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Zum Umgang mit der Volksabstimmung und dem
Finanzierungsvertrag
Holger Gayer wirft in der
Stuttgarter Zeitung die Frage auf:
„Gilt die Volksabstimmung noch?“ Meine Antwort ist einfach. Sie hat noch nie
gegolten. Jedenfalls nicht im Sinne des Rechts, und das heißt nicht für uns alle. Um das zu wissen,
braucht man nur die betreffende Aussage der Landesabstimmungsleiterin Friedrich
bei Bekanntgabe des amtlichen Endergebnisses aufmerksam zur Kenntnis zu nehmen,
man muss dazu nicht einmal Jura studiert haben:
„Nachdem die Gesetzesvorlage die nach der
Landesverfassung erforderliche Stimmenmehrheit nicht erreicht hat, hat sich
insoweit auch keine Änderung der Rechtslage ergeben.“
Da ist allerdings nicht nur unsere Landesregierung anderer Meinung, die
meines Wissens das Märchen von der „Geltung“ der VA in die Welt gesetzt hat, sondern auch unsere Staatsanwaltschaft. Von Redakteuren auf seinen harten Umgang mit
Projektgegnern und einen vergleichsweise zarten Umgang mit Polizisten
angesprochen, erklärte Oberstaatsanwalt Häußler
laut Stuttgarter Nachrichten vom 18.12.2012: „Mit der Volksabstimmung ist für
uns eine Änderung eingetreten. Das Volk hat entschieden, das Projekt war
legitimiert. Die folgenden Blockaden betrachten wir daher als
Verhinderungsblockaden.“ Damit spricht er nicht nur für sich, sondern für das
Kollegium der Staatsanwaltschaft („wir“). So werden ihre Grundrechte in
Anspruch nehmende Projektgegner mit Rechtsbeugungen effektiver bekämpft. Geht
doch! Und der Ministerpräsident (Grüne) wie der Justizminister (SPD) lassen
grüßen. Das Märchen von der Gültigkeit der VA wirkte wie Gehirnwäsche, eine
Zeit lang auch auf die Protestbewegung.
Nachdem am 12,12.12 um Zwölf vor
Zwölf ein gewisser Herr Kefer für sein
Märchen vom „Tiefbahnhof für nix“ keine Zuhörer mehr fand; hielten vier Heilige
der Protestbewegung für den Kopfbahnhof auch ihre Stunde für gekommen und
verkündeten am dritten Weihnachtstag in einem Offenen Brief ihren
Weihnachtswunsch:
„Grüne Spitzenpolitiker müssen
und können jetzt S 21 stoppen!“. Diese Forderung fußt jedoch auf
falschen Annahmen. Die
Spitzenpolitiker der Protestbewegung schreiben in ihrer Begründung: „Die Grundlagen für die Volksabstimmung
wurden einseitig verletzt – sie sind nicht mehr gegeben. Es gilt, was die
Landesregierung in der Begründung ihres Gesetzestextes ‚über die Ausübung von
Kündigungsrechten (…) bei Stuttgart 21’ schrieb: „Bei Kostensteigerungen, die
nicht ‚in vollem Umfang von der Deutschen Bahn AG finanziert’ werden, sei dem
Land ‚ein Festhalten an dem (S21) Vertrag nicht zumutbar und ein
Kündigungsrecht nach § 60 Abs. 1 Landesverwaltungsverfahrensgesetz (IVwVfG) gegeben.“
Diese Schlussfolgerung aus Kefers (noch
vorläufigem) Offenbarungseid ist voreilig.
- Ohne die SPD können die Grünen in der Regierung gar nichts, die Grünen außerhalb jedoch viel.
- Das Land sollte der Bahn nicht vorgreifen. Das würde uns viel Geld kosten.
- Die „Grundlagen für die VA“, z. B. der von der Koalition als Ergänzung zum Vertrag verkündete Kostendeckel, spielen wie das Ergebnis der VA lediglich ein politische, eine propagandistische, nicht aber auch eine rechtliche Rolle (s. o. ).
- Die Berufung auf den genannten § 60 IVwVfG greift nicht. Bisher wurde nicht festgestellt, dass die Bahn Mehrkosten nicht zahlt oder eine Durchführung des Projekts aus einem anderen Grund nicht zumutbar ist. Also mehr Geduld!
Da kann ich sogar den
Ministerpräsidenten ein Stück weit verstehen. Ein ehemaliger Richter mit Namen
Dieter Reicherter weist ihn auf die
Ungültigkeit der VA hin, während ihn andere Projektgegner auf die VA
festgenageln wollen. Da kann man schon genervt sein. So stöhnte er gequält in
einer Offenen Antwort an Walter Sittler als einen der vier Unterzeichner des
zitierten Offenen Briefes:
„Ich warne sogar davor, die Volksabstimmung erneut in Frage zu stellen…An
dieses Votum ist die Landesregierung auch weiterhin gebunden, zwar nicht
formal-juristisch, aber doch politisch.“
Damit hat er auch die von Holger
Gayer gestellte Frage, ob die VA noch gilt, beantwortet. Seine Antwort lautet:
„Jein!“
Kretschmann versucht, die
Protestbewegung in seinen Betrug hineinzuziehen oder sagen wir verbindlicher
„einzubeziehen“, Betrug an wem auch immer. Also Vorsicht! Nicht nur wegen
Häußler und Kollegen. Es handelt sich bei Kretschmanns angeblicher
Verpflichtung nicht um eine Verpflichtung durch das Volk, sondern allenfalls um
eine „Selbstverpflichtung“ der
Regierung, und das auch noch pro
Stuttgart 21! Und auch der Kostendeckel ist lediglich eine Absichtserklärung
und kein verbindlicher Landtagsbeschluss oder Beschluss einer Volksabstimmung. Das
gleiche Verpflichtungsspiel hätte Kretschmann am liebsten auch mit dem Filderdialüg
getrieben. Da galt für ihn plötzlich für einen Moment auch kein Kostendeckel
mehr, bis Winfried Hermann dem netten Onkel in die Parade fuhr.
Da stellen sich uns eher zwei weitere Fragen: Warum hält
Kretschmann, der doch eigentlich ein Projektkritiker ist, am
Märchen einer zusätzlichen Legitimation des Projekts durch die VA fest?
Und warum meint er anscheinend, auch die Protestbewegung müsse daran ein
Interesse haben?
Die Lösung des Widerspruchs liegt
wohl in folgenden Umständen: Zum einen können die Grünen aus dem S21- ICE nicht aussteigen, solange die SPD vor dem
Ausstieg steht.
Noch wichtiger aber ist: Sowohl
die SPD als auch die heutige Opposition von CDU und FDP waren vor und nach der
VA als Befürworter des Projekts beeindruckt vom neuen Ministerpräsidenten. Obwohl
ein Projektgegner, bekannte der sich mit
der ganzen ihm verliehenen Autorität „unmissverständlich“ zur „Verbindlichkeit“
der Mehrheitsentscheidung der VA pro S21. Was wollten sie mehr? Was konnten sie
besser? Da schluckten sie in der Hoffnung auf die Beendigung der Proteste auch
den Kostendeckel, an den sich alle beteiligten parlamentarischen Gremien, sogar
der Gemeinderat, seither halten. Dabei
haben sie jedoch wohl unterschätzt, wie teuer der Kostendeckel noch einmal
werden könnte, dass er nämlich auch den Finanzierungsvertrag und damit die
rechtliche Grundlage des Projekts kosten könnte. Die Beibehaltung des im Grunde
finanzierungsvertragswidrigen Kostendeckels würde das Projekt S21 für die kaufmännisch
kalkulierende Bahn sinnlos werden lassen.
Damit ist aber auch die zweite neu
entstandene Frage beantwortet, welches Interesse wir in den Augen Kretschmanns
an der Legende von der Gültigkeit der VA haben.In seinem Offenen Brief an
Sittler deutet er es an.
Wenn ihr die Volksabstimmung
pro S21 in Frage stellt, stellt ihr auch die Selbstbindung der Befürworter (SPD, CDU, FDP) an den Kostendeckel
in Frage. Er ist aber unser einziges Instrument, S21 doch noch zu Fall zu
bringen, wenn nicht höhere politische Mächte in Berlin das noch verhindern. Ihr eröffnet ihnen mit Eurer Aufforderung zum
womöglich rechtswidrigen Ausstieg nur die Möglichkeit, aus ihrer aus Angst vor
der VA geschluckten Verpflichtung zur Kostendeckelung auszusteigen.
Anders vermag ich die „väterliche“
Warnung Kretschmanns nicht zu verstehen, mit der er wohl die auch Führung der
Protestbewegung zurückzuholen trachtet,
Was Kretschmann richtig sagt: Vertraglich kann die Bahn die
Übernahme aller Planungskosten verlangen (Sprechklausel), denn ihr Job sind
Planung und Beaufsichtigung der Ausführung des Projekts. Oder sie kann, wenn sich kein Finanzier für gestiegene Kosten
findet, als Alternative auch den Weiterbau einfach stoppen und zuwarten, mit
der Folge, dass „Bauruinen“ so lange herumstehen, bis die Projektpartner die
weiteren Kosten in letztlich unbegrenzter Höhe „freiwillig“ berappen. Die „Partner“ der Bahn und das
heißt die „Öffentlichen Hände“ sind also
durch diesen Vertrag erpressbar. Der Finanzierungsvertrag
ist in der Hand der Bahn ein Schraubstock, in den sie die öffentlichen
Hände spannen kann.
Und das ist sie auch in der Hand von Befürwortern in der Regierung, was
Kretschmann aber nicht öffentlich sagen kann. Und hier beginnt der Job der
Protestbewegung. Um diese Aufgabenteilung richtig zu verstehen,
hilft ein Blick in die Geschichte des
Vertrages. Geplant war die Sprechklausel
des Vertrags zumindest von der CDU-FDP-Landesregierung unter Oettinger und
Mappus (damals Staatssekretär im Verkehrsministerium) sicherlich nicht als
Instrument der Erpressung, sondern als Instrument
der Verschleierung. Sie war ja bereit, für die Kosten, egal in welcher
Höhe, aufzukommen und musste und konnte so auch nicht erpresst werden. Die Regierung
Oettinger/Mappus wollte vielmehr zweierlei. Einerseits wollte sie verhindern,
dass die Bürger mitbekamen, was S21 wirklich kosten könnte und würde. Zum
anderen wollte sie eine juristische Verpflichtung zur Kostendeckung haben, auf
die sie sich jederzeit berufen konnte, wenn es wieder einmal „klemmen“ würde.
Auf die Idee, dass die Regierung vom
Volk ausgewechselt werden könnte und die neue Regierung den Vertrag mit der Sprechklausel als Schraubstock erleben könnte, kam wohl damals noch niemand.
Inzwischen ist also der Finanzierungsvertrag
objektiv zu einem Instrument der Erpressung und zwar der Grünen in der Regierung geworden.
Ich vermute jedoch mal, dass
weder die Bahn noch CDU, FDP und SPD
öffentlich die Verantwortung für ein Instrument der Erpressung des Landes oder auch der Stadt übernehmen
wollen und können, zumal Wahlen anstehen. Also: Befreien wir das Land vom
Finanzierungsvertrag!
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