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: Zur Lage und Taktik – 2. Teil 12.01.2012
(Das Kleingedruckte braucht nur
der zu lesen, der seine Nase mal selbst in gewisse Fakten stecken will. )
Im
ersten Teil einer Lage und
Taktikbestimmung habe ich versucht zu zeigen, wie die Öffentlichkeit, also
letztlich die Bürger und mit ihnen auch unsere Bewegung von der Landesregierung
taktisch geschickt hinters Licht geführt wurden, um Stuttgart 21 politisch aus
der Schusslinie zu bekommen. MP Kretschmann beruft sich auf seine Rechts- und
Gesetzestreue, die ihn angeblich wegen des VA-Ergebnisses zur Durchführung von
S21 verpflichte. Tatsächlich jedoch verpflichtet ihn die rechtlich gescheiterte
VA aber zu nichts. Die Verantwortung für S21 liegt weiter bei der Bahn und den
Projektpartnern und nicht beim Volk. Deswegen sollte das Volk auch nicht die
Verantwortung für S21 und das heißt auch für einen von der Regierung Oettinger ausgestellten
Blankoscheck (Finanzierungsvereinbarung)
aufhalsen lassen. In diesem zweiten Teil
meiner Überlegungen wird es um die
Bedeutung dieses Finanzierungsvertrages gehen.
„Gesprächsklausel“ – Versteck
eines staatlichen Blankoschecks
Bei einem ersten Blick in den
Finanzierungsvertrag stellt man erstaunt
fest, der Vertrag schließt seine ordentliche Kündigung aus. In § 15 (1) des
Finanzierungsvertrags zu S21 heißt es ausdrücklich: „Eine ordentliche Kündigung dieses Vertrages ist ausgeschlossen.“ Da aber jeder Vertrag prinzipiell kündbar ist,
kann das nur bedeuten, er ist nur „unordentlich“ kündbar. Unordnung ist demnach
durch den Finanzierungsvertrag programmiert. Die projektkritischen „Juristen zu
S21“ sehen in diesem Ausschluss des Rechts auf ordentliche Kündigung eine
vertragliche „Regelungslücke“. In ihrer
Einschätzung des Vertrages vom 30. 08.2011, also drei Monate vor der VA, heißt es:
„Der 'Geburtsfehler' der Regelungslücke stellt aus juristischer Sicht einen groben Fehler dar, der nicht hätte
passieren dürfen. Im Falle der Überschreitung der kalkulierten Gesamtkosten wird die Lage rechtlich
und finanziell nicht mehr beherrschbar. Will man das Projekt
nicht abbrechen, weil man bereits viele hundert Millionen Steuergelder
verbaut hat, muss man nachfinanzieren."
Das bedeutet jedoch, dass der von
der Regierungskoalition beschlossene und
uns so teure „Kostendeckel“ von
Anfang an vertragswidrig war. Dass die Bahn den Vertragsbruch jedoch bisher hingenommen
hat, zeigt wohl deutlich, dass sie seit dem öffentlichen Faktenscheck begonnen
hat, ein Unrechtsbewusstsein zu entwickeln. Das zeigt aber, nebenbei bemerkt,
auch, wie wichtig dem Ministerpräsidenten Recht und Gesetz wirklich sind. Von
der Tatsache, dass der Kostendeckel einen Rechtsbruch darstellt, sollte uns
auch die Tatsache nicht ablenken, dass wir seine Nutznießer, also gewissermaßen
Komplizen des Rechtsbruchs sind, also auf einer brüchigen Basis bauen.. Der
Ausschluss des Rechts auf ordentliche Kündigung hat also bereits zu einiger
Unordnung geführt.
Deswegen kann uns auch ein
tieferer Blick in den Vertrag nicht
schaden. Das habe nicht nur ich, das hat auch Carola Eckstein in den
Weihnachtstagen getan und ihre wie sie meint „erfreulichen“ Ergebnisse in den
Online-Verteiler des Parkschützerrates gestellt. Doch wir sind, was Lage und
Taktik betrifft, zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangt.
(Dem
weiteren vorausschicken möchte ich, dass es sicherlich um unsere Bewegung und
ihre Taktik besser bestellt wäre, wenn mehr von uns sich öfter solchen Mühen
unterziehen würden, wie Carola es getan hat. Dabei kann man auch als
juristischer Laie einiges lernen, was ein Demokrat wissen sollte. Und dann
könnten wir uns über unsere Ergebnisse austauschen und so auch
Missverständnisse ausräumen und Fehleinschätzungen leichter vermeiden, wie ich
es hier zumindest versuche.)
Carola zitiert aus § 2, Absatz 2:
„Kann
danach (nach dem 31.12.2009) die Finanzierung nicht sichergestellt werden, wird das Projekt qualifiziert abgeschlossen.“ Qualifizierter Abschluss bedeutet Rückbau.
Erfreut darüber, dass im Vertrag für den
Fall weiterer Kostensteigerungen auch die Möglichkeit des Rückbaus (bei 60 %
für die Bahn und 40 % der zu begleichenden Kosten für die Projektpartner Land,
Stadt usw.) vorgesehen ist, gibt sie die Losung aus: Finanzierungsvertrag
einhalten = Stuttgart 21 jetzt abwickeln!“
Damit hat sie sich jedoch, wie
von den Verfassern beabsichtigt, in den
Fallstricken der Verklausulierungskünste der Bahn und der früheren
CDU-FDP-Landesregierung verfangen.
Es heißt dort nicht „kann …nach dem 31.12.2009“, sondern kann „bis spätestens zum 31.12.2009“ die Finanzierung nicht sichergestellt werden,
„wird das Projekt qualifiziert abgeschlossen“. Seit dem 01. 01. 2010 gibt es also vertraglich keinen Rückbau mehr,
egal wie die Kosten steigen. Unmissverständlich klar gemacht wird das mit dem §
8, Absatz 4 für den Fall weiterer Kostensteigerungen: „Im Falle weiterer Kostensteigerungen nehmen die EIU
(Eisenbahninfrastrukturunternehmen) und das Land Gespräche auf. Paragraph 2 Abs. 2 findet insoweit keine
Beachtung.“
An der Passage des Vertrags (§
2,2), aus der hier zitiert wurde, sind bei
einer Einschätzung von Lage und Taktik mindestens
3 Aspekte von erheblicher Bedeutung für uns:
- Der Vertrag garantiert der Bahn die betriebliche „Wirtschaftlichkeit“ des schwäbischen Prestigeprojekts. Die Bahn ist also bei mangelnder Wirtschaftlichkeit nicht (mehr) verpflichtet zu bauen bzw. zu Ende zu bauen, und sie muss auch keine unkalkulierbaren Risiken eingehen. In dem Punkt irrt übrigens Thomas Wüpper in seinem ansonsten ausgezeichnet recherchierten und aufschlussreichen Artikel „Bahn sagt auch Treffen des Aufsichtsrats ab“ in der StZ. vom 12.01.2013, wenn er schreibt, „die Risiken trägt der Konzern als Bauherr und Betreiber.“ Die Risiken tragen laut Vertrag allein das Land und seine Partner. Für Sie gibt es derartige Absicherungen wie für die Bahn nicht.
- In § 2 (2) wurde zwar für einen begrenzten Zeitraum und zwar vom 02.04.2009 bis spätestens zum 31.12.2009, also für maximal 9 Monate die Option eines Rückbaus, vorgesehen. In § 8 (4) wird diese Option jedoch für die Zeit ab 01.01.2010 ausdrücklich negiert. Eine Begründung für die nur neunmonatige Dauer der „Kündigungsfrist“ wird nicht gegeben. Die Hintergründe wären sicherlich interessant.
- Vom 01.01.2010 an sind bei weiteren Kostensteigerungen stets Verhandlungen aufzunehmen, in denen die Projektpartner (Land, Stadt, Region und Flughafen) sich darauf einigen, wer von ihnen welche Kosten zu übernehmen hat. Genau für diese „Gespräche“ wurde der „Lenkungskreis“ geschaffen. Dieser Mechanismus wird auch „Sprechklausel“ genannt. In § 3 (3) heißt es z. B.: „Ist das Land der Auffassung, dass angezeigte Erhöhungen (der Kosten) nicht durch die aufgezeigten Chancen oder Einsparungen ausgeglichen werden können, kann es den Lenkungskreis zur Entscheidung anrufen.“
Die Regierung Teufel und die
Bundesregierung vertreten durch Verkehrsminister Wissmann bei der Rahmenvereinbarung zu S21 vom
07.11.1995 sowie die Regierung Oettinger bei den Verhandlungen im April 2009 haben
also für das Land einen würdelosen Selbstknebelungsvertrag
abgeschlossen und sich von der Deutschen Bahn einen unkündbaren Blankoscheck abschwatzen lassen,
versteckt in der berüchtigten Sprechklausel. Die Suppe auszulöffeln haben nun die Bürger,
da die CDU-SPD-Regierung ohne sie offensichtlich überfordert ist. Der Verfassungsrechtler Wieland hat bereits
eine neue VA als Möglichkeit hingestellt, aber das ist schon deswegen Unsinn, da eine erneute
VA oder auch ein Bürgerentscheid
der Stadt am Quorum scheitern würden.
Wenn wir im Sinne der
Kostenvermeidungspflicht Stuttgart 21 abgewickelt sehen möchten, womit Carola
sicherlich unser aller Herzenswunsch ausspricht, dürfen wir uns auf vieles
berufen, jedoch nicht gerade auf den Finanzierungsvertrag, der die Abwicklung ausdrücklich
nicht vorsieht. Und auch „S21 plus“
kommt, jedenfalls für mich, nicht in Frage. Das wäre eine absurde und
würdelose Konsequenz aus den vorliegenden Erkenntnissen und Entwicklungen. Die
Regierung soll endlich Farbe bekennen,
politische Farbe, und die Aufhebung des
Vertrages ohne
Schadensersatzpflicht herbeiführen, bevor
alles zu spät ist.
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