Oettingers Verantwortung für die Kostenexplosionen
Zur Lage und Taktik 9.1
Seit dem Aufsichtsratsbeschluss
der Deutschen Bahn AG am 05. März, so habe ich den Eindruck, haben noch einmal
viele Mitkämpfer das Vertrauen verloren, dass der Bau des Tiefbahnhofs noch
verhindert werden kann. Aber es gibt einen ganz einfachen Umstand, der gegen
die Unumkehrbarkeit spricht: Das Projekt
ist bisher nicht finanziert. Die im Dezember in seinem Offenbarungseid von
Bahnchef Grube eingestandenen zwei
Milliarden € an Mehrkosten sind bei weitem noch nicht das Ende der
Kostenfahnenstange, und noch nicht einmal die zwei Milliarden sind bisher
finanziert. Bund und Bahn haben sie lediglich „vorfinanziert“, bis endgültig
geklärt ist, dass das Land mit seinen Partnern die Mehrkosten zu tragen hat. Im
folgenden Statement werde ich zeigen, wie wir in dieser Sache im Wahlkampf erfolgversprechend
politisch vorgehen können. So wie in
diesem Teil meines Statements (9.1) die Auseinandersetzung mit dem auf dem Mist
der CDU gewachsenen Finanzierungsvertrag im Mittelpunkt steht, so wird im
Mittelpunkt des zweiten Teils (9.2), der in einigen Tagen folgen wird, die
Auseinandersetzung mit der SPD als „Statthalter“ der CDU im Mittelpunkt stehen.
Ich stelle meinen Darlegungen eine These voran:
Der Finanzierungsvertrag
(FinV) mit seiner absurden Sprechklausel ist auf Täuschung und Betrug Dritter,
vor allem des Landtags angelegt. Gestützt auf ihn wird es keine Lösung des
Konflikts zwischen Land und Bahn und keinen Frieden im Land geben.
Für das Informationsniveau und
die Orientierungslosigkeit vieler Abgeordneter
oder z. B. auch des OB will ich vorweg vier Beispiele geben, drei Beispiele zum
Thema Finanzierung und eines zum Thema Technik und Leistung.
Missunderstandings
Um die „Alternativlosikgeit“ von
S21 noch einmal eindringlich zu zeigen, behauptete der SPD-Sprecher Wolfgang Drexler in der
Sitzung des Landtags vom 13. Mai 2009, an die Grünen im Landtag gewandt, zur
Alternative K21:
„Wir müssten neue Gleise ins Neckartal
legen, um den Kopfbahnhof auf 38 Züge pro Stunde zu ertüchtigen. Jetzt hat er
gerade 25 Züge pro Stunde. Der Durchgangsbahnhof hat 51 Züge pro
Stunde. Wir bauen den Bahnhof ja nicht für die nächsten zehn, sondern für die
nächsten 150 Jahre.“ http://landtag-bw.de/Wp14/Plp/14_0066_23052009.pdf/
S_4755
Ähnlich orientierungslos zeigte
sich der Landesfraktionsvorsitzende der CDU Peter Hauk am 15.10.2010 im Rahmen einer öffentlichen
Parteiveranstaltung:
“Ob das jetzt 10 oder 15 Milliarden
kostet, kann Baden-Württemberg wurscht sein. … Die neueste Kalkulation lautet
sieben Milliarden. Das müssen Sie nicht akzeptieren, aber das ist so… Wenn
jemand sagt, woanders fehlten die Mittel, in den Schulen, bei der S-Bahn, dann
ist das alles Kokolores. Es fehlt überhaupt nichts.“ http://www.hirschbergblog.de/2010/10/25/cdu-spitzenpolitiker-peter-hauk-ob-das-10-oder-15-milliarden
…/
Fast inhaltsgleich das Glaubensbekenntnis
des Stuttgarter Bundestagsabgeordneten, Mitglied des
Bundestags-Verkehrsausschusses und CDU-Kreisvorsitzenden Stefan Kaufmann:
„Als Stuttgarter sage ich aber:
Auch wenn es richtig teuer wird – wir sollten es machen. Wir zahlen Milliarden
in den Länderfinanzausgleich. Jetzt kriegen wir einmal was zurück – und dann
wollen wir es nicht haben.“ (Die Zeit online: „Vorbei aber nicht
überstanden“– http://www.zeit.de/2013/08/Stuttgart-21-Konflikt-Zukunft/komplett...)
Und
OB Schuster am 29.07.2009 vor dem Gemeinderat (Betreff:Stuttgart21 Anträge Nrn.277, 278, 285 und 286/2009):
„Aufgabe der Bahn ist, das Bahnprojekt
umzusetzen. Das Risiko sollte daher grundsätzlich beim Bauherrn, nämlich der
Deutschen Bahn, bleiben.“ Nur dass das
Risiko bereits nicht mehr dort lag.
Die Irreführung und Verführung zum überstürzten Vertrag
Was ist eine
Entwurfsplanung?
Um die folgende Darstellung und
Wüdigung der drei Finanzierungsverträge zu Stuttgart 21 verstehen zu können,
sollten Sie, lieber Leser, liebe Leserin, den Begriff der „Entwurfsplanung“
kennen. Er taucht nicht zufällig auch an
markanter Stelle im Finanzierungsvertrag
(§ 2,2) auf (s. u.). Der Begriff der Entwurfsplanung entstammt der „Honorarordnung für Architekten
und Ingenieure“ (HOAI):
Architekten und
Bauingenieure gliedern den Fortschritt der Leistungen im Rahmen eines
Bauprojekts in 9 Phasen, von denen die Entwurfsplanung die dritte ist (1.
Grundlagenermittlung, 2. Vorplanung, 3. Entwurfsplanung, 4.
Genehmigungsplanung, 5. Ausführungsplanung …) In der „Vorplanung“ (Phase 2)
findet (laut Wikipedia) u. a. eine Kostenschätzung
statt. Der „Entwurfsplanung“ (Phase 3) jedoch liegen die
Planfeststellungsbeschlüsse zugrunde. Erst sie ermöglichen eine belastbare Kostenberechnung und eine Kostenkontrolle durch Vergleich der Kostenberechnung mit der bloßen Kostenschätzung in Phase
2. (In der Phase 2 darf man sich
noch „verschätzen“, was gut ist, wenn man mit einem niedrig gepreisten Angebot
einen Auftrag ergattern will. In der Phase 3 jedoch wird nachprüfbar berechnet.
Deswegen geschehen hier bei einem Projekt wie S21, natürlich „völlig
überraschend“ und „nicht vorhergesehen“, die „Explosionen“, die „Explosionen
der Wahrheit“.)
Welche Rolle spielte nun die
Entwurfsplanung in der Geschichte des Finanzierungsvertrags?
1.
Die nach wie vor gültige „Rahmenvereinbarung“ von
1995
Erstens:„Die Gesamtkosten des
Projekts sind mit 4,893 Mrd. DM veranschlagt.“ (DM, nicht Euro!) § 3(1)
Zweitens: „Die Deutsche Bahn AG
ist für die Einhaltung dieser Gesamtkosten … verantwortlich.“(§ 3,2)
Drittens:„Alle Beteiligten
sind sich darüber einig, daß für das Gesamtprojekt eine Finanzierungsvereinbarung nach Abschluß des
Planfeststellungsverfahrens zu treffen ist.“(§ 6)
a. Das Kostenrisiko sollte also
die Bahn als Bauherr tragen und nicht, wie heute, Land, Stadt usw. (vergl.
Information Schusters im Gemeinderat, s. o. )
b. Eine Finanzierungsvereinbarung
sollte erst nach Abschluss der
Planfeststellung, also auch der Phase der Entwurfsplanung stattfinden.
(Damals lief es noch nach der Art
ehrbarer Kaufleute.)
2. Das „Memorandum of Understanding“ vom 19.07.2007
Erstens: (III. 1): „Für die
Deutsche Bahn AG … und den Bund als Alleingesellschafter der Deutschen Bahn AG
ist es im Hinblick auf die Zukunft des Unternehmens von besonderem Interesse ,
dass für die DB aus der Realisierung des Gesamtvorhabens keine unkalkulierbaren Risiken entstehen und dass die
Wirtschaftlichkeit dargestellt ist.“
Diese Bemerkung findet
sich inhaltsgleich dann auch in der Finanzierungsvereinbarung zwei Jahre später
(dort § 2,2). Die Wirtschaftlichkeit ist übrigens inzwischen laut Bahn nicht
mehr gegeben!
Hier beginnen bereits die
seltsamen Formulierungen. Der obige Satz soll sagen, Kostenrisiken sollten nicht von der schutzbedürftigen
Bahn getragen werden. Da bleiben dann nur noch die Projektpartner. Es wird
jedoch nicht definitiv vereinbart, dass die Bahn kein Risiko trägt und dass das
die „Partner“ tun.
Zweitens: „Der Finanzierungsvertrag für Stuttgart 21 und die
Neubaustrecke Wendlingen-Ulm soll zeitnah
abgeschlossen werden.“ (IV.), also plötzlich nicht mehr nach der
Planfeststellung oder Entwurfsplanung, sondern zu einem willkürlichen Termin.
Drittens: „Die Kosten für das Projekt betragen voraussichtlich rd. 2,8 Mrd. €.“
(III. 3)
Viertens : „… Bei einer Kostensteigerung von über 1 Mrd. €
übernehmen die DB AG (vorrangig) und Land davon jeweils bis zu 160 Mio €. Bei
darüber hinausgehenden Kostensteigerungen werden DB AG und Land Gespräche aufnehmen. DB, Land, Stadt und Region vereinbaren darüber
hinaus einen gemeinsamen Lenkungskreis
zur Kostenauditierung und zur
Mehrkostenbegrenzung.“ (III.5) Der Lenkungskreis wurde also nicht für
Beschlüsse zur Mehrkostenübernahme, sondern zur Kostenbegrenzung (= Sparen) beschlossen.
3. Der Finanzierungsvertrag vom 02.04.2009
Erstens: Die Bahn sollte als
gewinnorientiertes Wirtschaftsunternehmen die Mehrkosten nicht tragen. Da
blieben, wenn Projekt zu teuer, nur noch die Steuerzahler des Landes (siehe schon im Memorandum).
Zweitens (neu): kein Kündigungsrecht
und kein Recht auf Rückabwicklung (s. Memo sowie §§ 2, 8 und 15 FinV).
Motto: S 21 ist unumkehrbar. Oettinger hat sein Ziel erreicht.
Drittens: „Die Vertragsparteien
verpflichten sich, das Projekt zu fördern.“ (§ 16, 10)
Viertens: Die Betrugsklausel (neu):
„Für den Fall, dass nach Abschluss der Entwurfsplanung, spätestens
jedoch bis zum 31.12.2009, eine Erhöhung der für das Projekt
aufzuwendenden Gesamtkosten zu erwarten ist, welche zusätzlich die unter
nachfolgendem § 8 Abs. 3 vereinbarten
Beiträge übersteigt, werden die Vertragspartner Verhandlungen aufnehmen. [Sprechklausel]. Kann danach die Finanzierung nicht sichergestellt werden, wird das Projekt qualifiziert
abgeschlossen. (Ausstiegsklausel, § 2,2)“
Ohne den
unscheinbaren Einschub „spätestens jedoch bis zum 31.12.2009“ (Zum Zeitpunkt des FinV gab es von
für das Projekt insgesamt 59 erforderlichen gerade einmal 7
Planfeststellungsbeschlüsse!) hätte
es zwar kein „ordentliches“ Kündigungsrecht mehr gegeben, aber doch noch
weiterhin die Möglichkeit des „qualifizierten Abschlusses“ des Projekts, also
des gemeinsamen Ausstiegs wegen
Unterfinanzierung und Aufteilung der entstandenen und noch entstehenden Kosten
im Verhältnis von 60 % (Bahn) zu 40 % (Land).
Der Vertrag hätte damals noch gar nicht
abgeschlossen werden dürfen. Das heißt, weitere „Kostenexplosionen“ waren
und sind immer noch programmiert. (Im Februar 2013 gab es laut Anton Hofreiter,
Vorsitzender des Bundestags-Verkehrsausschusses 29 abgeschlossene Verfahren!)
Dass
Oettinger die treibende Kraft bei dieser Hast war, geht aus Dokumenten jener
Zeit hervor. Die Stuttgarter Zeitung hat im März noch einmal davon berichtet:
„Schon
im Herbst 2008 hatte Günther
Oettinger im Lenkungskreis deutlich gemacht, dass er keine langen
Kostendiskussionen wünsche. „Allein aufgrund der öffentlichen Debatte habe das
Land großes Interesse am schnellen Abschluss der
Finanzierungsvereinbarung“, wurde er im Protokoll des
Lenkungskreises wiedergegeben; das mache das Projekt unumkehrbar und helfe, die verunsicherten Bürger auf die
Seite der Befürworter zu bringen“. (StZ, 15.03.2013)
Dementsprechend
wurde die Ausstiegsklausel im Finanzierungsvertrag kurz aufgegriffen (dass nach Abschluss der Entwurfsplanung, spätestens
jedoch bis zum 31.12.2009), um sie zu beerdigen; und damit jede
Möglichkeit der Umkehr. Das steckte hinter der Aufforderung im Memorandum, den
Finanzierungsvertrag „zeitnah“ abzuschließen und nicht nach der Berechnung der
Kosten (Entwurfsplanung). Diese Wirkung
bestätigte in der Sitzung des zuständigen
Innenausschusses am 22. April 2009 (Lt-Drucksache 14/4411, S.2) auf einen Einwand
von Seiten der Grünen hin auch ein nicht
namentlich genannten Abgeordneter der CDU: „Denn
es sei in der Tat praktisch ausgeschlossen, dass bis zum Jahresende die für den
Ausstieg erforderlichen Voraussetzungen erfüllt seien, sodass die entsprechende
Klausel dann obsolet sei.“)
Und
der Staatssekretär im Innenministerium Rudolf Köberle rechtfertigte das in der
selben Sitzung: „…Weiter erklärte er, das
Projekt sei seriös finanziert; denn auch für den Fall von Kostensteigerungen
seien Regelungen enthalten, und zwar bis zu einer Höhe von mehr als einer
Milliarde Euro. Darüber hinaus gehende
Kostensteigerungen halte er für so unwahrscheinlich, dass es nicht sinnvoll
wäre, prophylaktisch zu vereinbaren, wer sie gegebenenfalls zu tragen habe.
Es bestehe Einigkeit in dem Wunsch, dass ein solcher Fall nicht eintrete.“
Diese
Ablehnung von „Prophylaxe“, also kaufmännischer Risikominimierung war völlig
verantwortungslos.
Und weiter heißt es dort:
„…es gehe um eventuelle Kostensteigerungen resultierend aus dem Übergang
von der dem Vertragswerk zugrunde
liegenden Vorentwurfsplanung zur Entwurfsplanung. Derzeit gebe es keinen Anlass für
Befürchtungen, dass Vorentwurfsplanung und Entwurfsplanung hinsichtlich der
prognostizierten Kosten auseinanderliefen, und schon gar nicht zeichne sich
eine so starke Abweichung ab, dass ein Wirksamwerden der erwähnten Klausel
möglich würde.“
Die Aussage Köberles bestätigt,
dass dem Finanzierungsvertrag nicht eine Entwurfsplanung, sondern deren
Vorstufe, eine Vorentwurfsplanung zugrunde lag,
dass im Vertrag die genannten Zahlen
also nicht belastbar waren, was sich ja auch nur zu bald bestätigte.
So ist der
Hauptverantwortliche für die „Kostenexplosionen“ wohl auch nicht die Deutsche
Bahn, sondern die Regierung Oettinger, die bei den überforderten Abgeordneten
im Landtag einen voreiligen Vertragsabschluss durchdrückte.
Das „Eckpunktepapier“ und das Vater Unser
Welche
Ausmaße dieser Druck angenommen haben muss, zeigt ein Landtagsbeschluss vom 24. Juli 2007. Mit den
Stimmen von CDU, FDP/DVP und SPD verabschiedete der Landtag von
Baden-Württemberg entgegen den Warnungen der Grünen das gemeinsam eingebrachte
„Eckpunktepapier“(abgeordnetenwatch.de/zustimmung_zu_den_eckpunkten_von_stuttgart_21_wendlingen_ulm-518-240.html):
Mit ihm segnete der Landtag damals das 5 Tage zuvor
von der Landesregierung unterzeichnete Memorandum
of Missunderstanding ab. Unter Punkt 3 heißt es in ihm:
„Der
Landtag fordert den Bund und die Deutsche Bahn AG auf, das bis an die Grenze
der Belastbarkeit [damals 2,8
Mrd. €] gehende finanzielle Engagement des Landes zu würdigen und im Zuge der
Umsetzung keine weiteren Nachforderungen mehr zu stellen.“
Das geschah zwei Jahre vor dem
FinV! Ein denkwürdiger Beschluss, denkwürdig leider vor allem, weil so unendlich
peinlich. Für mich klingt das wie eine religiöse Fürbitte nach dem Vorbild des „Vater
unser im Himmel! Geheiligt werde dein Name. Dein Reich komme. Dein Wille
geschehe … und erlöse uns von dem Übel …“ Sie klingt wie eine Abdankungserklärung. Eine tief gehende Verwirrung
und Verirrung der parlamentarischen Demokratie im Ländle. Die eigene
Verantwortung gegenüber dem Staat und dem Land wird von den Abgeordneten der
drei Altparteien einem Logistikunternehmen anvertraut. Dabei ist die Bahn AG doch
ein Konzern, der Profite zu machen hat (s. Memorandum III,1) und kein
Wohltätigkeitsverein. Rein rechtlich gesehen ist die Aufforderung an die
Adresse der Bahn, doch bitte keine Nachforderungen mehr zu stellen, auch noch Aufforderung zur Untreue des
Bahnvorstands nach § 266 Strafgesetzbuch. Ich hoffe, die Beteiligten empfinden,
wenn sie sich dem Blick in die Vergangenheit stellen, Scham. Ich jedenfalls
empfinde, obwohl ich nicht beteiligt war, Scham. Das nennt man wohl Fremdscham.
Richtiger wäre mutiges Beharren auf einer bis zur kompletten Entwurfsplanung zeitlich nicht begrenzte Ausstiegsklausel
gewesen. Die Beteiligten sollten versuchen, das wieder
gut zu machen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen