Sonntag, 20. Januar 2013

(2) Zur Lage und Taktik


Reinhart.Vowinckel@web.de : Zur Lage und Taktik – 2. Teil    12.01.2012

(Das Kleingedruckte braucht  nur der zu lesen, der seine Nase mal selbst in gewisse Fakten stecken will. )

Im ersten Teil einer Lage und Taktikbestimmung habe ich versucht zu zeigen, wie die Öffentlichkeit, also letztlich die Bürger und mit ihnen auch unsere Bewegung von der Landesregierung taktisch geschickt hinters Licht geführt wurden, um Stuttgart 21 politisch aus der Schusslinie zu bekommen. MP Kretschmann beruft sich auf seine Rechts- und Gesetzestreue, die ihn angeblich wegen des VA-Ergebnisses zur Durchführung von S21 verpflichte. Tatsächlich jedoch verpflichtet ihn die rechtlich gescheiterte VA aber zu nichts. Die Verantwortung für S21 liegt weiter bei der Bahn und den Projektpartnern und nicht beim Volk. Deswegen sollte das Volk auch nicht die Verantwortung für S21 und das heißt auch für einen von der Regierung Oettinger ausgestellten Blankoscheck  (Finanzierungsvereinbarung) aufhalsen lassen.  In diesem zweiten Teil meiner Überlegungen wird es  um die Bedeutung dieses Finanzierungsvertrages gehen.

 „Gesprächsklausel“ – Versteck eines staatlichen Blankoschecks

Bei einem ersten Blick in den Finanzierungsvertrag  stellt man erstaunt fest, der Vertrag schließt seine ordentliche Kündigung aus. In § 15 (1) des Finanzierungsvertrags zu S21 heißt es ausdrücklich: „Eine ordentliche Kündigung dieses Vertrages ist ausgeschlossen.“  Da aber jeder Vertrag prinzipiell kündbar ist, kann das nur bedeuten, er ist nur „unordentlich“ kündbar. Unordnung ist demnach durch den Finanzierungsvertrag programmiert. Die projektkritischen „Juristen zu S21“ sehen in diesem Ausschluss des Rechts auf ordentliche Kündigung eine vertragliche  „Regelungslücke“. In ihrer Einschätzung des Vertrages vom 30. 08.2011, also drei Monate vor der VA,  heißt es:
Der 'Geburtsfehler' der Regelungslücke stellt aus juristischer Sicht  einen groben Fehler dar, der nicht hätte passieren dürfen. Im Falle der Überschreitung der  kalkulierten Gesamtkosten wird die Lage rechtlich und  finanziell nicht mehr beherrschbar. Will man das Projekt nicht abbrechen,  weil man bereits viele hundert Millionen Steuergelder verbaut hat, muss man nachfinanzieren."
Das bedeutet jedoch, dass der von der Regierungskoalition beschlossene und  uns so teure „Kostendeckel“ von Anfang an vertragswidrig war. Dass die Bahn den Vertragsbruch jedoch bisher hingenommen hat, zeigt wohl deutlich, dass sie seit dem öffentlichen Faktenscheck begonnen hat, ein Unrechtsbewusstsein zu entwickeln. Das zeigt aber, nebenbei bemerkt, auch, wie wichtig dem Ministerpräsidenten Recht und Gesetz wirklich sind. Von der Tatsache, dass der Kostendeckel einen Rechtsbruch darstellt, sollte uns auch die Tatsache nicht ablenken, dass wir seine Nutznießer, also gewissermaßen Komplizen des Rechtsbruchs sind, also auf einer brüchigen Basis bauen.. Der Ausschluss des Rechts auf ordentliche Kündigung hat also bereits zu einiger Unordnung geführt.
Deswegen kann uns auch ein tieferer  Blick in den Vertrag nicht schaden. Das habe nicht nur ich, das hat auch Carola Eckstein in den Weihnachtstagen getan und ihre wie sie meint „erfreulichen“ Ergebnisse in den Online-Verteiler des Parkschützerrates gestellt. Doch wir sind, was Lage und Taktik betrifft, zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangt.
(Dem weiteren vorausschicken möchte ich, dass es sicherlich um unsere Bewegung und ihre Taktik besser bestellt wäre, wenn mehr von uns sich öfter solchen Mühen unterziehen würden, wie Carola es getan hat. Dabei kann man auch als juristischer Laie einiges lernen, was ein Demokrat wissen sollte. Und dann könnten wir uns über unsere Ergebnisse austauschen und so auch Missverständnisse ausräumen und Fehleinschätzungen leichter vermeiden, wie ich es hier zumindest versuche.)
Carola zitiert aus § 2, Absatz 2: Kann danach (nach dem 31.12.2009) die Finanzierung nicht sichergestellt werden,  wird das Projekt qualifiziert abgeschlossen.“  Qualifizierter Abschluss bedeutet Rückbau. Erfreut darüber, dass im Vertrag  für den Fall weiterer Kostensteigerungen auch die Möglichkeit des Rückbaus (bei 60 % für die Bahn und 40 % der zu begleichenden Kosten für die Projektpartner Land, Stadt usw.) vorgesehen ist, gibt sie die Losung aus:         Finanzierungsvertrag einhalten = Stuttgart 21 jetzt abwickeln!“
Damit hat sie sich jedoch, wie von den Verfassern beabsichtigt,  in den Fallstricken der Verklausulierungskünste der Bahn und der früheren CDU-FDP-Landesregierung verfangen.
Es heißt dort nicht „kann …nach dem 31.12.2009“, sondern kann „bis spätestens zum 31.12.2009“ die Finanzierung nicht sichergestellt werden, „wird das Projekt qualifiziert abgeschlossen“. Seit dem 01. 01. 2010  gibt es also vertraglich keinen Rückbau mehr, egal wie die Kosten steigen. Unmissverständlich klar gemacht wird das mit dem § 8, Absatz 4 für den Fall weiterer Kostensteigerungen: Im Falle weiterer Kostensteigerungen nehmen die EIU (Eisenbahninfrastrukturunternehmen) und das Land Gespräche auf. Paragraph 2 Abs. 2 findet insoweit keine Beachtung.“ 
An der Passage des Vertrags (§ 2,2), aus der hier zitiert wurde, sind  bei einer  Einschätzung von Lage und Taktik mindestens 3 Aspekte von erheblicher Bedeutung für uns:
  1. Der Vertrag garantiert der Bahn die betriebliche „Wirtschaftlichkeit“ des schwäbischen Prestigeprojekts. Die Bahn ist also bei mangelnder Wirtschaftlichkeit nicht (mehr) verpflichtet zu bauen bzw. zu Ende zu bauen, und sie muss auch keine unkalkulierbaren Risiken eingehen. In dem Punkt irrt übrigens Thomas Wüpper  in seinem ansonsten ausgezeichnet recherchierten und aufschlussreichen Artikel „Bahn sagt auch Treffen des Aufsichtsrats ab“ in der StZ. vom 12.01.2013, wenn er schreibt, „die Risiken trägt der Konzern als Bauherr und Betreiber.“  Die Risiken tragen laut Vertrag  allein das Land und seine Partner. Für Sie gibt es derartige Absicherungen wie für die Bahn nicht.
  2. In § 2 (2) wurde zwar für einen begrenzten Zeitraum und zwar vom  02.04.2009  bis spätestens  zum 31.12.2009, also für maximal 9 Monate die Option eines Rückbaus, vorgesehen. In § 8 (4) wird diese Option jedoch für die Zeit ab 01.01.2010 ausdrücklich negiert. Eine Begründung für die nur neunmonatige Dauer der „Kündigungsfrist“ wird nicht gegeben. Die Hintergründe wären sicherlich interessant.
  3. Vom 01.01.2010 an sind bei weiteren Kostensteigerungen stets Verhandlungen aufzunehmen, in denen die Projektpartner (Land, Stadt, Region und Flughafen) sich darauf einigen, wer von ihnen welche Kosten zu übernehmen hat. Genau für diese „Gespräche“ wurde der „Lenkungskreis“ geschaffen.  Dieser Mechanismus wird auch „Sprechklausel“ genannt. In § 3 (3) heißt es z. B.: „Ist das Land der Auffassung, dass angezeigte Erhöhungen (der Kosten) nicht durch die aufgezeigten Chancen oder Einsparungen ausgeglichen werden können, kann es den Lenkungskreis zur Entscheidung anrufen.“  
Die Regierung Teufel und die Bundesregierung vertreten durch Verkehrsminister Wissmann  bei der Rahmenvereinbarung zu S21 vom 07.11.1995 sowie die Regierung Oettinger bei den Verhandlungen im April 2009 haben also für das Land einen würdelosen Selbstknebelungsvertrag abgeschlossen und sich von der Deutschen Bahn einen unkündbaren Blankoscheck abschwatzen lassen, versteckt in der berüchtigten Sprechklausel.  Die Suppe auszulöffeln haben nun die Bürger, da die CDU-SPD-Regierung ohne sie offensichtlich überfordert ist.  Der Verfassungsrechtler Wieland hat bereits eine neue VA als Möglichkeit hingestellt, aber das ist  schon deswegen Unsinn, da  eine erneute  VA  oder auch ein Bürgerentscheid der Stadt am Quorum scheitern würden.
Wenn wir im Sinne der Kostenvermeidungspflicht Stuttgart 21 abgewickelt sehen möchten, womit Carola sicherlich unser aller Herzenswunsch ausspricht, dürfen wir uns auf vieles berufen, jedoch nicht gerade auf den Finanzierungsvertrag, der die Abwicklung ausdrücklich nicht vorsieht. Und auch „S21 plus“ kommt, jedenfalls für mich, nicht in Frage. Das wäre eine absurde und würdelose Konsequenz aus den vorliegenden Erkenntnissen und Entwicklungen. Die Regierung  soll endlich Farbe bekennen, politische Farbe,  und die Aufhebung des Vertrages ohne Schadensersatzpflicht  herbeiführen, bevor alles  zu spät ist.  

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen