Mittwoch, 5. Juni 2013

(9.1) Zur Lage und Taktik 9.1: Oettingers Verantwortung für die Kostenexplosionen

Oettingers Verantwortung für die Kostenexplosionen
Reinhart.vowinckel@web.de               http://vowinckel.blogspopt.de   28. Mai 2013
Zur Lage und Taktik 9.1
Seit dem Aufsichtsratsbeschluss der Deutschen Bahn AG am 05. März, so habe ich den Eindruck, haben noch einmal viele Mitkämpfer das Vertrauen verloren, dass der Bau des Tiefbahnhofs noch verhindert werden kann. Aber es gibt einen ganz einfachen Umstand, der gegen die Unumkehrbarkeit spricht: Das Projekt ist bisher nicht finanziert. Die im Dezember in seinem Offenbarungseid von Bahnchef Grube  eingestandenen zwei Milliarden € an Mehrkosten sind bei weitem noch nicht das Ende der Kostenfahnenstange, und noch nicht einmal die zwei Milliarden sind bisher finanziert. Bund und Bahn haben sie lediglich „vorfinanziert“, bis endgültig geklärt ist, dass das Land mit seinen Partnern die Mehrkosten zu tragen hat. Im folgenden Statement werde ich zeigen, wie wir in dieser Sache im Wahlkampf erfolgversprechend politisch vorgehen können. So wie in diesem Teil meines Statements (9.1) die Auseinandersetzung mit dem auf dem Mist der CDU gewachsenen Finanzierungsvertrag im Mittelpunkt steht, so wird im Mittelpunkt des zweiten Teils (9.2), der in einigen Tagen folgen wird, die Auseinandersetzung mit der SPD als „Statthalter“ der CDU im Mittelpunkt stehen. Ich stelle meinen Darlegungen eine These voran:
Der Finanzierungsvertrag (FinV) mit seiner absurden Sprechklausel ist auf Täuschung und Betrug Dritter, vor allem des Landtags angelegt. Gestützt auf ihn wird es keine Lösung des Konflikts zwischen Land und Bahn und keinen Frieden im Land geben.  
Für das Informationsniveau und die Orientierungslosigkeit vieler  Abgeordneter oder z. B. auch des OB will ich vorweg vier Beispiele geben, drei Beispiele zum Thema Finanzierung und eines zum Thema Technik und Leistung.

Missunderstandings

Um die „Alternativlosikgeit“ von S21 noch einmal eindringlich zu zeigen, behauptete der  SPD-Sprecher Wolfgang Drexler in der Sitzung des Landtags vom 13. Mai 2009, an die Grünen im Landtag gewandt, zur Alternative K21:
„Wir müssten neue Gleise ins Neckartal legen, um den Kopfbahnhof auf 38 Züge pro Stunde zu ertüchtigen. Jetzt hat er gerade 25 Züge pro Stunde. Der Durchgangsbahnhof hat 51 Züge pro Stunde. Wir bauen den Bahnhof ja nicht für die nächsten zehn, sondern für die nächsten 150 Jahre.“ http://landtag-bw.de/Wp14/Plp/14_0066_23052009.pdf/ S_4755

Ähnlich orientierungslos zeigte sich der Landesfraktionsvorsitzende der CDU Peter Hauk  am 15.10.2010 im Rahmen einer öffentlichen Parteiveranstaltung:
“Ob das jetzt 10 oder 15 Milliarden kostet, kann Baden-Württemberg wurscht sein. … Die neueste Kalkulation lautet sieben Milliarden. Das müssen Sie nicht akzeptieren, aber das ist so… Wenn jemand sagt, woanders fehlten die Mittel, in den Schulen, bei der S-Bahn, dann ist das alles Kokolores. Es fehlt überhaupt nichts.“ http://www.hirschbergblog.de/2010/10/25/cdu-spitzenpolitiker-peter-hauk-ob-das-10-oder-15-milliarden …/ 

Fast inhaltsgleich das Glaubensbekenntnis des Stuttgarter Bundestagsabgeordneten, Mitglied des Bundestags-Verkehrsausschusses und CDU-Kreisvorsitzenden Stefan Kaufmann:
Als Stuttgarter sage ich aber: Auch wenn es richtig teuer wird – wir sollten es machen. Wir zahlen Milliarden in den Länderfinanzausgleich. Jetzt kriegen wir einmal was zurück – und dann wollen wir es nicht haben.“ (Die Zeit online: „Vorbei aber nicht überstanden“– http://www.zeit.de/2013/08/Stuttgart-21-Konflikt-Zukunft/komplett...)  

Und OB Schuster am 29.07.2009 vor dem Gemeinderat (Betreff:Stuttgart21 Anträge Nrn.277, 278, 285 und  286/2009):
„Aufgabe der Bahn ist, das Bahnprojekt umzusetzen. Das Risiko sollte daher grundsätzlich beim Bauherrn, nämlich der Deutschen Bahn,  bleiben.“ Nur dass das Risiko  bereits nicht mehr dort lag. 

Die Irreführung und Verführung zum überstürzten Vertrag

Was ist eine Entwurfsplanung?

Um die folgende Darstellung und Wüdigung der drei Finanzierungsverträge zu Stuttgart 21 verstehen zu können, sollten Sie, lieber Leser, liebe Leserin, den Begriff der Entwurfsplanung  kennen. Er taucht nicht zufällig auch an markanter Stelle im  Finanzierungsvertrag (§ 2,2) auf (s. u.). Der Begriff der Entwurfsplanung  entstammt der „Honorarordnung für Architekten und Ingenieure“ (HOAI):
Architekten und Bauingenieure gliedern den Fortschritt der Leistungen im Rahmen eines Bauprojekts in 9 Phasen, von denen die Entwurfsplanung die dritte ist (1. Grundlagenermittlung, 2. Vorplanung, 3. Entwurfsplanung, 4. Genehmigungsplanung, 5. Ausführungsplanung …) In der „Vorplanung“ (Phase 2) findet (laut Wikipedia) u. a. eine Kostenschätzung statt. Der „Entwurfsplanung“ (Phase 3) jedoch liegen die Planfeststellungsbeschlüsse zugrunde. Erst sie ermöglichen eine belastbare Kostenberechnung und eine Kostenkontrolle durch Vergleich der Kostenberechnung mit der bloßen Kostenschätzung in Phase 2.  (In der Phase 2 darf man sich noch „verschätzen“, was gut ist, wenn man mit einem niedrig gepreisten Angebot einen Auftrag ergattern will. In der Phase 3 jedoch wird nachprüfbar berechnet. Deswegen geschehen hier bei einem Projekt wie S21, natürlich „völlig überraschend“ und „nicht vorhergesehen“, die „Explosionen“, die „Explosionen der Wahrheit“.)

Welche Rolle spielte nun die Entwurfsplanung in der Geschichte des Finanzierungsvertrags?

1.  Die nach wie vor gültige  Rahmenvereinbarung  von 1995
Erstens:„Die Gesamtkosten des Projekts sind mit 4,893 Mrd. DM veranschlagt.“ (DM, nicht Euro!) § 3(1)
Zweitens: „Die Deutsche Bahn AG ist für die Einhaltung dieser Gesamtkosten … verantwortlich.“(§ 3,2)
Drittens:„Alle Beteiligten sind sich darüber einig, daß für das Gesamtprojekt eine Finanzierungsvereinbarung nach Abschluß des Planfeststellungsverfahrens zu treffen ist.“(§ 6) 
a. Das Kostenrisiko sollte also die Bahn als Bauherr tragen und nicht, wie heute, Land, Stadt usw. (vergl. Information Schusters im Gemeinderat, s. o. )
b. Eine Finanzierungsvereinbarung sollte erst nach Abschluss der Planfeststellung, also auch der Phase der Entwurfsplanung stattfinden. (Damals  lief es noch nach der Art ehrbarer Kaufleute.)

2.  Das „Memorandum of  Understanding“ vom 19.07.2007

Erstens: (III. 1): „Für die Deutsche Bahn AG … und den Bund als Alleingesellschafter der Deutschen Bahn AG ist es im Hinblick auf die Zukunft des Unternehmens von besonderem Interesse , dass für die DB aus der Realisierung des Gesamtvorhabens keine unkalkulierbaren Risiken entstehen und dass die Wirtschaftlichkeit dargestellt ist.“
Diese Bemerkung findet sich inhaltsgleich dann auch in der Finanzierungsvereinbarung zwei Jahre später (dort § 2,2). Die Wirtschaftlichkeit ist übrigens inzwischen laut Bahn nicht mehr gegeben!
Hier beginnen bereits die seltsamen Formulierungen. Der obige Satz soll sagen, Kostenrisiken sollten nicht von der schutzbedürftigen Bahn getragen werden. Da bleiben dann nur noch die Projektpartner. Es wird jedoch nicht definitiv vereinbart, dass die Bahn kein Risiko trägt und dass das die „Partner“ tun.
Zweitens: „Der Finanzierungsvertrag für Stuttgart 21 und die Neubaustrecke Wendlingen-Ulm soll zeitnah abgeschlossen werden.“ (IV.), also plötzlich nicht mehr nach der Planfeststellung oder Entwurfsplanung,   sondern zu einem willkürlichen Termin.  
Drittens: „Die Kosten für das Projekt betragen voraussichtlich rd. 2,8 Mrd. €.“ (III. 3)
Viertens : „… Bei einer Kostensteigerung von über 1 Mrd. € übernehmen die DB AG (vorrangig) und Land davon jeweils bis zu 160 Mio €. Bei darüber hinausgehenden Kostensteigerungen werden  DB AG und Land Gespräche aufnehmen. DB, Land, Stadt und Region vereinbaren darüber hinaus einen gemeinsamen Lenkungskreis zur Kostenauditierung und zur Mehrkostenbegrenzung.“ (III.5) Der Lenkungskreis wurde also nicht für Beschlüsse zur Mehrkostenübernahme, sondern zur Kostenbegrenzung (= Sparen) beschlossen.

3.  Der Finanzierungsvertrag vom 02.04.2009

Erstens: Die Bahn sollte als gewinnorientiertes Wirtschaftsunternehmen die Mehrkosten nicht tragen. Da blieben, wenn Projekt zu teuer, nur noch die Steuerzahler des Landes (siehe  schon im Memorandum).
Zweitens (neu): kein Kündigungsrecht und kein Recht auf Rückabwicklung (s. Memo sowie §§ 2, 8 und 15 FinV). Motto:  S 21 ist unumkehrbar. Oettinger hat sein Ziel erreicht.
Drittens: „Die Vertragsparteien verpflichten sich, das Projekt zu fördern.“ (§ 16, 10)
Viertens: Die Betrugsklausel (neu):
Für den Fall, dass nach Abschluss der Entwurfsplanung, spätestens jedoch bis zum 31.12.2009, eine Erhöhung der für das Projekt aufzuwendenden Gesamtkosten zu erwarten ist, welche zusätzlich die unter nachfolgendem § 8  Abs. 3 vereinbarten Beiträge übersteigt, werden die Vertragspartner Verhandlungen aufnehmen. [Sprechklausel]. Kann danach die Finanzierung nicht sichergestellt werden, wird das Projekt qualifiziert abgeschlossen. (Ausstiegsklausel, § 2,2)“
Ohne den unscheinbaren Einschub spätestens jedoch bis zum 31.12.2009  (Zum Zeitpunkt des FinV gab es von für das Projekt insgesamt 59 erforderlichen gerade einmal 7 Planfeststellungsbeschlüsse!)  hätte es zwar kein „ordentliches“ Kündigungsrecht mehr gegeben, aber doch noch weiterhin die Möglichkeit des „qualifizierten Abschlusses“ des Projekts, also des gemeinsamen Ausstiegs   wegen Unterfinanzierung und Aufteilung der entstandenen und noch entstehenden Kosten im Verhältnis von 60 % (Bahn) zu 40 % (Land).   
Der Vertrag hätte damals noch gar nicht abgeschlossen werden dürfen. Das heißt, weitere „Kostenexplosionen“ waren und sind immer noch programmiert. (Im Februar 2013 gab es laut Anton Hofreiter, Vorsitzender des Bundestags-Verkehrsausschusses 29 abgeschlossene Verfahren!)
Dass Oettinger die treibende Kraft bei dieser Hast war, geht aus Dokumenten jener Zeit hervor. Die Stuttgarter Zeitung hat im März noch einmal davon berichtet:
 „Schon im Herbst 2008 hatte Günther Oettinger im Lenkungskreis deutlich gemacht, dass er keine langen Kostendiskussionen wünsche. „Allein aufgrund der öffentlichen Debatte habe das Land großes Interesse  am schnellen Abschluss der Finanzierungsvereinbarung“, wurde er im Protokoll des Lenkungskreises wiedergegeben; das mache das Projekt unumkehrbar und helfe, die verunsicherten Bürger auf die Seite der Befürworter zu bringen“. (StZ, 15.03.2013)

Dementsprechend wurde die Ausstiegsklausel im Finanzierungsvertrag kurz aufgegriffen (dass nach Abschluss der Entwurfsplanung, spätestens jedoch bis zum 31.12.2009), um sie zu beerdigen; und damit jede Möglichkeit der Umkehr. Das steckte hinter der Aufforderung im Memorandum, den Finanzierungsvertrag „zeitnah“ abzuschließen und nicht nach der Berechnung der Kosten (Entwurfsplanung). Diese Wirkung bestätigte in der Sitzung des zuständigen Innenausschusses am 22. April 2009 (Lt-Drucksache 14/4411, S.2) auf einen Einwand von Seiten der Grünen hin  auch ein nicht namentlich genannten Abgeordneter der CDU: „Denn es sei in der Tat praktisch ausgeschlossen, dass bis zum Jahresende die für den Ausstieg erforderlichen Voraussetzungen erfüllt seien, sodass die entsprechende Klausel dann obsolet sei.“)
Und der Staatssekretär im Innenministerium Rudolf Köberle rechtfertigte das in der selben Sitzung: „…Weiter erklärte er, das Projekt sei seriös finanziert; denn auch für den Fall von Kostensteigerungen seien Regelungen enthalten, und zwar bis zu einer Höhe von mehr als einer Milliarde Euro. Darüber hinaus gehende Kostensteigerungen halte er für so unwahrscheinlich, dass es nicht sinnvoll wäre, prophylaktisch zu vereinbaren, wer sie gegebenenfalls zu tragen habe. Es bestehe Einigkeit in dem Wunsch, dass ein solcher Fall nicht eintrete.“  Diese Ablehnung von „Prophylaxe“, also kaufmännischer Risikominimierung war völlig verantwortungslos.
Und weiter heißt es dort:
 „…es gehe um eventuelle Kostensteigerungen resultierend aus dem Übergang von der dem Vertragswerk zugrunde liegenden Vorentwurfsplanung zur Entwurfsplanung. Derzeit gebe es keinen Anlass für Befürchtungen, dass Vorentwurfsplanung und Entwurfsplanung hinsichtlich der prognostizierten Kosten auseinanderliefen, und schon gar nicht zeichne sich eine so starke Abweichung ab, dass ein Wirksamwerden der erwähnten Klausel möglich würde.“
Die Aussage Köberles bestätigt, dass dem Finanzierungsvertrag nicht eine Entwurfsplanung, sondern deren Vorstufe, eine Vorentwurfsplanung zugrunde lag,  dass im Vertrag die genannten Zahlen also nicht belastbar waren, was sich ja auch nur zu bald bestätigte.
So ist der Hauptverantwortliche für die „Kostenexplosionen“ wohl auch nicht die Deutsche Bahn, sondern die Regierung Oettinger, die bei den überforderten Abgeordneten im Landtag einen voreiligen Vertragsabschluss durchdrückte.

Das „Eckpunktepapier“  und das Vater Unser

Welche Ausmaße dieser Druck angenommen haben muss, zeigt ein Landtagsbeschluss vom 24. Juli 2007. Mit den Stimmen von CDU, FDP/DVP und SPD verabschiedete der Landtag von Baden-Württemberg entgegen den Warnungen der Grünen das gemeinsam eingebrachte „Eckpunktepapier(abgeordnetenwatch.de/zustimmung_zu_den_eckpunkten_von_stuttgart_21_wendlingen_ulm-518-240.html):
Mit ihm  segnete der Landtag damals das 5 Tage zuvor von der Landesregierung unterzeichnete Memorandum of Missunderstanding ab. Unter Punkt 3 heißt es in ihm:
„Der Landtag fordert den Bund und die Deutsche Bahn AG auf, das bis an die Grenze der Belastbarkeit [damals 2,8 Mrd. €] gehende finanzielle Engagement des Landes zu würdigen und im Zuge der Umsetzung keine weiteren Nachforderungen mehr zu stellen.“
Das geschah zwei Jahre vor dem FinV! Ein denkwürdiger Beschluss, denkwürdig leider vor allem, weil so unendlich peinlich. Für mich klingt das wie eine religiöse Fürbitte nach dem Vorbild des „Vater unser im Himmel! Geheiligt werde dein Name. Dein Reich komme. Dein Wille geschehe … und erlöse uns von dem Übel …“ Sie klingt wie eine Abdankungserklärung. Eine tief gehende Verwirrung und Verirrung der parlamentarischen Demokratie im Ländle. Die eigene Verantwortung gegenüber dem Staat und dem Land wird von den Abgeordneten der drei Altparteien einem Logistikunternehmen anvertraut. Dabei ist die Bahn AG doch ein Konzern, der Profite zu machen hat (s. Memorandum III,1) und kein Wohltätigkeitsverein. Rein rechtlich gesehen ist die Aufforderung an die Adresse der Bahn, doch bitte keine Nachforderungen mehr zu stellen, auch noch Aufforderung zur Untreue des Bahnvorstands nach § 266 Strafgesetzbuch. Ich hoffe, die Beteiligten empfinden, wenn sie sich dem Blick in die Vergangenheit stellen, Scham. Ich jedenfalls empfinde, obwohl ich nicht beteiligt war, Scham. Das nennt man wohl Fremdscham. Richtiger wäre mutiges Beharren auf einer bis zur kompletten Entwurfsplanung  zeitlich nicht begrenzte Ausstiegsklausel gewesen.   Die Beteiligten sollten versuchen, das wieder gut zu machen.

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