Sonntag, 13. Januar 2013

(1) Zur Lage und Taktik


Zur Lage und Taktik – 1. Teil Reinhart.vowinckel@web.de 1. Januar 2012

Vier prominente Gegner von „Stuttgart 21“ (Hopfenzitz, Leidig, Lösch und Sittler) haben sich am 17. 12. 2012 mit einem offenen Brief unter der Überschrift „Grüne Spitzenpolitiker müssen und können jetzt S21 stoppen!“ an die Grünen in der Landesregierung gewendet. Sie berufen sich auf eine veränderte Lage, verändert zum einen durch die inzwischen vorliegende amtliche Bestätigung, dass „S21“ einen Rückbau bedeutet, zum anderen durch den Kostenoffenbarungseid Kefers. Ihr Argument, was die Kosten angeht, lautet: „Die Bürgerinnen und Bürger stimmten am 27. November im Bewusstsein ab, dass dies definitiv die Obergrenze der Gesamtkosten sein würde.“
Nun hatte jedoch der Ministerpräsident bereits im Januar 2012 ebenfalls prominenten Kritikern von „S21“ in einem Offenen Brief seine Auffassung mitgeteilt:
Die Argumente, die Sie gegen Stuttgart 21 anführen, waren der Bevölkerung hinlänglich bekannt. Gleichwohl hat sich deren Mehrheit am Ende für das Projekt entschieden…Am 27. November hat schlicht die Mehrheit der Bevölkerung entschieden.“
Damit hatte er ein für alle Male klargestellt, dass auch er sich für den Weiterbau entschieden hat und dass Appelle wie in dem neuen Offenen Brief wohl auf taube Ohren stoßen werden. Hier einmal davon abgesehen, dass es nicht einmal 30 Prozent der Stimmberechtigten, geschweige denn „die Mehrheit der Bevölkerung“ gewesen waren, hat er damit dem Kabinett seine Richtlinie vorgegeben, an die sich auch seine „Staatsrätin für Zivilgesellschaft und Bürgerbeteiligung“ Gisela Erler jetzt hielt. Sie ließ verlauten, die Kostensteigerung sei kein Argument für den Projektstop, da die abstimmenden Bürger gewusst hätten, dass es aller Wahrscheinlichkeit nach teurer würde als versprochen, was natürlich nur eine Vermutung und kein Argument sein kann.
In ihrem Offenen Brief widersprachen nun unsere Prominenten einer entsprechenden Äußerung der Staatsrätin: „Wer jetzt, wie Frau Staatsrätin Gisela Erler, argumentiert, die Bürgerinnen und Bürger wären implizit von weiteren Kostensteigerungen ausgegangen (Tagblatt, 10.12.), sagt schlicht die Unwahrheit.“ Dem kann ich jedoch so leider nicht folgen. Ihr müsst nur z. B. die amtliche Begründung des Gesetzentwurfes für die VA einmal aufmerksam lesen. Wenn sie an irgendetwas keinen Zweifel lässt, dann an der Gefahr bzw. Wahrscheinlichkeit, dass die Kosten über den vertraglich vereinbarten Kostenrahmen hinaus steigen werden.
Trotzdem ist die Unaufrichtigkeit auch der Staatsrätin nicht zu bezweifeln. Nur steckt sie in einem ganz anderen Punkt, der in unserer Bewegung jedoch noch immer übersehen wird. Sie steckt in der scheinheiligen, pseudodemokratischen und pseudorechtstaatlichen Berufung vor allem des Ministerpräsidenten auf die Volksabstimmung, die angeblich dazu verpflichte, S 21 zu bauen bzw. bauen zu lassen. Auch die vier Prominenten unserer Bewegung lassen sich ein auf die Frage, ob die Bürger bei der VA dieses oder jenes gewusst haben. Damit lassen sie sich jedoch auch ein auf die Behauptung, durch die VA sei irgendetwas oder gar alles entschieden worden. Wer sagt, seit dem Offenbarungseid Kefers gelte die VA „nicht mehr“, erkennt ihre bisherige rechtliche Geltung an. Eine solche Behauptung ist jedoch ein Lüge. Deswegen ist es auch völlig wurscht und Schnee von gestern, was die Bürger damals gewusst haben oder nicht gewusst haben.
Der Erfinder dieser Lüge ist der selbsternannte Landesvater höchst persönlich. In seinem Offenen Brief vom Anfang des Jahres 2012 an unsere Prominenten schrieb er:
Können Sie sich ernsthaft einen Ministerpräsidenten und eine Landesregierung wünschen wollen, die sich, weil ihnen ein politisches Ergebnis missfällt – über den Willen der Mehrheit in einem Gesetzgebungsverfahren, - denn nichts anderes ist eine Volksabstimmung nach unserer Landesverfassung – hinwegsetzt und sich schlicht nicht an Gesetz und Recht gebunden fühlt?“

Erinnert Ihr Euch noch an die Tage vor der Volksabstimmung, als viele sich an den Glauben klammerten, wir könnten vielleicht doch ein Wunder erleben und das Quorum erreichen oder wir würden doch zumindest eine Mehrheit der Ja-Stimmen erlangen? Damals goss Kretschmann Wasser in den Wein oder sollte ich besser sagen in den Schnaps der Hoffnungen? Wenn das Wunder des Quorums nicht geschehe, dann werde S21 auch gebaut, auch wenn die Mehrheit gegen S21 sei, denn er halte sich als guter Staatsbürger an Recht und Gesetz.
In dem oben zitierten Satz für seine Kritiker leugnet der Ministerpräsident jedoch den nicht gerade unbedeutenden Unterschied zwischen einem Gesetzgebungsverfahren und einem Gesetzesbeschluss. Bekanntlich führt nicht jedes Verfahren auch zu einem positiven Ergebnis. Zweifellos war die Volksabstimmung (VA) ein Gesetzgebungsverfahren, und es gab auch Mehrheiten, aber eben nicht die gesetzlich für ein neues Gesetz erforderlichen. (Und was die für die Rechtskraft irrelevante relative Mehrheit der Projektbefürworter (Nein-Stimmen) in der Abstimmung angeht, auf die sich Kretschmann und Co. nun berufen, so hat auch sie nicht die Höhe des Quorums erreicht. Auch die Mehrheit der Projektbefürworter hätte also keineswegs ausgereicht für ein Gesetz pro Weiterfinanzierung.) Damit war also das Gesetzgebungsverfahren nach Recht und Gesetz gescheitert, genau so gescheitert, wie zuvor das im Landtag eingebrachte Kündigungsgesetz im Abstimmungsverfahren am Nein von CDU und FDP gescheitert war.
Und, so leid es mir tut, nach meiner Auffassung ist auch der Kostendeckel des Kabinetts vertrags- und damit rechtswidrig. Er verstößt gegen den Finanzierungsvertrag. Deswegen ist auch die vermutlich auf einem Irrtum beruhende Parole „Finanzierungsvertrag einhalten = Stuttgart 21 jetzt abwickeln“ zweischneidig. (Darauf werde ich im nächsten Beitrag näher eingehen) Schon deswegen wird die Regierung den Kostendeckel aufgeben und keineswegs den Kopf für ihn hinhalten, wenn wir sie nicht daran hindern können. Wie die VA war auch er lediglich ein Propagandainstrument und als solches eben von begrenzter Haltbarkeit, da letztlich alle Lügen zu kurze Beine haben.
Was gibt nun Kretschmann und Co. das Recht, unter Berufung auf Recht und Gesetz einerseits und die VA andererseits Regierungshandeln zu legitimieren? Die Antwort lautet: Nichts! Die Behauptung einer Verpflichtung durch die Abstimmung ist eine Propagandalüge und zugleich die Demonstration fehlenden Respekts vor den Regeln des Rechtsstaates. Wenn der MP uns wegen unseres beharrlichen Protestes und unserer Wahrnehmung demokratischer Rechte der Missachtung demokratischer und rechtsstaatlicher Grundsätze bezichtigt, so tut er das nach der Methode des Diebes, der da schreit: „Haltet den Dieb!“, um so im Gedränge von sich als Täter, d. h. als Rechtsbrecher abzulenken.

Deswegen sollten wir uns keinen Illusionen mehr hingeben und auf Einsicht oder guten Willen der Regierung hoffen Die hat andere Ziele. Wenn das Projekt jetzt nicht auf anderen Wegen gestoppt wird, dann ist der point of no return endgültig überschritten, und es tritt genau das ein, was die Regierung im Jahr 2011 in ihrer Begründung des Volksabstimmungsgesetzes zum Finanzierungsvertrag noch als dem Volk nicht zumutbar darstellte:
Aufgrund bisheriger Stellungnahmen der Deutschen Bahn AG ist davon auszugehen, dass sie nicht zu einer entsprechenden Vertragsanpassung bereit ist, weshalb dem Land ein Festhalten an dem Vertrag nicht zumutbar und ein Kündigungsrecht nach § 60 Abs. 1 Satz 1 LVwfG gegeben ist. Das Land kann nicht weitreichende Baumaßnahmen abwarten, um sodann nach dem Prinzip der normativen Kraft des Faktischen in eine unabschätzbare Kostendynamik eingebunden zu werden.“ (eigene Hervorhebung)
Lasst uns den VA-Spieß umdrehen und die Versuche der Regierung vereiteln, sich aus ihrer einmal übernommenen Verantwortung für das Projekt und dessen Stopp zu stehlen und sie dem Volk aufzuhalsen!

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