Sonntag, 12. März 2023

 

Letzte Generation: 'Start up Direkter Demokratie‘? Erste Erzählung 11.03.2023 Reinhart Vowinckel

§ 240 StGB - Zwei ‚Leichen im Keller‘, eine beim Bundestag, eine beim Verfassungsgericht

Auch Sitzblockaden stehen unter dem Schutz des Versammlungsrechts.“ BVerfGE 01-12-1992

Im Herbst fand ein Bashing zur Diskriminierung der Umweltschutzgruppe Letzte Generation statt. Es findet seine Fortsetzung in Gesetzgebungsinitiven in Landtage zur weiteren Beschränkung des Versammlungsrechts. In seinem Zentrum standen drei Behauptungen oder zumindest Unterstellungen: Ihre Sitzblockaden seien erstens rechtswidrig und kriminell, zweitens sinnlos, weil überflüssig und drittens schädlich für den Klimaschutz. Sucht man nach einem Sinn in den drei unsinnigen Vorwürfen, dann findet man ihn in der Befangenheit der Gegner der Letzten Generation. Deren Aktivitäten gehen ihnen gegen den Strich, sie möchten, dass die Aktivisten aufhören zu demonstrieren und ihnen damit in die Quere zu kommen. Deswegen sprechen sie ihnen das Recht zu solchen Demonstrationen ab. Das Bashing richtet sich also auch gegen das Versammlungsrecht, und das ist auch eine Folge der historischen Verwirrung, die bei uns in Sachen Rechtsprechung zu Sitzblockaden und damit zum Versammlungsrecht herrscht. Es gibt keine Rechtssicherheit und damit auch keine Rechtsgleichheit.

Der Streit um den richtigen Umgang der Rechtsprechung mit Sitzblockaden hat im Jahr 1969 mit einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs zu einer Sitzblockade, mit dem sogenannten „Laepple-Urteil“ oder Gewalt-Psychologisierungsurteil (BGHST 23-46) begonnen. In ihm hieß es in einer willkürlichen, mit Falschaussagen verbundenen Auslegung des Nötigungsgesetzes, Sitzblockaden seien eine Form psychologischer, terroristischer Gewaltausübung und damit nach dem Nötigungsgesetz strafbare Gewalt. Es ging darum, eine rhetorische Konstruktion zu finden, mit der Sitzdemonstrationen der Charakter einer Demonstration im Sinne des Versammlungsrechts abgesprochen werden konnte. Das Urteil löste bei freiheitlich orientierten Rechts- und Staatswissenschaftlern und auch in der Zivilgesellschaft Kopfschütteln aus, mehr aber auch nicht. Insbesondere in kleinbürgerlichen Milieus, in denen man auch nicht demonstrierte, galten Sitzblockaden als „ungehörig“, wenn nicht sogar als ‚asozial“, vor allem aber als „links“ und „vermutlich von drüben“, das hieß von der DDR „gesteuert“.

Im Rahmen der Friedensbewegung gegen die Stationierung atomarer Mittelstreckenraketen auf deutschem Boden, mit der schließlich über 60 Prozent der Bürger sympathisierten, und dem ständigen Wachsen der Bewegung gegen Atomkraftwerke wurden auch Sitzblockaden immer mehr zumindest toleriert. Deswegen nahm auf Betreiben vor allem der Landesregierungen das Verfassungsgericht sich zum ersten Mal des Versammlungsrechts an, 1985 mit dem „Brokdorf-Urteil“ (BVerfGE 69, 315) zum Versammlungsrecht grundsätzlich und allgemein, und ein Jahr später mit dem „Mutlangen-Urteil“ (BVerfGE-73, 206) speziell zu Sitzblockaden. Beim Brokdorf-Urteil war sich der Erste Senat offensichtlich einig, und sein Inhalt war auch nie umstritten, eine im Wesentlichen fortschrittliche, freiheitliche Entscheidung.

Ganz anders jedoch ein Jahr später beim „Mutlangen-Urteil“ speziell zu Sitzblockaden. Zur Frage stand, ob das Nötigungsgesetz, auf das sich der Bundesgerichtshof bei seinem „Psychoterror-Urteil“, dem sogenannten „Laepple-Urteil“ im Jahr 1969 gestützt hatte, überhaupt verfassungskonform oder nicht vielmehr verfassungswidrig sei. Vier der acht Senatsmitglieder, alle von der SPD nominiert, hielten das Gesetz für verfassungswidrig. Die Kritiker des Psychoterror-Urteils (Laepple-Urteil s. o.) beriefen sich dazu auf das „Gesetzlichkeits- oder Bestimmtheitsgebot“ des Grundgesetzes. Ich komme darauf noch zurück. Damit konnten sie sich jedoch im achtköpfigen Senat nicht durchsetzen, weil sie keine Mehrheit hatten. Daraufhin gab die ‚Opposition‘ zum Senatsvorsitzenden nach und stellte sich als Kompromiss auf den Standpunkt, dann sei zumindest die Auslegung des Nötigungsgesetzes durch den Bundesgerichtshof in seiner willkürlichen Psychoterror-Entscheidung verfassungswidrig. Aber auch damit kamen sie bei den Konservativen um den Vorsitzenden nicht durch und das Psychoterror-Urteil war mit der Abweisung der Grundrechtsbeschwerde gerettet. Die grob willkürliche und verfassungswidrige Mutlangen-Entscheidung ist eine ‚Leiche‘ oder sollten wir sagen ‚Untote‘? im ‚Keller des Verfassungsgerichts‘. Sie hätte nie fallen dürfen. Unter dem Strich blieb: Das Bundesverfassungsgericht hatte sich dem Bundesgerichtshof und mit ihm der Regierung beziehungsweise den Regierungen unterworfen. Hat das Brokdorf-Urteil dem Rechtsfrieden gedient, und das nachhaltig, so hat das „Sitzblockaden I“ – Urteil dauerhaften Rechtsunfrieden gestiftet. Seit dem gab es noch vier weitere Senatsentscheidungen zu demonstrativen Verkehrsbehinderungen. Jede Entscheidung ist eine Geschichte für sich, aber keine hat Abhilfe geschaffen.

In meiner geplanten zweiten Erzählung werde ich das Verhalten von Regierungsvertretern aller Bundestagsparteien auf Bundes- und Landesebene gegenüber der Gruppe einmal ‚abbilden‘ und dem Bild dann an Hand von Zitaten aus dem „Brokdorf-Urteil“ Grundsätze des Versammlungsrechts gegenüber stellen. Dort wird nachvollziehbar dargestellt, was mit dem Versammlungsrecht nach Artikel 8 GG eigentlich gemeint ist. Nun aber noch noch einmal zur Streitfrage des „Mutlangen-Urteils.“ Ich habe das Mutlangen-Urteil als faulen Kompromiss bezeichnet. Das soll jedoch kein Vorwurf sein. Ich frage mich vielmehr bei solchen Beobachtungen und Feststellungen stets: Hättest du es in deren Lage besser gekonnt? Die vier ‚Gesandten‘ der SPD haben sich damals völlig zu recht auf eine für einen Rechtsstaat zentrale Bestimmung berufen, wie gesagt auf das sogenannte Gesetzlichkeits- oder Bestimmtheitsgebot nach Artikel 103, Abs. 2 GG, das sie jedoch offensichtlich noch nicht ausreichend verstanden . Es lautet:

Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.“ Es bedeutet:

1. Über die Strafbarkeit einer Handlung darf nur der vom Volk gewählte Gesetzgeber bestimmen und nicht erst ein Richter. Der Richter hat sich in einer Demokratie nach dem Gesetzgeber zu richten(„Gesetzlichkeitsgebot“).

2. Die gesetzliche Entscheidung einer Strafbarkeit gilt nur für die Zukunft. Sie darf weder vom Gesetzgeber noch von Gerichten rückwirkend auf Vergangenes angewandt werden („Rückwirkungsverbot).

Weitere aus dem Gesetzlichkeitsgebot abzuleitende Funktionen lasse ich hier einmal beiseite. Nun lautet § 240 StGB in seinen beiden ersten Sätzen:

(1) Wer einen Menschen rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung nötigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Rechtswidrig ist die Tat, wenn die Anwendung der Gewalt oder die Androhung des Übels zu dem angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist.“ von 1943 bis 1953 hatte die Formel „als verwerflich anzusehen“ noch „gesundem Volksempfinden widerspricht“gelautet. Nicht jede Nötigung mit Gewalt ist demnach strafbar, sondern nur eine „rechtswidrige“. Nötigung mit „Gewalt“ allein ist also kein „Straftatbestand“. Mit rechtswidrig“ ist jedoch nicht etwa, wie man meinen sollte und ursprünglich (1871) auch gedacht war (https://lexetius.com/StGB/240,8), der Widerspruch zu einem vom demokratisch gewählten Gesetzgeber gegebenes Gesetz oder Gebot gemeint, sondern „rechtswidrig“ bedeutet nach Satz 2 „als verwerflich anzusehen“. Strafbar ist also nicht eine vom Gesetzgeber als strafbar bestimmte Tat, sondern vielmehr ihr Zweck, je nach dem, ob der „als verwerflich anzusehen“ ist oder auch nicht. Das heißt auf Deutsch: Strafbarkeit bei Nötigungen mit Gewalt ist in Deutschland nicht „Tat-sache“, sondern A n s i c h t s s a c h e .

Der allein zu einer Strafbestimmung befugte Gesetzgeber, das heißt die Volksvertretung und deren „Ansicht“, wird übergangen. Damit ist das Nötigungsgesetz verfassungswidrig und wir stehen vor einer schicksalsträchtigen absurden Konstellation: Auf der einen Seite stehen Aktivisten, die vermeintlich beziehungsweise angeblich „zivilen Rechtsungehorsam“ begehen, obwohl sie ein Grund- und Tatrecht in Anspruch nehmen. Ihnen gegenüber stehen Ordnungsbehörden, Politiker und Richter, die vermeintlich und angeblich nur Recht und Gesetz vollstrecken beziehungsweise vollstreckt sehen wollen, tatsächlich jedoch „legal“ Willkür verüben. Wer hilft beiden ‚aus der Patsche‘? Wer soll ihnen aus der Patsche helfen? Auch das Nötigungsgesetz ist ein ‚Untoter‘, allerdings nicht im ‚Keller‘ des Verfassungsgerichts, sondern in dem des Bundestages.

http://vowinckel.blogspot.com/



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