Finanzierungsvertrag:
geheimer Blankoscheck für Stuttgart 21
reinhart.vowinckel@web.de
http://vowinckel.blogspot.de
23. Dezember 2016
Bahnchef
Grube wird
das Land Baden-Württemberg und
die anderen Projektpartner noch vor Weihnachten vor dem Stuttgarter
Verwaltungsgericht auf
Finanzierung von Projektmehrkosten für
Stuttgart 21 verklagen,
aber
ihm
ist wie
allen Projektpartnern offensichtlich
gar nicht wohl dabei.
Laut
SPIEGEL online bekannte
er kürzlich
in einer Runde von Bahnfachleuten: „Ich
habe Stuttgart
21
nicht erfunden und hätte es auch nicht gemacht.“
Deutlicher
kann man ein Projekt wohl nicht zu einem Un-Projekt erklären, dass
schon sein VorVorgänger
als Bahnchef Johannes
Ludewig Ende
der
90er Jahre in
kluger Voraussicht wieder
zu
den Akten legen wollte. Wie
die Stuttgarter Zeitung vom 22.12.2016 berichtet, zeichnen sich jetzt
schon Klagen der Projektpartner im
Lande gegeneinander
ab. Immer deutlicher zeichnet sich ab, dass das Drama S21 zur Posse
gerät.
In
einem Interview
für die Stuttgarter Zeitung
beklagte
der
heutige Bahnchef Grube
sich
kürzlich
über
zwei
Dinge:
1. den Finanzierungsvertrag und 2. den „Kostendeckel“. Den Finanzierungsvertrag vom 02.04.2009 hatte noch sein Vorgänger Hartmut Mehdorn nur einen Monat vor Grubes Amtsantritt noch schnell Ministerpräsident Oettinger unter Dach und Fach gebracht. Nun darf Grube die ihm von Oettinger, Mehdorn und anderen eingebrockte Suppe auslöffeln.
1. den Finanzierungsvertrag und 2. den „Kostendeckel“. Den Finanzierungsvertrag vom 02.04.2009 hatte noch sein Vorgänger Hartmut Mehdorn nur einen Monat vor Grubes Amtsantritt noch schnell Ministerpräsident Oettinger unter Dach und Fach gebracht. Nun darf Grube die ihm von Oettinger, Mehdorn und anderen eingebrockte Suppe auslöffeln.
Zweitens
beklagte Grube
sich
treuherzig:
„Alle
Partner behaupten, bei den Kosten gedeckelt zu sein, nur die Bahn
nicht. Das ist bei keinem anderen Projekt der Bahn so.“ Ja
so was!
Warum
„deckelt“ denn der
Bauherr und Vertragspartner Bahn
nicht
seine
Kosten? Normaler
Weise wird in einem Kaufvertrag die Lieferung einer bestimmten
Leistung innerhalb eines gewissen Zeitraums und die Bezahlung eines
festen Preises, also
ein
„Kostendeckel“ vereinbart.
Kann dann
der
Anbieter die Leistung nicht zu den von ihm vorgesehenen Kosten
erbringen, dann ist das sein Problem und nicht das des Käufers.
Dieser
Marktmechanismus sollte
nach den Vorstellungen der Bundesregierung aber
offensichtlich
für
den Pflegefall Deutsche
Bahn
AG
–
m. E.
jenseits aller Marktgesetze und
sittenwidrig
– zugunsten
des Bundes außer
Kraft
gesetzt
werden.
Im
Ländle hatte man sich das jedoch
offensichtlich
ganz
anders
vorgestellt.
Man
meinte ein „Jesus“
Schnäppchen
zu machen. Am
20. Oktober 2010, also eineinhalb Jahre nach Unterzeichnung des
Finanzierungsvertrags und ein Jahr vor der Volksabstimmung über den
Finanzierungsvertrag erklärte
der
Fraktionsvorsitzende der CDU im Landtag Peter Hauk vor Senioren
seiner Partei in
Hirschberg: „Ob
das jetzt zehn oder fünfzehn
Milliarden kostet, kann Baden-Württemberg wurscht sein.“
(https://archiv.hirschbergblog.de/2010/10/25/cdu-spitzenpolitiker-peter-hauk-…)
während
der Stuttgarter
CDU-Bundestagsabgeordnete
Stefan Kaufmann laut ZEIT-online vom
14.02.2013, also
noch
zwei Jahre später beteuerte: "Als
Stuttgarter sage ich aber: Auch wenn es richtig teuer wird – wir
sollten es machen. Wir zahlen
Milliarden in den Länderfinanzausgleich. Jetzt kriegen wir einmal
was zurück – und dann
wollen wir es nicht haben?"
(http://www.zeit.de/2013/08/Stuttgart-21-Konflikt-Zukunft)
Beide
verbreiteten
also die frohe Botschaft eines satten Schnäppchens.
Nun
kann es
Grube
als Kläger letztlich gleichgültig sein, wer
zahlt, Hauptsache,
Projekt und Job laufen. Der
Ausgang ist einigermaßen vorhersehbar. Die
Justiz wird einen freiwilligen
Kompromiss
ins Spiel bringen, dem
die nur
so
glimpflich davon Kommenden
hinter
der Hand erleichtert
zustimmen werden. Zu dem faulen Kompromiss dürfte es jedoch vor
allem deswegen kommen, weil
da
jemand gewissermaßen mit sich selbst streitet. CDU
und SPD in Bund mit
CDU
und SPD in
Land,
Region
und
Gemeinderat.
Der
Finanzierungsvertrag ist das
Vertragswerk
eines
an
der Oberfläche gegenseitigen
Betruges,
im
Kern jedoch des
Betruges
an einem Dritten, dem Wähler, der auch Steuerzahler ist. Dieser
Betrug sollte
aber doch eigentlich
unter allen Umständen
unter dem Kostendeckel bleiben.
Sehen
wir uns einmal die Finanzierungsvereinbarungen zu Stuttgart 21
genauer an, dann
ist da zunächst die legendäre
„Sprechklausel“:
„Bei
darüber hinausgehenden Kostensteigerungen werden DB AG und Land
Gespräche
aufnehmen.“
(„Memorandum
of Understanding“ vom 19.07.2007
III.5)
Mit
Bezug auf diese Klausel heißt es seitens
der Grünen und der SPD immer,
die
Aufnahme von Gesprächen bedeute noch
nicht
die Übernahme von Zahlungsverpflichtungen. Das
wirkt zunächst
einleuchtend.
Aber
damit werden
sie vor
Gericht wohl
nicht
weit kommen.
Im Finanzierungsvertrag
vom
02.04.2009 heißt
es im Unterschied zum Memorandum of Understanding zwei
Jahre zuvor z.
B. in § 3 (4) schon etwas präziser: „Werden
… Kostensteigerungen … nicht durch Einsparungen oder Chancen
ausgeglichen, so bedarf es … einer Entscheidung
des Lenkungskreises.“ Vereinbart
wurden also keineswegs nur Gespräche, sondern auch Entscheidungen.
Außerdem
sagt die
Sprechklausel auch aus, dass mit „Mehrkosten“ und der
Notwendigkeit
entsprechender
weiterer finanzieller Leistungen zu
rechnen war. Dafür
spricht auch
der
vertraglich
vereinbarte
Verzicht
auf Kündigungsrechte
in
§
15(1) des
Finanzierungsvertrags:
„Eine
ordentliche Kündigung
dieses Vertrages ist ausgeschlossen.“ Man
wusste also nicht nur, dass es teurer werden würde als vereinbart,
man verzichtete auch auf das Recht der Kündigung, auch
für
den Fall, dass es zu teuer würde. Die unverkennbare
gemeinsame
Absicht des Vertrages war es
also, einen Mechanismus
der
unbegrenzten Zahlungsverpflichtung der Bürger als Steuerzahler zu
konstruieren.
Mit
der Unterzeichnung des Vertrags hat
Ministerpräsident Oettinger de
facto der Deutschen Bahn AG einen Blankoscheck
ausgestellt.
Der
„Kostendeckel“ der Grünroten Regierung vom
Jahr
2011 zur
Ablenkung von diesem Kern bedeutet
im
Grunde Vertragsbruch,
wenn man den Finanzierungsvertrag überhaupt
als
Vertrag unter
„ehrbaren Kaufleuten“ ansehen
will und
nicht als nur
informelle
und daher
unverbindliche
Vereinbarung unter
„Familienangehörigen“, bei dem es
um Verbrauchertäuschung
ging
wie
bei den Abgasskandalen der Automobilindustrie.
Je
genauer wir in den Vertrag hineinschauen, um so deutlicher wird also
sein
betrügerischer
Charakter.
Gehen wir
einmal zurück in
der Geschichte des Vertrags, dann
stoßen wir auf die sog. „Rahmenvereinbarung“
vom 07.11.1995, die
erste Finanzvereinbarung zu S21.
Als wohl
noch
ehrbare Kaufleute am Werk waren,
hieß es
noch: „(1)
Die Gesamtkosten des Projektes sind mit ,4,893 Mrd. DM veranschlagt
(Preisstand 01/93). (2) … Die
Deutsche Bahn AG ist für die Einhaltung dieser Gesamtkosten
vorbehaltlich der nachstehend getroffenen Regelungen verantwortlich.“
Ganz
anders
war
das jedoch
bereits
beim sog.
„Memorandum of
Understanding“ vom
19.07.2007 unter der Regie des Bundes und unterzeichnet von
Ministerpräsident Oettinger.
Dort heißt
es: „Für die Deutsche Bahn
AG … und den Bund
als Alleingesellschafter
… ist es im Hinblick auf die Zukunft des Unternehmens von
besonderem Interesse, dass für die DB aus der Realisierung des
Gesamtvorhabens keine
unkalkulierbaren Risiken entstehen
und dass die Wirtschaftlichkeit
dargestellt ist.“ (MoU
III.1/ FinV § 2.2) Anscheinend
hatte inzwischen
unprofessioneller, provinzieller
Schnäppchenjäger-Ehrgeiz
und Leichtsinn auf
Seiten des Ländles über
wirtschaftliche und politische
Vernunft gesiegt.
Diese
Rechtfertigung eines Blankoschecks löste zwar
bei einigen
wachen Abgeordneten des Landtags
Bedenken aus, aber
unter Regie von
Stefan Mappus als
Fraktionsvorsitzendem der CDU)
wurde innerhalb
von nicht
einmal einer Woche das „Eckpunktepapier“
nachgeschoben und von CDU, SPD
und FDP am 24.07.2007 vom
Landtag verabschiedet.
In ihm hieß es:
„Der
Landtag fordert den Bund und die Deutsche Bahn AG auf, das bis an die
Grenze finanzieller Belastbarkeit gehende finanzielle Engagement des
Landes
zu
würdigen und im Zuge der Umsetzung keine
weiteren Nachforderungen mehr
zu stellen.“
Man war
sich also im Klaren, dass man
sich an die Bahn und das heißt den Bund auslieferte. Mit
diesem geschickten Coup
wurden endgültig
die Weichen für Sprechklausel
und Kündigungsverbot, also den
Blankoscheck gestellt.
Die Sprechklausel aus diesem
Zusammenhang zu reißen ist nur
irreführend.
Die Politik des Landes steht
also in der Gefahr, einen Offenbarungseid leisten zu müssen.
Eine
noch dreistere Form
des Betrugs an den Bürgern des Landes war dann
die Volksabstimmung am
27.11.2011. Wir durften, so hieß es in der Abstimmungsformel, mit
Nein oder Ja über die „Ausübung
von Kündigungsrechten bei vertraglichen Vereinbarungen für das
Bahnprojekt Stuttgart 21“
abstimmen, über die Wahrnehmung von Rechten also, die es gar nicht
gab. Deutlicher kann eine Kaste
ihre Verachtung für vermeintlich
dumme und
leicht zu begeisternde Bürger
wohl kaum noch zum Ausdruck bringen. Andererseits haben sich sogar
auch die Projektgegner mit
der landesweiten Mobilisierung für die Phantomabstimmung an der Nase
herumführen lassen. Auch sie hatten immer noch zu viel Vertrauen in
die Ehrlichkeit verantwortlicher
Politiker. Die Bürger sollten
über die Ausstellung eines Blankoschecks für ein ungeplantes und
unberechenbares Projekt getäuscht werden. Welchen Sinn sonst sollten
die systematischen
Unklarheiten des Finanzierungsvertrags
hinsichtlich der
Zahlungsverpflichtungen haben? CDU,
SPD und FDP waren damals
offensichtlich bereit, zu
erwartende „Kostenexplosionen“ durchzuwinken. Deswegen
ist das wirklich Spannende und
für die Demokratie im Lande Wichtige an
dem Rechtsstreit zwischen Land und Bund auch
nicht dessen finanzieller
Ausgang, sondern ob der Betrugscharakter des Finanzierungsvertrags
und der Volksabstimmung sichtbar
wird. Weder
der
von den Regierungskabinetten beschlossene bzw. bestätigte
„Kostendeckel“ noch das Ergebnis der Volksabstimmung ändern
juristisch etwas an den nicht
nur demokratie-, sondern auch marktwidrigen Vereinbarungen.
Es
gab keine Ausschreibung, sondern nur ein gentlemen‘s agreement.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen