
Wie die Zitate zeigen, gilt dem
Verfassungsgericht das Demonstrationsrecht, das über das Recht auf persönlich
und unverbindliche freie Meinungsäußerung weit hinausgeht, als zentrale Säule
der freiheitlich demokratischen Staatsordnung. Demonstrationen werden von ihm als von den Staatsgewalten zu
respektierende Aktivitäten der pluralen politischen Willensbildung des Volkes außerhalb der Institutionen der repräsentativen Parteiendemokratie
gewürdigt. Demonstrationen sind also,
wenn sie friedlich sind und sich nicht gegen die Existenz der gesamten
staatlichen Ordnung selbst richten, sogar staatstragend. Von dieser Erkenntnis ist die deutsche Strafjustiz jedoch nach meiner
Vermutung mehrheitlich noch weit entfernt.
Ob wohl einem der an solchen
Urteilen beteiligten Richter einmal – wenigstens im stillen Kämmerlein – der
Gedanke gekommen ist, der Nötigungsparagraph könnte mit mindestens dem gleichen
Recht auch auf sie selbst angewendet werden, auch wenn ihr Handeln nicht
strafbar war? Schließlich sind doch auch Richter immer noch nur Menschen.
Statt die Bürger zu engagiertem
sozialem Verhalten zu ermutigen, betreibt
der BGH und die hinter ihm stehende übrige Justiz, besonders in den
Justizministerien, Abschreckung durch Kriminalisierung. Wenn es ein
„Supergrundrecht“ gibt, dann ist das das Demonstrationsrecht, die freiheitliche
Zuflucht der Staatsbürger, und nicht das Recht auf Sicherheit.
Dazu eine kleine historische Rückblende
Der Bundesgerichtshof wurde
unmittelbarer Nachfolger des Reichsgerichtshofs, also des deutschen
Spitzengerichts, das schon seit der Reichsgründung im Jahr 1871 das
Kaiserreich, die Weimarer Republik von 1919 bis 1933, d. h. auch die „Präsidialdiktatur“ Hindenburgs von 1925
bis 1933 sowie das „Dritte Reich“ von 1933 bis 1945 überlebt hatte.
Auch die Richter, die im Jahr
1969 am Bundesgerichtshof urteilten, hatten von Ausnahmen abgesehen bereits
unter Hitler gedient oder zumindest im
NS-Reich ihre Ausbildung und damit auch ihre juristische Sozialisierung
erfahren, nur dass sie inzwischen der freiheitlichen demokratischen
Grundordnung dienten und nicht mehr dem „Führer“. Und wer von uns könnte sicher
sein, dass er untere den damaligen Umständen nicht die gleichen Fehler gemacht
hätte.
Wer das Sicherheitsbedürfnis
verabsolutiert und alles bewahren und machen möchte wie gewohnt, der übersieht
schnell historische Entwicklungen und schafft durch seine Starrheit
Sicherheitsrisiken, vor denen er die Bürger bewahren wollte. Massenhafte
Kriminalisierung engagierter Staatsbürger schafft Staatsverdruss. So wird
Evolution verhindert und Revolution provoziert.
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