Schützenstraße 4: Spitze eines Eisbergs namens Untreue?
Reinhart.Vowinckel@web.de / http://vowinckel.blogspot.de / 01.12.13
In den letzten vier Wochen lief in
Stuttgart ein unterirdisches Schauspiel ab, das dem Staatstheater Konkurrenz machen
könnte. Die Deutsche Bahn AG wollte Anfang November das Grundstück
Schützenstraße 4 (direkt neben dem Wagenburgtunnel, wo früher der Club „Die
Röhre“ Musikbands Auftritte ermöglichte) für einen Noteingang zum geplanten
Fildertunnel „untergraben“. Vor zwei Jahren schon hatte der Eigentümer des
siebengeschossigen Hochhauses, der „Zweckverband Landeswasserversorgung“ (LV -
Trinkwasserversorger von 3 Mio. Einwohnern) sein Einverständnis signalisiert,
aber vor Unterzeichnung des Vertrages eine Entschädigung für Wertminderung in
Höhe von 48.800 Euro verlangt. Anfang November begann die Bahn plötzlich rechtswidrig
den „bergmännischen Vortrieb“ des Tunnelzugangs, bis sie am 17. November zum
Baustopp gezwungen war. Es lag kein rechtsgültiger Vertrag vor. Sie hatte
inzwischen der vor zwei Jahren vom LV vorgeschlagenen Entschädigung für
„Wertminderung“ in Höhe von 48.800 Euro ein eigenes „Angebot“ in Höhe von
17.000 Euro entgegengestellt. Das wurde jedoch vom LV als indiskutabel zurückgewiesen.
Weil angeblich jeder Tag Baustillstand
20.000 Euro kostet, bot die Bahn „entgegenkommend“, wie sie ist, 30.300 Euro an. Aber auch dieses Angebot
wurde vom LV als unzulänglich zurückgewiesen. Also bot die Bahn 48.800 Euro an,
wie einst vom LV selbst verlangt. Aber inzwischen war im LV klar geworden, dass
auch das zu wenig wäre. Eine Gemeinderätin der Grünen, die auch dem
Verwaltungsrat des LV angehört, hatte im von der CDU beherrschten LV auf die
Gefahr hingewiesen, die Einwilligung in eine zu niedrige Entschädigung könnte
als „Untreue“ entsprechend § 266 Strafgesetzbuch ausgelegt werden.
§ 266 Strafgesetzbuch „Untreue“: Wer die ihm durch Gesetz,
behördlichen Auftrag oder Rechtsgeschäft eingeräumte Befugnis, über fremdes
Vermögen zu verfügen oder einen anderen zu verpflichten, missbraucht oder die
ihm kraft Gesetzes, behördlichen Auftrags, Rechtsgeschäfts oder eines
Treueverhältnisses obliegende Pflicht, fremde Vermögensinteressen wahrzunehmen,
verletzt und dadurch dem, dessen Vermögensinteressen er zu betreuen hat,
Nachteil zufügt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit
Geldstrafe bestraft.
Deswegen zahlt die Bahn nun unter beiderseitigem
Vorbehalt die 48.800 Euro. Das vorherige Beschreiten des Rechtsweges hätte sie
wegen der Stillstandsdauer 1,5 Mio. Euro gekostet. Nun soll ein Gutachten des
Stadtmessungsamtes die Wertminderung einschätzen. Die 8 Tage Hin und Her
dürften bereits ca. 150.000 Euro gekosten haben. Interessant zu wissen wäre:
Wer zahlt das? Und wer hätte die 1,5 Mio. gezahlt, die fällig geworden wären,
wenn der LV nicht nachgegeben hätte? Das tat der, nachdem OB Kuhn, seit
November auch Direktor des LV,
eingegriffen hatte?
Diese Geschichte spricht geradezu Bände.
Ich kann die interessanten Details hier gar nicht alle wiedergeben. Es ist, als
wenn man einen wurmstichigen Apfel durchschneidet. Die Geschichte zeigt den Projektwurm,
der im Projekt seine Tunnel gräbt. Holger Gayer, nicht gerade als
Projektkritiker bekannt geworden, schreibt in der Stuttgarter Zeitung vom 27.11. 13: „Es ist keinen Monat her, da hat die FDP-Politikerin Judith Skudelny
dem Bahnchef Rüdiger Grube per Brief mitgeteilt, dass ‚sowohl die Kommunikation
als auch die Vermarktung selbst eingefleischte
Befürworter zum Umdenken bringen’ könnten’“ Und da kannte Skudelny das
neueste „Meisterstück“ der Bahn noch gar nicht. Und Gayer fügt hinzu: „Wer so agiert, erntet sogar bei seinen besten
Freunden Misstrauen.“
Nun haben jüngere Mitstreiter unseres
Protestes aus der Geschichte die Schlussfolgerung gezogen: Also wird gebaut, anders als es auf Montagsdemos immer heißt. Diese
ängstliche Auslegung geht jedoch an der
Sache vorbei. Ich will hier nur einige wenige Aspekte der Geschichte kurz
beleuchten.
1. Die Bahn betreibt zur Zeit, gemeinsam
mit den Stuttgarter Nachrichten, aus taktischen
Gründen eine PR-Kampagne mit dem Thema:
Es wird gebaut. Die StN haben dazu mit der Bahn, oder sollte ich schreiben:
Die Bahn hat mit den Stuttgarter Nachrichten…? eigens einen S21-Tag organisiert
und eine Fotostrecke ins Netz gestellt, die die 14 gerade betriebenen
Baustellen zeigt und zum Baustellentourismus einlädt. Jedoch:
Der Vortrieb eines
Tunnelzugangs bedeutet noch nicht den Vortrieb des Projekts.
Tatsächlich besteht vielmehr praktisch ein Baustopp, weil zentral wichtige Konzepte
und Genehmigungen noch immer fehlen (GWM, Nesenbachdüker, Fildertrasse,
Brandschutz), und das ist ein Wurm
des Projekts. Das Ziel der taktischen Kampagne der Bahn ist: Wir sollen
resignieren, und die Welt soll glauben,
uns gibt es gar nicht mehr.
2. Die peinliche Nummer der Bahn
ausgerechnet als Einstieg in ihre Propagandakampagne ist natürlich ein weiterer
schwerer Regiefehler der Bahn. Der aber ist doppelt schmerzlich für sie, weil
er offensichtlich völlig unkontrolliert durch das „Kommunikations“- sprich
Propagandabüro der Bahn publik wurde. Ebenso unkontrolliert zeigte sie sich
selbst „irritiert über die öffentliche
Kommunikation des Verbandes“ (StZ
vom 29. November). Die Bahn und die Politik, das heißt die Macht, fürchten nichts so wie Transparenz, weil die demokratischen Ansprüchen auf die Beine hilft
und d. h. Machtverlust bewirkt. Da ging also wirklich in die Hose, was nur in
die Hose gehen konnte. Nach Auffassung
der Bahn und der SPD wie der CDU sollte Transparenz unterbunden und
Pressefreiheit stets „angemessen“ und nicht so praktiziert werden.
In diesem Fall nützt die Transparenz sowohl
dem Zweckverband als auch dem Protest gegen S21. Die Stuttgarter Zeitung warnt: bereits: „Jedenfalls beobachten die in Netzwerken zusammengeschlossenen Anwohner
(des Kernerviertels) sehr genau, wie hoch
die Entschädigung für die Landeswasserversorgung ausfallen wird. Und sie werden
zurecht darauf pochen, dass diese
Grundsätze auch für ihre Grundstücke angewendet werden.“
3. Es wurde, wie die Sache gelaufen ist,
offensichtlich auch strafbares Unrecht verhindert. Auch das berichtet Thomas
Durchdenwald in der Stuttgarter Zeitung: „Wie
die Bahn hat sich aber auch der Zweckverband nicht mit Ruhm bekleckert. Sein
Verwaltungsrat hätte der niedrigeren, von der Bahn angebotenen Summe im
Umlaufverfahren zugestimmt und die Geschäftsleitung hätte dies umgesetzt, wenn
ein Verwaltungsratmitglied, die Stuttgarter Grünen-Stadträtin Gabriele Munk, nicht
interveniert hätte. Ihre Beharrlichkeit, sich für eine fundierte Entschädigung
einzusetzen, war erfolgreich, die
übrigen Beteiligten hätten leichtfertig auf Verbandsvermögen verzichtet.“ Ob Leichtfertigkeit oder wohlwollende
„Quersubventionierung“ von S21 dahinter stand, mag dahingestellt bleiben.
Wahrscheinlicher ist leichtfertige Quersubventionierung, die in diesem Falle
als „Untreue“ (siehe oben)
strafrechtlich hätte geahndet werden können. Von ihr wurden hier wohl einige Projektbefürworter noch einmal
abgehalten.
4. Zur Rechtfertigung seiner
Hebammen-Funktion bei dem Kompromiss zwischen Bahn und Zweckverband, für den er
von „Projektsprecher“ Dietrich ausdrücklich dankbar gelobt wurde, erklärte OB Fritz Kuhn laut StZ. vom 29.11.,
„er habe sich als OB an den
Finanzierungsvertrag für Stuttgart 21 zu halten und die S21-Mehrheit im
Gemeinderat zu respektieren“. Kuhn beruft sich damit jedoch auf einen durch
und durch betrügerischen und rechtswidrigen Vertrag mit dem Inhalt eines
Blankoschecks, der ihn angeblich zu solcher
Kooperation verpflichtet. Diesen Vertrag einzuhalten, ist jedoch m. E. Veruntreung
eines ganz anderen Kalibers,
nur eben auf höherer, auf politischer
Ebene, wo man normalerweise nicht dafür bestraft wird. Nur, wenn Mappus
für seinen EnBW-Deal von der Landesregierung strafrechtlich verfolgt wird, dann
müsste auch sie, ginge es gerecht zu,
wegen Verdachts der Veruntreuung strafrechtlich verfolgt werden,
gemeinsam mit den Führungen von CDU und FDP. „Fachleute des Staatskonzerns gehen inzwischen von Gesamtkosten von rund
11 Milliarden und einer Fertigstellung nicht vor 2025 aus.“ (Anton Hofreiter, Vorsitzender des
Bundesverkehrsausschusses, im Januar in
der StZ, zitiert nach „Tunnelblick“ Nr. 41)
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