Zur
Lage und Taktik – 1. Teil Reinhart.vowinckel@web.de
1. Januar 2012
Vier
prominente Gegner von „Stuttgart 21“ (Hopfenzitz, Leidig, Lösch
und Sittler) haben sich am 17. 12. 2012 mit einem offenen Brief unter
der Überschrift „Grüne Spitzenpolitiker müssen und können
jetzt S21 stoppen!“ an die Grünen in der Landesregierung
gewendet. Sie berufen sich auf eine veränderte Lage, verändert zum
einen durch die inzwischen vorliegende amtliche Bestätigung, dass
„S21“ einen Rückbau bedeutet, zum anderen durch den
Kostenoffenbarungseid Kefers. Ihr Argument, was die Kosten angeht,
lautet: „Die Bürgerinnen und Bürger stimmten am 27. November
im Bewusstsein ab, dass dies definitiv die Obergrenze der
Gesamtkosten sein würde.“
Nun hatte
jedoch der Ministerpräsident bereits im Januar 2012 ebenfalls
prominenten Kritikern von „S21“ in einem Offenen Brief seine
Auffassung mitgeteilt:
„Die Argumente, die Sie gegen Stuttgart 21 anführen, waren der
Bevölkerung hinlänglich bekannt. Gleichwohl hat sich
deren Mehrheit am Ende für das Projekt entschieden…Am 27. November
hat schlicht die Mehrheit der Bevölkerung entschieden.“
Damit
hatte er ein für alle Male klargestellt, dass auch er sich für den
Weiterbau entschieden hat und dass Appelle wie in dem neuen Offenen
Brief wohl auf taube Ohren stoßen werden. Hier einmal davon
abgesehen, dass es nicht einmal 30 Prozent der Stimmberechtigten,
geschweige denn „die Mehrheit der Bevölkerung“ gewesen
waren, hat er damit dem Kabinett seine Richtlinie vorgegeben, an die
sich auch seine „Staatsrätin für Zivilgesellschaft und
Bürgerbeteiligung“ Gisela Erler jetzt hielt. Sie ließ verlauten,
die Kostensteigerung sei kein Argument für den Projektstop, da die
abstimmenden Bürger gewusst hätten, dass es aller
Wahrscheinlichkeit nach teurer würde als versprochen, was natürlich
nur eine Vermutung und kein Argument sein kann.
In ihrem
Offenen Brief widersprachen nun unsere Prominenten einer
entsprechenden Äußerung der Staatsrätin: „Wer jetzt, wie Frau
Staatsrätin Gisela Erler, argumentiert, die Bürgerinnen und Bürger
wären implizit von weiteren Kostensteigerungen ausgegangen
(Tagblatt, 10.12.), sagt schlicht die Unwahrheit.“ Dem kann
ich jedoch so leider nicht folgen. Ihr müsst nur z. B. die amtliche
Begründung des Gesetzentwurfes für die VA einmal
aufmerksam lesen. Wenn sie an irgendetwas keinen Zweifel
lässt, dann an der Gefahr bzw. Wahrscheinlichkeit, dass die
Kosten über den vertraglich vereinbarten Kostenrahmen hinaus steigen
werden.
Trotzdem
ist die Unaufrichtigkeit auch der Staatsrätin nicht zu bezweifeln.
Nur steckt sie in einem ganz anderen Punkt, der in unserer Bewegung
jedoch noch immer übersehen wird. Sie steckt in der scheinheiligen,
pseudodemokratischen und pseudorechtstaatlichen Berufung vor allem
des Ministerpräsidenten auf die Volksabstimmung, die angeblich
dazu verpflichte, S 21 zu bauen bzw. bauen zu lassen. Auch die vier
Prominenten unserer Bewegung lassen sich ein auf die Frage, ob die
Bürger bei der VA dieses oder jenes gewusst haben. Damit lassen sie
sich jedoch auch ein auf die Behauptung, durch die VA sei irgendetwas
oder gar alles entschieden worden. Wer sagt, seit dem Offenbarungseid
Kefers gelte die VA „nicht mehr“, erkennt ihre bisherige
rechtliche Geltung an. Eine solche Behauptung ist jedoch ein Lüge.
Deswegen ist es auch völlig wurscht und Schnee von gestern, was die
Bürger damals gewusst haben oder nicht gewusst haben.
Der
Erfinder dieser Lüge ist der selbsternannte Landesvater höchst
persönlich. In seinem Offenen Brief vom Anfang des Jahres 2012 an
unsere Prominenten schrieb er:
„Können Sie sich ernsthaft einen Ministerpräsidenten und eine
Landesregierung wünschen wollen, die sich, weil ihnen ein
politisches Ergebnis missfällt – über den Willen der Mehrheit in
einem Gesetzgebungsverfahren, - denn nichts
anderes ist eine Volksabstimmung nach unserer Landesverfassung –
hinwegsetzt und sich schlicht nicht an Gesetz und Recht gebunden
fühlt?“
Erinnert
Ihr Euch noch an die Tage vor der Volksabstimmung, als viele sich an
den Glauben klammerten, wir könnten vielleicht doch ein Wunder
erleben und das Quorum erreichen oder wir würden doch zumindest eine
Mehrheit der Ja-Stimmen erlangen? Damals goss Kretschmann Wasser in
den Wein oder sollte ich besser sagen in den Schnaps der Hoffnungen?
Wenn das Wunder des Quorums nicht geschehe, dann werde S21 auch
gebaut, auch wenn die Mehrheit gegen S21 sei, denn er halte sich als
guter Staatsbürger an Recht und Gesetz.
In dem
oben zitierten Satz für seine Kritiker leugnet der Ministerpräsident
jedoch den nicht gerade unbedeutenden Unterschied zwischen einem
Gesetzgebungsverfahren und einem Gesetzesbeschluss. Bekanntlich
führt nicht jedes Verfahren auch zu einem positiven Ergebnis.
Zweifellos war die Volksabstimmung (VA) ein Gesetzgebungsverfahren,
und es gab auch Mehrheiten, aber eben nicht die gesetzlich für ein
neues Gesetz erforderlichen. (Und was die für die Rechtskraft
irrelevante relative Mehrheit der Projektbefürworter (Nein-Stimmen)
in der Abstimmung angeht, auf die sich Kretschmann und Co. nun
berufen, so hat auch sie nicht die Höhe des Quorums erreicht. Auch
die Mehrheit der Projektbefürworter hätte also keineswegs
ausgereicht für ein Gesetz pro Weiterfinanzierung.) Damit war
also das Gesetzgebungsverfahren nach Recht und Gesetz
gescheitert, genau so gescheitert, wie zuvor das im Landtag
eingebrachte Kündigungsgesetz im Abstimmungsverfahren am Nein von
CDU und FDP gescheitert war.
Und, so
leid es mir tut, nach meiner Auffassung ist auch der Kostendeckel des
Kabinetts vertrags- und damit rechtswidrig. Er verstößt gegen den
Finanzierungsvertrag. Deswegen ist auch die vermutlich auf einem
Irrtum beruhende Parole „Finanzierungsvertrag einhalten =
Stuttgart 21 jetzt abwickeln“ zweischneidig. (Darauf werde ich
im nächsten Beitrag näher eingehen) Schon deswegen wird die
Regierung den Kostendeckel aufgeben und keineswegs den Kopf für ihn
hinhalten, wenn wir sie nicht daran hindern können. Wie die VA war
auch er lediglich ein Propagandainstrument und als solches eben von
begrenzter Haltbarkeit, da letztlich alle Lügen zu kurze Beine
haben.
Was gibt
nun Kretschmann und Co. das Recht, unter Berufung auf Recht und
Gesetz einerseits und die VA andererseits Regierungshandeln zu
legitimieren? Die Antwort lautet: Nichts! Die Behauptung einer
Verpflichtung durch die Abstimmung ist eine Propagandalüge
und zugleich die Demonstration fehlenden Respekts vor den Regeln des
Rechtsstaates. Wenn der MP uns wegen unseres beharrlichen
Protestes und unserer Wahrnehmung demokratischer Rechte der
Missachtung demokratischer und rechtsstaatlicher Grundsätze
bezichtigt, so tut er das nach der Methode des Diebes, der da
schreit: „Haltet den Dieb!“, um so im Gedränge von sich als
Täter, d. h. als Rechtsbrecher abzulenken.
Deswegen
sollten wir uns keinen Illusionen mehr hingeben und auf Einsicht oder
guten Willen der Regierung hoffen Die hat andere Ziele. Wenn das
Projekt jetzt nicht auf anderen Wegen gestoppt wird, dann ist der
point of no return endgültig überschritten, und es tritt genau das
ein, was die Regierung im Jahr 2011 in ihrer Begründung des
Volksabstimmungsgesetzes zum Finanzierungsvertrag noch als dem
Volk nicht zumutbar darstellte:
„Aufgrund bisheriger Stellungnahmen der Deutschen Bahn AG ist
davon auszugehen, dass sie nicht zu einer entsprechenden
Vertragsanpassung bereit ist, weshalb dem Land
ein Festhalten an dem Vertrag nicht zumutbar und ein Kündigungsrecht
nach § 60 Abs. 1 Satz 1 LVwfG gegeben ist. Das Land kann
nicht weitreichende Baumaßnahmen abwarten, um sodann nach dem
Prinzip der normativen Kraft des Faktischen in eine unabschätzbare
Kostendynamik eingebunden zu werden.“ (eigene Hervorhebung)
Lasst uns
den VA-Spieß umdrehen und die Versuche der Regierung vereiteln,
sich aus ihrer einmal übernommenen Verantwortung für das Projekt
und dessen Stopp zu stehlen und sie dem Volk aufzuhalsen!
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