Dienstag, 3. Dezember 2013

Schützenstraße 4: Spitze eines Eisbergs namens Untreue?


Schützenstraße 4:  Spitze eines Eisbergs namens Untreue?


Reinhart.Vowinckel@web.de / http://vowinckel.blogspot.de   /   01.12.13                                                 

In den letzten vier Wochen lief in Stuttgart ein unterirdisches Schauspiel ab, das dem Staatstheater Konkurrenz machen könnte. Die Deutsche Bahn AG wollte Anfang November das Grundstück Schützenstraße 4 (direkt neben dem Wagenburgtunnel, wo früher der Club „Die Röhre“ Musikbands Auftritte ermöglichte) für einen Noteingang zum geplanten Fildertunnel „untergraben“. Vor zwei Jahren schon hatte der Eigentümer des siebengeschossigen Hochhauses, der „Zweckverband Landeswasserversorgung“ (LV - Trinkwasserversorger von 3 Mio. Einwohnern) sein Einverständnis signalisiert, aber vor Unterzeichnung des Vertrages eine Entschädigung für Wertminderung in Höhe von 48.800 Euro verlangt. Anfang November begann die Bahn plötzlich rechtswidrig den „bergmännischen Vortrieb“ des Tunnelzugangs, bis sie am 17. November zum Baustopp gezwungen war. Es lag kein rechtsgültiger Vertrag vor. Sie hatte inzwischen der vor zwei Jahren vom LV vorgeschlagenen Entschädigung für „Wertminderung“ in Höhe von 48.800 Euro ein eigenes „Angebot“ in Höhe von 17.000 Euro entgegengestellt. Das wurde jedoch vom LV als indiskutabel zurückgewiesen.
Weil angeblich jeder Tag Baustillstand 20.000 Euro kostet, bot die Bahn „entgegenkommend“, wie sie ist,  30.300 Euro an. Aber auch dieses Angebot wurde vom LV als unzulänglich zurückgewiesen. Also bot die Bahn 48.800 Euro an, wie einst vom LV selbst verlangt. Aber inzwischen war im LV klar geworden, dass auch das zu wenig wäre. Eine Gemeinderätin der Grünen, die auch dem Verwaltungsrat des LV angehört, hatte im von der CDU beherrschten LV auf die Gefahr hingewiesen, die Einwilligung in eine zu niedrige Entschädigung könnte als „Untreue“ entsprechend § 266 Strafgesetzbuch ausgelegt werden.

§ 266 Strafgesetzbuch  Untreue“: Wer die ihm durch Gesetz, behördlichen Auftrag oder Rechtsgeschäft eingeräumte Befugnis, über fremdes Vermögen zu verfügen oder einen anderen zu verpflichten, missbraucht oder die ihm kraft Gesetzes, behördlichen Auftrags, Rechtsgeschäfts oder eines Treueverhältnisses obliegende Pflicht, fremde Vermögensinteressen wahrzunehmen, verletzt und dadurch dem, dessen Vermögensinteressen er zu betreuen hat, Nachteil zufügt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

Deswegen zahlt die Bahn nun unter beiderseitigem Vorbehalt die 48.800 Euro. Das vorherige Beschreiten des Rechtsweges hätte sie wegen der Stillstandsdauer 1,5 Mio. Euro gekostet. Nun soll ein Gutachten des Stadtmessungsamtes die Wertminderung einschätzen. Die 8 Tage Hin und Her dürften bereits ca. 150.000 Euro gekosten haben. Interessant zu wissen wäre: Wer zahlt das? Und wer hätte die 1,5 Mio. gezahlt, die fällig geworden wären, wenn der LV nicht nachgegeben hätte? Das tat der, nachdem OB Kuhn, seit November auch Direktor des LV,  eingegriffen hatte? 
Diese Geschichte spricht geradezu Bände. Ich kann die interessanten Details hier gar nicht alle wiedergeben. Es ist, als wenn man einen wurmstichigen Apfel durchschneidet. Die Geschichte zeigt den Projektwurm, der im Projekt seine Tunnel gräbt. Holger Gayer, nicht gerade als Projektkritiker bekannt geworden, schreibt in der Stuttgarter Zeitung  vom 27.11. 13: „Es ist keinen Monat her, da hat die FDP-Politikerin Judith Skudelny dem Bahnchef Rüdiger Grube per Brief mitgeteilt, dass ‚sowohl die Kommunikation als auch die Vermarktung selbst eingefleischte Befürworter zum Umdenken bringen’ könnten’Und da kannte Skudelny das neueste „Meisterstück“ der Bahn noch gar nicht. Und Gayer fügt hinzu: „Wer so agiert, erntet sogar bei seinen besten Freunden Misstrauen.“
Nun haben jüngere Mitstreiter unseres Protestes aus der Geschichte die Schlussfolgerung gezogen: Also wird gebaut, anders als es auf Montagsdemos immer heißt. Diese ängstliche Auslegung geht jedoch  an der Sache vorbei. Ich will hier nur einige wenige Aspekte der Geschichte kurz beleuchten.

1. Die Bahn betreibt zur Zeit, gemeinsam mit den Stuttgarter Nachrichten, aus taktischen  Gründen eine PR-Kampagne mit dem Thema: Es wird gebaut. Die StN haben dazu mit der Bahn, oder sollte ich schreiben: Die Bahn hat mit den Stuttgarter Nachrichten…? eigens einen S21-Tag organisiert und eine Fotostrecke ins Netz gestellt, die die 14 gerade betriebenen Baustellen zeigt und zum Baustellentourismus einlädt. Jedoch:
   Der Vortrieb eines Tunnelzugangs bedeutet noch nicht den Vortrieb des Projekts.
Tatsächlich besteht vielmehr praktisch  ein Baustopp, weil zentral wichtige Konzepte und Genehmigungen noch immer fehlen (GWM, Nesenbachdüker, Fildertrasse, Brandschutz), und das ist ein Wurm des Projekts. Das Ziel der taktischen Kampagne der Bahn ist: Wir sollen resignieren,  und die Welt soll glauben, uns gibt es gar nicht mehr.
2. Die peinliche Nummer der Bahn ausgerechnet als Einstieg in ihre Propagandakampagne ist natürlich ein weiterer schwerer Regiefehler der Bahn. Der aber ist doppelt schmerzlich für sie, weil er offensichtlich völlig unkontrolliert durch das „Kommunikations“- sprich Propagandabüro der Bahn publik wurde. Ebenso unkontrolliert zeigte sie sich selbst „irritiert über die öffentliche Kommunikation des Verbandes“  (StZ vom 29. November). Die Bahn und die Politik, das heißt die Macht,  fürchten nichts so wie Transparenz, weil die demokratischen Ansprüchen auf die Beine hilft und d. h. Machtverlust bewirkt. Da ging also wirklich in die Hose, was nur in die Hose gehen konnte.  Nach Auffassung der Bahn und der SPD wie der CDU sollte Transparenz unterbunden und Pressefreiheit stets „angemessen“ und nicht so praktiziert werden.
In diesem Fall nützt die Transparenz sowohl dem Zweckverband als auch dem Protest gegen S21. Die Stuttgarter Zeitung  warnt: bereits: „Jedenfalls beobachten die in Netzwerken zusammengeschlossenen Anwohner (des Kernerviertels) sehr genau, wie hoch die Entschädigung für die Landeswasserversorgung ausfallen wird. Und sie werden zurecht darauf pochen, dass diese Grundsätze auch für ihre Grundstücke angewendet werden.“
3. Es wurde, wie die Sache gelaufen ist, offensichtlich auch strafbares Unrecht verhindert. Auch das berichtet Thomas Durchdenwald in der Stuttgarter Zeitung: „Wie die Bahn hat sich aber auch der Zweckverband nicht mit Ruhm bekleckert. Sein Verwaltungsrat hätte der niedrigeren, von der Bahn angebotenen Summe im Umlaufverfahren zugestimmt und die Geschäftsleitung hätte dies umgesetzt, wenn ein Verwaltungsratmitglied, die Stuttgarter Grünen-Stadträtin Gabriele Munk, nicht interveniert hätte. Ihre Beharrlichkeit, sich für eine fundierte Entschädigung einzusetzen, war erfolgreich, die übrigen Beteiligten hätten leichtfertig auf Verbandsvermögen verzichtet. Ob Leichtfertigkeit oder wohlwollende „Quersubventionierung“ von S21 dahinter stand, mag dahingestellt bleiben. Wahrscheinlicher ist leichtfertige Quersubventionierung, die in diesem Falle als „Untreue“ (siehe oben)  strafrechtlich hätte geahndet werden können.  Von ihr wurden hier wohl  einige Projektbefürworter noch einmal abgehalten.
4. Zur Rechtfertigung seiner Hebammen-Funktion bei dem Kompromiss zwischen Bahn und Zweckverband, für den er von „Projektsprecher“ Dietrich ausdrücklich dankbar gelobt wurde,  erklärte OB Fritz Kuhn laut StZ. vom 29.11., „er habe sich als OB an den Finanzierungsvertrag für Stuttgart 21 zu halten und die S21-Mehrheit im Gemeinderat zu respektieren“. Kuhn beruft sich damit jedoch auf einen durch und durch betrügerischen und rechtswidrigen Vertrag mit dem Inhalt eines Blankoschecks, der ihn angeblich zu solcher  Kooperation verpflichtet. Diesen Vertrag einzuhalten, ist jedoch m. E. Veruntreung  eines ganz anderen Kalibers,  nur eben auf höherer, auf politischer  Ebene, wo man normalerweise nicht dafür bestraft wird. Nur, wenn Mappus für seinen EnBW-Deal von der Landesregierung strafrechtlich verfolgt wird, dann müsste auch sie, ginge es gerecht zu,  wegen Verdachts der Veruntreuung strafrechtlich verfolgt werden, gemeinsam mit den Führungen von CDU und FDP. „Fachleute des Staatskonzerns gehen inzwischen von Gesamtkosten von rund 11 Milliarden und einer Fertigstellung nicht vor 2025 aus.“  (Anton Hofreiter, Vorsitzender des Bundesverkehrsausschusses,  im Januar in der StZ, zitiert nach „Tunnelblick“ Nr. 41)

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