Negative Feststellungsklage:
Bewegung im Fahrwasser der SPD
Bewegung im Fahrwasser der SPD
Warum die Forderung einer negativen Feststellungsklage gegen die
Sprechklausel absurd und schädlich ist
Die Protestbewegung gegen
Stuttgart 21 hat offensichtlich ihr Ziel aus dem Auge verloren. Sie schippert unverkennbar
ziellos im Kielwasser der SPD.
Rechtsanwalt Eisenhart von Loeper
hat im Namen des Aktionsbündnisses gegenüber der Landesregierung und der
Stadtverwaltung die Forderung erhoben, „das
Heft des Handelns endlich in die Hand zu nehmen“ und durch eine ‚negative
Feststellungsklage’ gerichtlich klären zu lassen, dass dem Land aus der vertraglichen
Sprechklausel keine zusätzlichen Zahlungspflichten entstehen. Die Begründung
lautet:
„Denn nach wie vor verweigert die
Bahn die volle Übernahme der Milliarden, die den Kostendeckel überschreiten.“
Als wenn die Bahn das müsste! Als wenn wir irgendein Interesse
daran hätten, dass sich ein Finanzier für S21 findet! Wir wollen nicht die Finanzierung, sondern die Beendigung von S21! Trotzdem
haben sich auch noch Parkschützer und SÖS/Linke geistesabwesend angeschlossen. Die
Aufforderung und vor allem ihre Begründung ist absurd.
So absurd, wie es die von Claus
Schmiedel, Fraktionsvorsitzender der SPD im Landtag, im April verfolgte Idee
war. Er wollte der Bahn für ein paar Millionen
die Sprechklausel abkaufen, um so das
Mehrkostenrisiko vom Land abzuwenden.
Absurd war die von den Grünen in
der Regierung abgesegnete Idee Schmiedels auch schon aus dem praktischen Grund,
dass der Vertrag 16 Paragraphen enthält. Ein einzelner Paragraph kann dabei bis
zu 17 eigens durchnummerierte Absätze enthalten. Und ein Absatz kann wiederum
viele Sätze enthalten, die jeder für sich eine Bestimmung enthalten können. So
enthält z. B. der § 8, Abs. 4 eine unauffällige Bestimmung, welche die in § 2, Abs. 2 noch
eingeräumte Ausstiegsklausel beiläufig wieder aufhebt. Wie kann man da in einer
derart heiklen und umstrittenen Angelegenheit auf die Idee kommen, aus all dem einen einzelnen Satz streichen
und damit den ganzen Vertrag für sich selbst unschädlich machen und die Bedeutung
des Vertrags geradezu in ihr Gegenteil
verkehren zu können? Da scheint Holland in Not.
Absurd war die Initiative Schmiedels jedoch vor allem, weil die Bahn
ja, auf diese Klausel gestützt, Milliarden kassieren will bzw. nach dem Willen
des Aufsichtsrates soll. Was bedeuten
dem gegenüber schon die angebotenen Millionen?
Die Herren Kefer und Grube
dürften sich an den Kopf gelangt haben. Aber aufgepasst! Schmiedel wäre nicht
Schmiedel, ein gerissener und prinzipienloser Taktiker, wenn er sich dabei
nichts gedacht hätte. Er will Handlungsfähigkeit demonstrieren, wo es für ihn
keine gibt. Jedenfalls herrscht im Regierungslager offensichtlich zumindest
taktische Verwirrung. Während Nils Schmid als Verhandlungsführer das mit der
Sprechklausel verbundene Risiko als „ohnehin gering“ einschätzte, zumindest
offiziell, sieht MP Kretschmann die Klausel als „Damoklesschwert“ über dem
Lande, zumindest offiziell.
SPD-Schmiedels persönliches
Projekt Stuttgart 21 ist die Demonstration der „Durchsetzungsfähigkeit“ seiner
Partei als „Urlaubsvertretung“ der CDU bis zur nächsten Landtagswahl im Jahr
2016. In einem Interview mit der Stuttgarter Zeitung am 26.06.2013 räumte er
zunächst ein: „Es hat uns sehr
überrascht, dass die Bürger den Eindruck haben, die Grünen würden sich mit
ihrer Politik stärker durchsetzen als wir.“ Dann aber gibt er zurück: „Das ist deshalb erstaunlich, weil auf dem
Hauptfeld der politischen Auseinandersetzung, bei Stuttgart 21, die Grünen nun
eifrig unser Projekt mitbauen. Ich kann nicht erkennen, dass die Grünen beim
Versuch, Stuttgart 21 zu verhindern, einen Stich gemacht hätten.“
Bitte jetzt nicht wieder das so
beliebte Grünen-bashing (s. u.)! Wie schon gesagt, die arme SPD steckt in einem
Dilemma, in einer Zwickmühle. Eine Verpflichtung der Bahn, die Mehrkosten zu
tragen, gibt es nicht, weder vertraglich (s. u.), noch politisch noch
moralisch.
Sie ist, wie schon gesagt, vor allem deswegen absurd,
weil die Bewegung gegen den Durchgangsbahnhof
keinerlei Interesse daran hat, einen Finanzier für S 21 zu finden.
Die Initiative des
Aktionsbündnisses ist jedoch auch noch aus anderen Gründen m. E. eher
schädlich.
Was für einen Sinn machen z. B. derartige
Aufforderungen an die Landesregierung? Zum einen können wir oft gar nicht
beurteilen, welche Konsequenzen die Verwirklichung von außen herangetragener
Forderungen alle haben kann. Zum anderen ist die Landesregierung gespalten. Was
die eine Partei will, will die andere gerade nicht. Woher wollen wir wissen,
wer jeweils für nachfolgende Untätigkeit verantwortlich ist? Ein Beispiel, das
auch mich seiner Zeit ziemlich geärgert hat: In den Weihnachtstagen (14 Tage
nach Grubes „Insolvenzerklärung“) haben vier unserer Prominenten, nämlich Egon
Hopfenzitz, Sabine Leidig, Volker Lösch und Walter Sittler in einem Offenen Brief verlangt: „Grüne
Spitzenpolitiker müssen und können jetzt S21 stoppen.“ So etwas ist
einfach neben der Kapp. Die Grünen Spitzenpolitiker können ohne die SPD gar nichts, und
deswegen müssen sie auch nicht. Und die SPD will nun einmal S21
um keinen Preis stoppen.
Ein anderes Beispiel: „Versteckspiel – Schweigen als Verrat –
Manipulierte Volksabstimmung – Volksabstimmung als Vorwand –
Realitätsverleugnung – Die Abschaffung des Vertrauens – Die Aufkündigung der
Redlichkeit“. So überschreibt Richter a. D. Christoph Strecker seine
zweifellos sorgfältig recherchierten Beispiele für Desinformation durch die
Landesregierung in einem Offenen Brief vom 11.06.2013 an Winfried Hermann. Statt immer nur oder vor allem die Grünen
verantwortlich zu machen, sollten wir beide Fraktionen in die Pflicht nehmen. Wenn
aber stattdessen nachher auch noch die eigentlich Gutwilligen „gebasht“ werden, können sich die aus dem
sozialdemokratischen Intrigantenstadel oder bei der CDU auch noch ins Fäustchen
lachen.
Genau diesen Fehler spricht wohl
auch eine Sylvia (Heimsch?) gerade in einer kritischen Rundmail bei den
Parkschützern an. In ihr heißt es einleitend: „Hallo, wir stehen auf der Kippe: mit den Grünen und den Grünen-Wählern
– also den gut Etablierten und bürgerlich Orientierten, im Beruf Stehenden –
verderben wir es uns gerade gehörig. Viele Grünenwähler haben keine Lust mehr
auf dieses Grünen-Bashing. Auf der Parkschützerseite schlägt das teilweise
schon in Hass um.“
Und schließlich halte ich dass Beschreiten
des Rechtsweges zur Verhinderung des Projekts inzwischen für mehr oder weniger Aktionismus
und Rechthaberei. Haben wir noch immer nicht oft genug die Erfahrung gemacht,
dass wir außer dem Demonstrationsrecht praktisch keine Rechte haben und
deswegen vor Gericht auch regelmäßig Niederlagen erleiden? Das Erregen
unrealistischer rechtlicher Hoffnungen führt ebenfalls zu Enttäuschung und
Frust, und es lenkt ab von dem, was wir selbst tun können, nämlich mit
allgemeinverständlichen, nachvollziehbaren Forderungen, z. B. an die SPD im Wahlkampf (s.
u.), selbst präsent sein.
Sich in irgendeiner Form
rechtlich statt politisch auf den Finanzierungsvertrag zu stürzen und stützen,
ist schon deswegen sinnlos, weil es sich um einen durch und durch betrügerischen
Vertrag handelt, den wir vor allem der CDU zu verdanken haben und natürlich zu
50 Prozent der Bahn. Diese Tatsache wird bisher jedoch sowohl in der
Öffentlichkeit als auch von unserer Bewegung komplett ignoriert. Das Hin und
Her um die Sprechklausel wäre gar nicht möglich, wenn die Tatsache des Betrugscharakters
auf dem Tisch läge und allen klar wäre.
Ich bin der Auffassung, wenn es
jetzt um die Ausstiegskosten geht, dann sollten sie nicht im Verhältnis von 60
Prozent von der Bahn als Projektträger und zu 40 Prozent vom Land und seinen
Partnern getragen werden, wie das im § 2, Abs. 2 ursprünglich für den Ausstieg
vorgesehen war, sondern im Verhältnis
von 50 zu 50. Am Betrug, der uns den ganzen Schlamassel beschert hat, waren
Bahn (bzw. Bund ) und Land unter der CDU-Regierung und mit Duldung der SPD in
gleichem Maß beteiligt. Deswegen haben sie nun auch gleichermaßen die
Verantwortung für die Schadensbegrenzung wahrzunehmen. Das heißt, die neue
Regierung und letzten Endes die Bürger des Landes haben stellvertretend für CDU
und FDP für die Verpflichtungen des
Landes, die von der Regierung Oettinger und der SPD eingegangen wurden, gerade
zu stehen. Das finde ich ganz wichtig, um so etwas wie Gerechtigkeit, Fairness und
Verantwortungsbewusstsein in die Geschichte hineinzubringen. In den
Vorstellungen der SPD kommt das bisher ebenfalls nicht vor.
Und wer da auf unserer Seite qualifiziert
mitreden will, sollte sich auch einmal gewisse Grundkenntnisse zum
Finanzierungsvertrag aneignen. Deswegen hier als Anregung noch einmal zu den
beiden wichtigsten Klauseln des Vertrages.
Die Sprechklausel und die Mehrkosten
Die Sprechklausel hat in Wahrheit
keinerlei Bedeutung in der Frage, wer die Mehrkosten finanzieren muss. Das hat
ja auch Nils Schmid zu Recht angedeutet. Das ist allerdings aus dem
Finanzierungsvertrag selbst nicht klar zu erkennen. Dazu muss man in das zwei
Jahre ältere Memorandum of Understanding schauen. Dort wird die Funktion des
Lenkungskreises beschrieben, in dem ja die Gespräche der Sprechklausel stattfinden
sollen:
„Bei darüber noch hinausgehenden
Kostensteigerungen werden DB AG und Land Gespräche aufnehmen. DB, Land, Stadt
und Region vereinbaren darüber hinaus einen gemeinsamen Lenkungskreis zur
Kostenauditierung und zur Mehrkostenbegrenzung.“
[III. Abs. 5]
Die Mehrkostenverteilung und -begleichung ist also nicht Thema im Lenkungskreis. Im
Lenkungskreis soll vielmehr nur über Möglichkeiten der Mehrkostenbegrenzung beraten und beschlossen werden.
Finanzierungsentscheidungen dürfen ohnehin nur die zuständigen parlamentarischen
Gremien treffen. Also die Gesprächsklauseln sind nicht das Problem, wie uns von
der Regierung bis heute vorgemacht wird.
Es gibt aber noch eine ganz
andere Klausel, die es in sich hat. Ich
kann mich nicht erinnern, bisher auch nur ein einziges Mal seitens der
Regierung oder von sonst jemand von dieser Klausel gehört zu haben, die ich Risikoklausel
nennen möchte. Sie wurde wohl bisher im Interesse der SPD regelrecht tot
geschwiegen, genauso wie der
betrügerische Charakter des gesamten Vertrags.
Die Risikoklausel und das
Dilemma der SPD
Sie steht im Vertrag unmittelbar
vor der ersten Fassung der Sprechklausel in § 2.2:
„Für die DB AG und die EIU
[Eisenbahninfrastrukturunternehmen] ist es … von besonderem Interesse, dass für
die DB AG und die EIU aus der Realisierung des Gesamtprojektes keine
unkalkulierten Risiken entstehen …“ (§ 2, 2,1)
Die Risikoklausel ist wegen der
Absicht der Irreführung über die Mehrkosten genau so verklausuliert und
unverbindlich formuliert wie die Sprechklausel und deswegen vermutlich auch
genau so wenig einklagbar. Für die Bahn sollte
Risikoschutz gelten, für Stadt und Land nicht! Das ist der Kern des Betrugs am
Bürger. Es war Absicht, die Bahn
so königlich zu privilegieren! Und nun ist die Risikoschutzklausel pro Bahn das
eigentliche, verheimlichte Dilemma der
SPD bei ihrem aktuellen Betrugsversuch. Deswegen gibt es für die SPD und die
CDU im Hintergrund auch Grund genug, keine Feststellungsklage einzureichen. Ihre Ansprüche gegenüber der Bahn verstoßen
gegen den von ihnen selbst einst gebilligten Vertrag und die in ihm begründete
Kostenprivilegierung. Mit ihm
sollten einst der Landtag, das Regionalparlament und der Gemeinderat hinter das Licht geführt
werden und wurden es auch, weil die
ehrlichen Kosten des Projekts „nicht
kommunizierbar“, d. h. nicht vertretbar waren.
Schlussfolgerungen
- Der Vertrag schließt, wenn wir von seinem betrügerischen Charakter einmal absehen, zumindest eine Beteiligung der Bahn an den Mehrkosten nicht definitiv aus, legt aber die Kostenübernahme durch Land und Partner nahe, allerdings auch darin, ohne wirklich verbindlich zu werden.
- In keinem Falle jedoch rechtfertigt der Vertrag den Anspruch des Landes auf volle Übernahme des Mehrkostenrisikos durch die Bahn. Die entsprechende Forderung der SPD ist also betrügerisch.
- Die SPD müsste da schon andere Argumente ins Feld führen. Sie könnte es versuchen mit der Behauptung¸ die Bahn habe das Land mit den Kostenexplosionen über die wahren Kosten getäuscht. Doch da hat sie schlechte Karten, denn dem steht u. a. die Vereinbarung in § 5 (2) entgegen, dass sich die vereinbarten Kosten noch verändern können.
- Wenn jemand, sagen wir die Bahn oder die SPD (als Vertreterin des Landes), sich mit einer Klage auf den Finanzierungsvertrag stützen will, dann stützt er sich auf einen gegen das Land und seine Bürger gerichteten betrügerischen Vertrag. Wer das tut, begibt sich also mutwillig in einen Sumpf. Das Risiko zu unterliegen, das er dabei eingeht, ist wohl ähnlich unkalkulierbar wie das Mehrkostenrisiko des Projekts.
- Die Berufung der Bahn auf eine angebliche vertragliche „Ausführungsverpflichtung“ bezieht sich vermutlich auf den Ausschluss des Rechts auf ordentliche Kündigung (§15) sowie des Rechts auf „qualifizierten Abschluss §§ 2 (2) sowie (8(4), mit welchem das Projekt unumkehrbar gemacht werden sollte. Aber diese Begründung ist hinfällig, wenn die Finanzierung (in diesem Fall die Mehrkostenfinanzierung) nicht mehr gesichert ist. Und das ist sie nicht mehr durch öffentlichen Beschluss des Kostendeckels durch die Regierung vom 13.09.2011.
- Was die Möglichkeit zu klagen betrifft, sollten wir uns nicht den Kopf zerbrechen. Wir selbst können nicht klagen, und wir können auch mit Sicherheit die Regierung nicht zu einer gemeinsamen Klage bewegen. Außerdem spricht auch die Höhe des Risikos eines negativen Ausgangs gegen jede Aufforderung zur Klage.
- Die SPD soll uns sagen, worauf sie ihren Anspruch auf Weiterbau auf Kosten der Bahn gründen will, oder sie soll den von Kretschmann am 04.03. der Bahn angebotenen „konstruktiven Gesprächen über ein Alternative zu Stuttgart 21“ zustimmen. Die Alternative zu solchen Gesprächen wäre sonst nur noch, dass die SPD zusammen mit der CDU politisch die Finanzierung der Mehrkosten durch das Land betreibt. Schmiedel hat das ja Kretschmann bereits angedroht. Auch dafür wäre der Klageweg viel zu riskant, und politisch wäre das wohl Harakiri. Dem können die Grünen also gelassen entgegen sehen.
- Als einzige rationale Lösung bleibt die Möglichkeit der einvernehmlichen Beendigung des Projekts, und für eine solche spricht alles.
- Das heikelste Thema auf dem Verhandlungsweg wäre sicherlich die Aufteilung der aufgelaufenen Kosten. Die aber haben bisher mit Sicherheit nicht annähernd die Höhe der zu erwartenden Mehrkosten erreicht. Und selbst wenn es bereits zwei Milliarden wären, von denen beide Seiten je eine zu tragen hätte, so stünde dem auf Seiten des Landes immer noch ein erhaltener, funktionstüchtiger Kopfbahnhof gegenüber, also keineswegs ein oder zwei Milliarden „für nichts“
- Wir sollten die Publizierung dieser Überlegungen und Vorschläge nicht den Grünen überlassen, die ihre Koalitionsrücksichten zu nehmen haben, sondern selbst in die Hand nehmen, nicht nur über die Print- und TV-Medien, sondern auch über die sozialen Medien wie Facebook und Twitter. Wir sollten sie z. B. durch Umfragen und Unterschriftenlisten bekannt machen, um so politischen Druck auf die SPD und die Bahn in Richtung einer rationalen Lösung und mindestens erst einmal eines Projektstopps auszuüben.
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