Montag, 13. März 2023

 

Das Versammlungsrecht


Anstößige Denkanstöße zur Zeitenwende in 15 Thesen Reinhart Vowinckel 13. März 2023


(1) Nach Art. 8 GG sowie der Europäischen Menschenrechtskonvention von 1953 haben alle Menschen das Recht, sich friedlich ohne Waffen, aber auch ohne Anmeldung oder Erlaubnis zu versammeln.

(2) Die Auflösung einer Versammlung wie z. B. einer Sitzdemonstration durch die Polizei ohne vorherige Feststellung einer akuten Gefährdung der öffentlichen Sicherheit durch sie und eine auf die Feststellung gegründete Auflösungsverfügung der zuständigen Behörde entsprechend § 15 des Versammlungsgesetzes ist rechtswidrig.

(3) Politische Versammlungen sind nach Artikel 8 GG nicht genehmigungspflichtig und unterliegen auch keiner Pflicht zur Anmeldung. Die Neigung von Aktivisten, ihre Veranstaltung nicht kooperativ (freiwillig) anzumelden, wird erst durch die grundrechtswidrige und grundgesetzwidrige Praxis, Sitzblockaden in Blitzblockaden zu verwandeln, provoziert. Hier zeigt sich das Fehlen einer interdisziplinären anthropologischen Gesetzesfolgenauswertung wie sie in der angloamerikanischen Law and Society-Forschung bereits weit entwickelt ist. Auch Strafgewalt erzeugt Gewalt. Wir stehen auch da vor der Alternative: regelbasiert Kooperation oder Machtkampf mit unkontrollierbarem Ausgang.

(4) Versammlungen haben Vorrang vor dem allgemeinen Straßenverkehrsrecht, und auch der Schutz der öffentlichen Sicherheit (Friedlichkeit) ist gemäß dem Versammlungsgesetz und nicht dem allgemeinen Polizeirecht zu gewährleisten. [s. BVerwGE 82,34 1989 + BVerfGE 87, 399 1992].

(5) Für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung sowie der Straßenverkehrsordnung bei Versammlungen ist die Polizei zuständig und nicht die Versammlung.

(6) Eine gewaltfreie und nicht zu Gewalt aufrufende politische Versammlung ist eine im Sinne der Demokratie für die gesellschaftliche Meinungs- und Willensbildung und damit für eine stabile Entwicklung der Demokratie in hohem Maße wertvolle Veranstaltung, gleich welchen Anliegens.

(7) Demonstranten verdienen Hochachtung für ihr soziales Engagement und den Respekt sowohl des Staates als auch der politischen Parteien wie auch der Zivilgesellschaft.

(8) Art. 8 GG gewährleistet den Grundrechtsträgern das Selbstbestimmungsrecht über Ort, Zeitpunkt, Zeitdauer, Art. und Inhalt der Veranstaltung.

(9) Das Versammlungsrecht ist inhaltlich grundsätzlich neutral. Zwecke und Ziele einer Versammlung bewirken weder einen rechtlichen Bonus noch einen rechtlichen Malus, wie es nach § 240 StGB läuft.

(10) Das Recht zu freien friedlichen Versammlungen ist neben dem Recht zu freien demokratischen Wahlen nach dem Mehrheitsprinzip die wichtigste Einrichtung einer Demokratie und wird mit der Zeitenwende und der Notwendigkeit der Behebung der zahlreichen aufgestauten Probleme noch wichtiger werden.

(11) Das Versammlungsrecht ist ein Privileg von Demonstranten sowohl dem Staat als auch der Gesellschaft gegenüber, ähnlich dem Privileg der Immunität von Abgeordneten.

(12) Ziviler Ungehorsam ist in Deutschland in der Regel kein Rechtsungehorsam, sondern die rechtmäßige Wahrnehmung eines Grundrechts. Rechtsungehorsam, also Willkür, ist vielmehr ein Umgang der Exekutive wie der Judikative mit Sanktionierungen vorbei am Versammlungsgesetz sowie nach § 240 StGB entsprechend „gesetzesvertretendem Richterrecht“ vorbei am Gesetzlichkeitsgebot nach Art. 103 (2).

(13) Das Nötigungsgesetz § 240 StGB verstößt eindeutig gegen das Gesetzlichkeitsgebot nach GG Art. 103 bekannter als „Bestimmtheitsgebot“. Die „Verwerflichkeit“ einer Handlung („… als verwerflich anzusehen ist“) ist Ansichtssache und nicht Tatsache. Die Formel hat zu historisch einmaliger Verwirrung in der Rechtsprechung und in der Gesellschaft zu Rechtsunsicherheit statt zu Rechtssicherheit geführt.

(14) Das Versammlungsrecht ist kein Sittengesetz, das je nach Landsmannschaft mehr oder weniger ungeregelt unterschiedlich Gestalt annimmt, sondern ein Grund- und Menschenrecht. Daher war es ein Fehler, es im Rahmen einer Föderalismusreform ‚landsmannschaftlich‘ zu Länderrecht zu deklarieren. Dieser Fehler erinnert an den Fehler, der 1953 mit der Beibehaltung des nationalsozialistischen „völkischen“ Nötigungsgesetzes entgegen dem Entnazifizierungsversprechen gemacht worden ist.

(15) Der Bundestag ist gefordert, das Nötigungsgesetz gegenwärtiger Fassung zeitnah durch ein neues oder aber durch das ursprüngliche, von 1872 bis 1943, also vor seiner ‚Nazifizierung‘, geltende Gesetz zu ersetzen.

 

http://vowinckel.blogspot.com/




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