Samstag, 14. Dezember 2013

Auszüge aus einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Demonstrationsfreiheit


Auszüge aus einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Demonstrationsfreiheit
Reinhart.Vowinckel@web.de /  http://vowinckel.blogspot.de /                        11.12.13

Es gibt zum Demonstrationsrecht ein über 30 Seiten langes Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 22. Februar 2011(http://www.bverfg.de/entscheidungen/rs20110222_1bvr069906.html). Es ist also noch recht neu. In ihm wurde entschieden, dass Kundgebungen inklusive Verteilen von Flugblättern zwar in erster Linie auf Straßen, Plätzen usw., aber auch in öffentlichen Bereichen von Flughäfen und Bahnhöfen grundrechtlich geschützt sind. Ich habe hier in Zitaten die wichtigsten Inhalte auf eineinhalb Seiten zusammengestellt.

Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG schützt die Äußerung einer Meinung nicht nur hinsichtlich ihres Inhalts, sondern auch hinsichtlich der Form ihrer Verbreitung (…) Hierzu gehört namentlich das Verteilen von Flugblättern, die Meinungsäußerungen enthalten. Geschützt ist darüber hinaus auch die Wahl des Ortes und der Zeit einer Äußerung. Der sich Äußernde hat nicht nur das Recht, überhaupt seine Meinung kund zu tun, sondern er darf hierfür auch die Umstände wählen, von denen er sich die größte Verbreitung oder die stärkste Wirkung seiner Meinungskundgabe verspricht (Nr. 97)“.
Während der Bürger prinzipiell frei ist, ist der Staat prinzipiell gebunden. Der Bürger findet durch die Grundrechte Anerkennung als freie Person, die in der Entfaltung ihrer Individualität selbstverantwortlich ist. Er und die von ihm gegründeten Vereinigungen und Einrichtungen können ihr Handeln nach subjektiven Präferenzen in privater Freiheit gestalten, ohne hierfür grundsätzlich rechenschaftspflichtig zu sein. Ihre Inpflichtnahme durch die Rechtsordnung ist von vornherein relativ und - insbesondere nach Maßgabe der Verhältnismäßigkeit - prinzipiell begrenzt. Demgegenüber handelt der Staat in treuhänderischer Aufgabenwahrnehmung für die Bürger und ist ihnen rechenschaftspflichtig (Nr. 49).“
Anmerkung: Wer sein Recht auf freie Meinungsäußerung in Anspruch nehmen will, ist dafür gegenüber dem Staat grundsätzlich nicht, das heißt nur in bestimmten Fällen rechenschaftspflichtig.

Art. 8Abs. 1 GG schützt die Freiheit, mit anderen Personen zum Zwecke einer gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichtete Erörterung oder Kundgebung örtlich zusammen zu kommen  … Als Freiheit zur kollektiven Meinungskundgabe ist die Versammlungsfreiheit für eine freiheitlich demokratische Staatsordnung konstituierend … In ihrer idealtypischen Ausformung sind Demonstrationen die gemeinsame körperliche Sichtbarmachung von Überzeugungen, bei der die Teilnehmer in der Gemeinschaft mit anderen eine Vergewisserung dieser Überzeugungen erfahren und andererseits nach außen - schon durch die bloße Anwesenheit, die Art des Auftretens und die Wahl des Ortes - im eigentlichen Sinne des Wortes Stellung nehmen und ihren Standpunkt bezeugen (Nr. 63)“.
Und weiter: „Die Bürger sollen damit selbst entscheiden können, wo sie ihr Anliegen – gegebenenfalls auch in Blick auf Bezüge zu bestimmten Orten oder Einrichtungen – am wirksamsten zur Geltung bringen können.(Nr. 64).“ Anmerkung: Ein solcher „bestimmter Ort“ ist für uns der Bahnhof. Das heißt für uns: Im Grunde müssen wir gegenüber der Stadtverwaltung nicht einmal begründen, warum und wo wir demonstrieren wollen.

Demgegenüber verbürgt die Versammlungsfreiheit die Durchführung von Versammlungen dort, wo ein allgemeiner öffentlicher Verkehr eröffnet ist (Nr. 66).“
 „Dies betrifft – unabhängig von einfachrechtlichen Bestimmungen des Straßenrechts – zunächst den öffentlichen Straßenraum. Dieser ist das natürliche und geschichtlich leitbildprägende Forum, auf dem Bürger ihre Anliegen besonders wirksam in die ffentlichkeit tragen und hierüber die Kommunikation anstoßen können. Vor allem innerörtliche Straßen und Plätze werden heute als Stätten des Informations- und Meinungsaustausches sowie der Pflege menschlicher Kontakte angesehen. In verstärktem Maß gilt dies für Fußgängerzonen und verkehrsberuhigte Bereiche; die Ermöglichung des kommunikativen Verkehrs ist ein wesentliches Anliegen, das mit solchen Einrichtungen verfolgt wird ... Das Versammlungsrecht knüpft an diese Funktion an. Dabei beachtet es die allgemeinen straßen- und straßenverkehrsrechtlichen Bestimmungen, die es jedoch partiell überlagert, sofern dies für eine effektive Wahrnehmung der Versammlungsfreiheit erforderlich ist. Öffentliche Versammlungen und Aufzüge finden hier die Bedingungen, um Forderungen einem allgemeinen Publikum zu Gehör zu bringen und Protest oder Unmut sinnbildlich ‚auf die Straße zu tragen’ (Nr. 67).“
„Entsprechendes gilt aber auch für Stätten außerhalb des öffentlichen Straßenraums, an denen in ähnlicher Weise ein öffentlicher Verkehr entwickelt ist und Orte der allgemeinen Kommunikation entstehen. Wenn heute die Kommunikationsfunktion der öffentlichen Straßen, Wege und Plätze zunehmend durch weitere Foren wie Einkaufszentren, Ladenpassagen oder sonstige Begegnungsstätten ergänzt wird, kann die Versammlungsfreiheit für die Verkehrsflächen solcher Einrichtungen nicht ausgenommen werden … Vielmehr besteht zwischen der Eröffnung eines Verkehrs zur öffentlichen Kommunikation und der Versammlungsfreiheit ein unaufhebbarer Zusammenhang: Dort wo öffentliche Kommunikationsräume eröffnet werden, kann der unmittelbar grundrechtsverpflichtete Staat nicht unter Rückgriff auf frei gesetzte Zweckbestimmungen oder Widmungsentscheidungen den Gebrauch der Kommunikationsfreiheiten aus den zulässigen Nutzungen ausnehmen: Er würde sich damit in Widerspruch zu der eigenen Öffnungsentscheidung setzen  (Nr. 68).“
Solche Möglichkeiten, Aufmerksamkeit zu erzielen, sind als Grundlage der demokratischen Willensbildung mit der Versammlungsfreiheit gewollt und bilden ein konstituierendes Element der demokratischen Staatsordnung...
Werden Räume in dieser Weise für ein Nebeneinander verschiedener, auch kommunikativer Nutzungen geöffnet und zum öffentlichen Forum, kann aus ihnen gemäß Art. 8 Abs. 1 GG auch die politische Auseinandersetzung in Form von kollektiven Meinungskundgaben durch Versammlungen nicht herausgehalten werden. Art. 8 Abs. 1 GG gewährleistet den Bürgern für die Verkehrsflächen solcher Orte das Recht, das Publikum mit politischen Auseinandersetzungen, gesellschaftlichen Konflikten oder sonstigen Themen zu konfrontieren. Solche Möglichkeiten, Aufmerksamkeit zu erzielen, sind als Grundlage der demokratischen Willensbildung mit der Versammlungsfreiheit gewollt und bilden ein konstituierendes Element der demokratischen Staatsordnung. (Nr.70)“
Die Versammlungsfreiheit ist nicht vorbehaltlos gewährleistet. Vielmehr können Versammlungen unter freiem Himmel gemäß Art. 8 Abs. 2 GG durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes beschränkt werden (Nr. 75).“
Die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches können als ein die Versammlungsfreiheit beschränkendes Gesetz im Sinne des Art. 8 Abs. 2 GG herangezogen werden. Das zivilrechtliche Hausrecht gemäß § 903 Satz 1, § 1004 BGB ist dementsprechend grundsätzlich geeignet, Eingriffe in die Versammlungsfreiheit zu rechtfertigen. Unberührt bleiben hiervon die Versammlungsgesetze als maßgebliche Rechtsgrundlage der Befugnisse der Versammlungsbehörden für alle Orte allgemeinen kommunikativen Verkehrs (Nr. 79).“
Gemäß Art. 8 Abs. 1 GG ist die Durchführung von Versammlungen grundsätzlich ohne Anmeldung oder Erlaubnis gewährleistet. Versammlungen können daher nicht unter einen generellen Erlaubnisvorbehalt gestellt werden… Verhältnismäßig ist (eine hausrechtlich durchaus mögliche Anmeldepflicht) nur, sofern sie nicht ausnahmslos gilt, sondern Spontan- und Eilversammlungen zulässt, und ein Verstoß gegen die Anmeldepflicht nicht automatisch das Verbot der Versammlung zur Folge hat“ (Nr. 89)
Und schließlich: „Eine Untersagung einer Versammlung kommt nur in Betracht, wenn eine unmittelbare, aus erkennbaren Umständen herleitbare Gefahr für mit der Versammlungsfreiheit gleichwertige elementare Rechtsgüter vorliegt. Für das Vorliegen der ‚unmittelbaren’ Gefährdung  bedarf es einer konkreten Gefahrenprognose. Bloße Belästigung Dritter, die … sich ohne Nachteile für den Versammlungszweck nicht vermeiden lassen, reichen hierfür nicht. Sie müssen in der Regel hingenommen werden…. Die Untersagung einer Versammlung kommt als ultima ratio nur in Betracht,  wenn die Beeinträchtigungen anders nicht verhindert werden können.  (Nr. 90).“

Ein vom Elend der Welt unbeschwertes Gemüt des Bürgers ist kein Belang, zu dessen Schutz der Staat Grundrechtspositionen einschränken darf (Nr. 103)“.

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