Auszüge aus einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur
Demonstrationsfreiheit
Es
gibt zum Demonstrationsrecht ein über 30 Seiten langes Urteil des
Bundesverfassungsgerichts vom 22. Februar 2011(http://www.bverfg.de/entscheidungen/rs20110222_1bvr069906.html).
Es ist also noch recht neu. In ihm wurde entschieden, dass Kundgebungen
inklusive Verteilen von Flugblättern zwar in erster Linie auf Straßen, Plätzen
usw., aber auch in öffentlichen Bereichen von Flughäfen und Bahnhöfen grundrechtlich
geschützt sind. Ich habe hier in Zitaten die wichtigsten Inhalte auf eineinhalb
Seiten zusammengestellt.
„Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG schützt die Äußerung
einer Meinung nicht nur hinsichtlich ihres Inhalts, sondern auch hinsichtlich
der Form ihrer Verbreitung (…) Hierzu gehört namentlich das Verteilen von
Flugblättern, die Meinungsäußerungen enthalten. Geschützt ist darüber hinaus
auch die Wahl des Ortes und der Zeit einer Äußerung. Der sich Äußernde hat
nicht nur das Recht, überhaupt seine Meinung kund zu tun, sondern er darf
hierfür auch die Umstände wählen, von denen er sich die größte Verbreitung oder
die stärkste Wirkung seiner Meinungskundgabe verspricht (Nr. 97)“.
„Während der Bürger prinzipiell frei ist, ist
der Staat prinzipiell gebunden. Der Bürger findet durch die Grundrechte
Anerkennung als freie Person, die in der Entfaltung ihrer Individualität
selbstverantwortlich ist. Er und die von ihm gegründeten Vereinigungen und
Einrichtungen können ihr Handeln nach subjektiven Präferenzen in privater
Freiheit gestalten, ohne hierfür grundsätzlich rechenschaftspflichtig zu sein.
Ihre Inpflichtnahme durch die Rechtsordnung ist von vornherein relativ und
- insbesondere nach Maßgabe der Verhältnismäßigkeit - prinzipiell
begrenzt. Demgegenüber handelt der Staat in treuhänderischer
Aufgabenwahrnehmung für die Bürger und ist ihnen rechenschaftspflichtig (Nr. 49).“
Anmerkung:
Wer sein Recht auf freie Meinungsäußerung in Anspruch nehmen will, ist dafür
gegenüber dem Staat grundsätzlich nicht, das heißt nur in bestimmten Fällen rechenschaftspflichtig.
„Art. 8Abs. 1 GG schützt die Freiheit, mit
anderen Personen zum Zwecke einer gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der
öffentlichen Meinungsbildung gerichtete Erörterung oder Kundgebung örtlich
zusammen zu kommen … Als Freiheit zur
kollektiven Meinungskundgabe ist die Versammlungsfreiheit für eine freiheitlich
demokratische Staatsordnung konstituierend … In ihrer idealtypischen Ausformung
sind Demonstrationen die gemeinsame körperliche Sichtbarmachung von
Überzeugungen, bei der die Teilnehmer in der Gemeinschaft mit anderen eine
Vergewisserung dieser Überzeugungen erfahren und andererseits nach außen -
schon durch die bloße Anwesenheit, die Art des Auftretens und die Wahl des
Ortes - im eigentlichen Sinne des Wortes Stellung nehmen und ihren Standpunkt
bezeugen (Nr. 63)“.
Und
weiter: „Die Bürger sollen damit selbst
entscheiden können, wo sie ihr Anliegen – gegebenenfalls auch in Blick auf
Bezüge zu bestimmten Orten oder Einrichtungen – am wirksamsten zur Geltung
bringen können.(Nr. 64).“ Anmerkung:
Ein solcher „bestimmter Ort“ ist für uns der Bahnhof. Das heißt für uns: Im
Grunde müssen wir gegenüber der Stadtverwaltung nicht einmal begründen, warum
und wo wir demonstrieren wollen.
„Demgegenüber verbürgt die
Versammlungsfreiheit die Durchführung von Versammlungen dort, wo ein
allgemeiner öffentlicher Verkehr eröffnet ist (Nr. 66).“
„Dies betrifft – unabhängig von
einfachrechtlichen Bestimmungen des Straßenrechts – zunächst den öffentlichen
Straßenraum. Dieser ist das natürliche und
geschichtlich leitbildprägende Forum, auf dem Bürger ihre Anliegen
besonders wirksam in die ffentlichkeit tragen und hierüber die Kommunikation
anstoßen können. Vor allem innerörtliche Straßen und Plätze werden heute als
Stätten des Informations- und Meinungsaustausches sowie der Pflege menschlicher
Kontakte angesehen. In verstärktem Maß gilt dies für Fußgängerzonen und
verkehrsberuhigte Bereiche; die Ermöglichung des kommunikativen Verkehrs ist
ein wesentliches Anliegen, das mit solchen Einrichtungen verfolgt wird ... Das
Versammlungsrecht knüpft an diese Funktion an. Dabei beachtet es die
allgemeinen straßen- und straßenverkehrsrechtlichen Bestimmungen, die es jedoch
partiell überlagert, sofern dies für eine effektive Wahrnehmung der
Versammlungsfreiheit erforderlich ist. Öffentliche Versammlungen und Aufzüge
finden hier die Bedingungen, um Forderungen einem allgemeinen Publikum zu Gehör
zu bringen und Protest oder Unmut sinnbildlich ‚auf die Straße zu tragen’ (Nr. 67).“
„Entsprechendes gilt aber auch für
Stätten außerhalb des öffentlichen Straßenraums, an denen in ähnlicher Weise
ein öffentlicher Verkehr entwickelt ist und Orte der allgemeinen Kommunikation
entstehen. Wenn heute die Kommunikationsfunktion der öffentlichen Straßen, Wege
und Plätze zunehmend durch weitere Foren wie Einkaufszentren, Ladenpassagen
oder sonstige Begegnungsstätten ergänzt wird, kann die Versammlungsfreiheit für
die Verkehrsflächen solcher Einrichtungen nicht ausgenommen werden … Vielmehr
besteht zwischen der Eröffnung eines Verkehrs zur öffentlichen Kommunikation
und der Versammlungsfreiheit ein unaufhebbarer Zusammenhang: Dort wo öffentliche
Kommunikationsräume eröffnet werden, kann der unmittelbar
grundrechtsverpflichtete Staat nicht unter Rückgriff auf frei gesetzte
Zweckbestimmungen oder Widmungsentscheidungen den Gebrauch der
Kommunikationsfreiheiten aus den zulässigen Nutzungen ausnehmen: Er würde sich
damit in Widerspruch zu der eigenen Öffnungsentscheidung setzen (Nr. 68).“
„Solche Möglichkeiten, Aufmerksamkeit zu
erzielen, sind als Grundlage der demokratischen Willensbildung mit der
Versammlungsfreiheit gewollt und bilden ein konstituierendes Element der
demokratischen Staatsordnung...
Werden Räume in dieser Weise für ein
Nebeneinander verschiedener, auch kommunikativer Nutzungen geöffnet und zum
öffentlichen Forum, kann aus ihnen gemäß Art. 8 Abs. 1 GG auch die
politische Auseinandersetzung in Form von kollektiven Meinungskundgaben durch
Versammlungen nicht herausgehalten werden. Art. 8 Abs. 1 GG gewährleistet
den Bürgern für die Verkehrsflächen solcher Orte das Recht, das Publikum mit
politischen Auseinandersetzungen, gesellschaftlichen Konflikten oder sonstigen
Themen zu konfrontieren. Solche Möglichkeiten, Aufmerksamkeit zu erzielen, sind
als Grundlage der demokratischen Willensbildung mit der Versammlungsfreiheit
gewollt und bilden ein konstituierendes Element der demokratischen
Staatsordnung. (Nr.70)“
„Die Versammlungsfreiheit ist nicht vorbehaltlos gewährleistet. Vielmehr
können Versammlungen unter freiem Himmel gemäß Art. 8 Abs. 2 GG durch Gesetz oder aufgrund eines
Gesetzes beschränkt werden (Nr. 75).“
„Die Vorschriften des Bürgerlichen
Gesetzbuches können als ein die Versammlungsfreiheit beschränkendes Gesetz im
Sinne des Art. 8 Abs. 2 GG herangezogen werden. Das zivilrechtliche
Hausrecht gemäß § 903 Satz 1, § 1004 BGB ist dementsprechend
grundsätzlich geeignet, Eingriffe in die Versammlungsfreiheit zu rechtfertigen.
Unberührt bleiben hiervon die Versammlungsgesetze als maßgebliche
Rechtsgrundlage der Befugnisse der Versammlungsbehörden für alle Orte
allgemeinen kommunikativen Verkehrs (Nr.
79).“
„Gemäß Art. 8 Abs. 1 GG ist die Durchführung
von Versammlungen grundsätzlich ohne Anmeldung oder Erlaubnis gewährleistet.
Versammlungen können daher nicht unter einen generellen Erlaubnisvorbehalt
gestellt werden… Verhältnismäßig ist (eine hausrechtlich durchaus mögliche
Anmeldepflicht) nur, sofern sie nicht
ausnahmslos gilt, sondern Spontan- und Eilversammlungen zulässt, und ein
Verstoß gegen die Anmeldepflicht nicht automatisch das Verbot der Versammlung
zur Folge hat“ (Nr. 89)
Und
schließlich: „Eine Untersagung einer
Versammlung kommt nur in Betracht, wenn eine unmittelbare, aus erkennbaren
Umständen herleitbare Gefahr für mit der Versammlungsfreiheit gleichwertige
elementare Rechtsgüter vorliegt. Für das Vorliegen der ‚unmittelbaren’
Gefährdung bedarf es einer konkreten
Gefahrenprognose. Bloße Belästigung
Dritter, die … sich ohne Nachteile für den Versammlungszweck nicht vermeiden
lassen, reichen hierfür nicht. Sie müssen in der Regel hingenommen werden….
Die Untersagung einer Versammlung kommt als ultima ratio nur in Betracht, wenn die Beeinträchtigungen anders nicht
verhindert werden können. (Nr. 90).“
„Ein vom Elend der Welt unbeschwertes Gemüt
des Bürgers ist kein Belang, zu dessen Schutz der Staat Grundrechtspositionen
einschränken darf (Nr. 103)“.
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