Zitat aus der
Plenardebatte vom 6. Oktober 2010, CDU-Fraktionsvorsitzender Peter Hauk: “Weil
es so ist, müssen wir an diesem Projekt festhalten. Wir müssen es sogar tun, wenn
es schlecht wäre.” Oder FDP-Stadtrat Michael Conz: “Ich würde Stuttgart 21
sogar bauen, wenn es eine Billion Euro kosten würde!”
21.02.2013
Wenn man das wieder einmal liest
– das Internet vergisst nichts! - und von der Versuchung zur Diagnose
„überkandidelte Provinzpolitiker“ absieht, kommen einem ernste Fragen:
1. Woher hatte der Hauk schon damals
die Kostensummen von 7 Mrd. Euro, nur 200 Millionen über der zurzeit
gehandelten Zahl, und von 15 Milliarden?
2. Wieso können Baden-Württemberg
die Kosten „wurscht sein“?
3. Wem wollte er die 15
Milliarden nehmen? Meint er, wir holen
uns das Geld nur vom eh ärgerlichen Länderfinanzausgleich zurück und
kannibalisieren halt mal sozialstaats- und verfassungswidrig anderen zustehende
Mittel?
Am erstaunlichsten finde ich in jedem Fall, dass Hauk scheinbar meinte,
nicht das Land müsse für die erwarteten Mehrkosten zahlen. Hat seine Parteiführung
und Landesregierung Leute wie ihn über das Kostenrisiko getäuscht oder
zumindest im Unklaren gelassen, wie Mappus das ja offensichtlich beim EnBW-Deal
auch getan hat (s. Streit zwischen Mappus und Hauk)? Oder täuschte Hauk hier unverfroren die versammelten „Gäste“ aus
dem kleinstädtischen Rentnersegment seiner Partei? Ganz nebenbei stellt sich auch
die Frage, was wäre peinlicher, wenn er „nur“ seine Anhänger oder sogar sich
selbst so getäuscht hätte? Was wir mit unseren Provinzpolitikern bisher so
erleben durften, ist schon ziemlich gespenstisch.
Auch OB Professor Dr. Schuster
reiht sich nahtlos ein in diese Gespenstergalerie. Am 24.07.2009 behauptete er gegenüber
dem Gemeinderat, der einen besseren Risikoschutz
gegenüber möglichen Kostensteigerungen
verlangte, „die Deutsche Bahn trage als
Bauherrin das Risiko der Mehrkosten“. (Zitiert aus einem 8 Seiten umfassenden
Papier der Juristen zu S21) Wie konnte Schuster so etwas behaupten? Der
Finanzierungsvertrag war schon fast vier Monate alt.
Wie die CDU-Führung das Land, so
hat Schuster die Gemeinde damals auf zumindest grob fahrlässige, wenn nicht
mutwillige Weise in eine juristisch äußerst nachteilige Position gebracht, ohne je dafür zur Rechenschaft gezogen worden
zu sein. Kannten Hauk und Schuster etwa den Finanzierungsvertrag gar nicht oder
hatten sie ihn nicht verstanden? (Schuster war sogar vom damaligen
Innenministerium auf den „tragischen Irrtum“, wie die Juristen zu S21sich
ausdrückten, aufmerksam gemacht worden.)
Deshalb halte ich es für sehr
wichtig, dass wir uns in unserer Bewegung sowohl nach innen miteinander wie
auch, und das vor allem, nach außen
gegenüber der Öffentlichkeit endlich einmal gründlich mit dem Finanzierungsvertrag
auseinandersetzen. Seine Hauptaufgabe ist es, einen Projektabbruch unmöglich zu
machen und damit aus dem Schwabenprojekt die sprichwörtliche Eier legende
Wollmilchsau zu kreieren. Der Vertrag ist ein Erpressungsmechanismus, und verantwortlich für ihn ist letztlich
nicht die Deutsche Bahn AG, sondern die Regierung Merkel. Ihr fehlt etwas zum
angeben wie seinerzeit die inzwischen entschwebte Magnetschwebebahn.
Ehrbare Kaufleute
Es gibt meines Wissens vier maßgebliche vertragliche Vereinbarungen zu S21
(die man jedoch nicht unbedingt alle kennen muss. Deswegen habe ich sie auch
nur in einem eigenen Anhang etwas ausführlicher dargestellt.)
1.die „Rahmenvereinbarung“ vom 07.11.1995
zwischen Bahn und Projektpartnern wie Land, Stadt usw. und dem Bund,
2. das „Memorandum of Understanding“ (MoU) vom 19.07.2007
zwischen den gleichen Vertragspartnern, also auch dem Bund,
3. die „Realisierungsvereinbarung“ vom 02.04.2009
zwischen den gleichen Vertragspartnern, also auch dem Bund sowie
4. den Finanzierungsvertrag vom gleichen
Datum (02.04.2009) zwischen
Bahn und Projektpartnern, aber ohne
Bund.
Drei der vier Vereinbarungen
wurden auch von der Bundesregierung unterzeichnet, nur der Finanzierungsvertrag
nicht. Trotzdem behaupteten vor kurzem Bundesverkehrsminister Ramsauer (CSU)
und Mitglieder der CDU/CSU-Fraktion im Verkehrsausschuss des Bundestages, für
S21 sei nur die Bahn zuständig, nicht aber der Bund. So viel zum (offiziellen) Kenntnisstand
der letztlich für S21 maßgeblich Verantwortlichen von CDU und CSU beim Bund. Auch
hier stellt sich die Frage, wissen sie es wirklich nicht besser oder tun sie
nur so? Zuzutrauen ist ihnen beides. Die Bundesregierung möchte sich
offensichtlich aus ihrer Verantwortung stehlen.
Das zeigen auch zwei kurze Blicke
auf Aspekte der ersten drei Vereinbarungen. In der Rahmenvereinbarung vom 07.11.1995
hatte es in § 3 Abs. 1 noch geheißen: „Die
Gesamtkosten des Projekts sind mit 4, 893 Mrd. DM veranschlagt…(DeMark!,
nicht Euro!) Die Deutsche Bahn AG ist für die
Einhaltung dieser Gesamtkosten …verantwortlich.“ So ist es eigentlich auch unter ehrlichen
Kaufleuten üblich. Von dieser Verantwortung wollen Bahn und Bund jedoch
spätestens seit dem Memorandum of Understanding (MoU) vom 19.07.2007 nichts mehr wissen, denn dort
heißt es in Abschnitt III.: „Für die
Deutsche Bahn AG …und den Bund als Alleingesellschafter der Deutschen
Bahn AG ist es im Hinblick auf die Zukunft des Unternehmens von besonderem
Interesse, dass für die DB aus der Realisierung des Gesamtvorhabens keine unkalkulierbaren Risiken entstehen
und dass die Wirtschaftlichkeit dargestellt ist.“ Also keinerlei Kostenrisiko für die Bahn (und damit auch für
den Bund!) Aber hier wird immerhin der Bund noch als Interessierter erwähnt. Im
Finanzierungsvertrag (§ 2 (2) ist der Bund dann ganz verschwunden und
gewissermaßen zum „stillen Teilhaber“ geworden.
Und noch ein zweiter Blick über den Tellerrand des Finanzierungsvertrags hinaus
ist zweckmäßig.
In § 6 der
„Rahmenvereinbarung“ von 1995 hatte es noch geheißen: „Alle Beteiligten sind sich darüber einig, daß für das Gesamtprojekt
eine Finanzierungsvereinbarung nach
Abschluß des Planfeststellungsverfahrens zu treffen ist.“
Das wäre ein seriöses Verfahren
gewesen. Hätte man sich an diese kaufmännisch ehrliche Vereinbarung gehalten,
gäbe es den Finanzierungsvertrag noch heute nicht. Denn heute, fast vier Jahre nach Abschluss der
Finanzierungsvereinbarung am 02.04.2009 ist noch nicht einmal die Hälfte
der erforderlichen
Planfeststellungsverfahren in trockenen Tüchern. Ohne Planfeststellung ist aber
auch eine realistische „vertiefte“ Planung der Kosten nicht möglich. Deswegen ist
die Bahn auch nicht unwillig, sondern schlicht unfähig, die von Hermann und
Kretschmann immer wieder angeforderten Informationen über Kostenrisiken zu
liefern. Und das erklärt auch die Kette von „Kostenexplosionen“. (Wie jetzt vom TV-Magazin Monitor aufgedeckt wurde,
beruhten bahninterne Kostenschätzungen in Höhe von 4,9 Mrd. Euro im März 2009, die
auch dem Aufsichtsrat und dem Bund zur Zeit der Unterschriften unter den
Finanzierungsvertrag vorlagen, nicht
etwa auf „vertieften Planungen“, sondern auf „groben Schätzungen“, also Pi mal
Daumen! Mit dem Geschäftsgebaren eines „ehrbaren Kaufmanns“ (so Grube über sich
selbst) hat das jedenfalls nichts zu tun.)
Der Finanzierungsvertrag - Erpressung
und ihre Verschleierung
In seinem Kern ist der
Finanzierungsvertrag eine raffinierte Konstruktion der Regierung Merkel/Schäuble
zur Erpressung schwäbischer
öffentlicher Hände durch die Deutsche Bahn AG und zur Täuschung der Öffentlichkeit über diesen Erpressungsvorgang. Seine Konstruktion stützt sich auf vier
Säulen:
- das Herzstück des Vertrags, den Ausschluss jeden Kostenrisikos für die
DB AG und das heißt letzten
Endes für den Bund. In § 2 (2) heißt es dazu einleitend: „Für
die DB AG und die EIU ist es im Hinblick auf die Zukunft des Unternehmens
von besonderem Interesse, dass für die DB AG und die EIU aus der Realisierung des Gesamtprojektes
keine unkalkulierbaren Risiken
entstehen und dass die Wirtschaftlichkeit dargestellt ist.“ Also Kostenrisiken tragen ausschließlich
die Projektpartner (Land, Stadt usw.) und nicht etwa auch die Bahn. Für
die öffentlichen Hände gibt es keinerlei Risikoabsicherung. Und der Bund,
der hinter allem steckt, kommt nicht mehr vor.
- den Ausschluss
eines Rechts auf ordentliche
Kündigung (§ 15): „Eine
ordentliche Kündigung dieses Vertrages ist ausgeschlossen.“, der übrigens
im Widerspruch auch zu den Vorspiegelungen solcher Rechte durch die
Landesregierung bei der Volksabstimmung steht.
- den Ausschluss
eines Projektabbruchs („qualifizierter Abschluss“) bei
Finanzierungsproblemen. (§ 2,2 und § 8,4): In § 2, Abs. 2 des
Finanzierungsvertrags heißt es weiter: „Für den Fall, dass nach Abschluss der Entwurfsplanung, spätestens jedoch bis zum 31.12.2009,
eine Erhöhung der für das Projekt aufzuwendenden Gesamtkosten zu erwarten
ist, welche zusätzlich die unter nachfolgendem § 8 Abs. 3 vereinbarten Beiträge übersteigt,
werden die Vertragspartner Verhandlungen aufnehmen. Kann danach die Finanzierung nicht sichergestellt werden, wird das
Projekt qualifiziert abgeschlossen.“ Das heißt, für die neun
Monate ab Vertragsunterzeichnung (02.04.2009) bis zum Jahresende gab es bei Kostensteigerungen noch die
Möglichkeit, das Projekt zu stoppen und abzuwickeln, danach nicht mehr. In
§ 8 (4) heißt es zur Bestätigung: „Im
Falle weiterer Kostensteigerungen nehmen die EIU
(Eisenbahninfrastrukturunternehmen) und
das Land (Von der Stadt oder der Region ist hier gleich gar nicht die
Rede!) Gespräche auf
(„Sprechklausel“). § 2 Abs. 2
(Möglichkeit des „qualifizierten Abschlusses) findet insofern kein Beachtung.“
- die Sprechklausel. Dass ab 01.01.2010 Schluss mit
lustig war, wurde also in § 8 (4) noch einmal unmissverständlich
klargestellt: „§ 2 Abs. 2 (qualifizierter
Abschluss) findet in soweit keine
Beachtung.“ Stattdessen die Sprechklausel “Im Falle weiterer Kostensteigerungen nehmen die EIU
(Eisenbahninfrastrukturunternehmen) und das Land Gespräche auf.“ Ein
„qualifizierter Abschluss wird also ausgeschlossen. Es gibt seit dem Jahr
2010 nur noch die Sprechklausel.
Wir dürfen wohl getrost davon
ausgehen, dass diejenigen, die sich diesen Vertrag im Jahr 2009 als gentlemens
agreement augenzwinkernd vom Bund haben aufschwatzen lassen, also die Vertreter
von CDU, FDP und auch der SPD in Stadt und Land, nicht erpresst zu werden brauchten,
weil sie freiwillig auch 15 Milliarden (s. Hauk, CDU) oder auch eine Billion
Euro (s. Stadtrat Conz FDP) zu zahlen bereit waren. Als hätten sie unter Drogen
gestanden oder Tantiemen. Durch unsere
Aufklärungsarbeit, den durch die Wahlen von den Wahlbürgern herbeigeführten
Regierungswechsel und auch durch die trotz Sprechklausel auch ohne unser Zutun inzwischen
bekannt gewordenen Skandale hat sich das Blatt jedoch gewendet. Nun droht
sämtlichen Parteien im Landtag, auch den Grünen, dass der Betrugscharakter des
Vertrages, an dessen Entstehung oder Realisierung sie beteiligt sind, ruchbar
wird. Die neuesten Enthüllungen durch das ARD-Magazin Monitor, das aufdeckte,
bereits die Kostenangaben im Finanzierungsvertrag waren mit Wissen des Aufsichtsrates und der
Bundesregierung getürkt, bestätigen die Analyse des Vertrags: Es ging auch den
verantwortlichen Politikern um Täuschung und Betrug.
Oettinger und vermutlich Leute wie Hauk und Strobel , Schuster,
Gemeinderat und Regionalverband haben also mit Rückendeckung der Abgeordneten
und Stadtverordneten der hinter ihnen stehenden Parteien der Bahn eine Art
Blankoscheck ausgestellt. Dessen Einlösung kann durch einen Baustopp oder
die Drohung mit ihm dann jederzeit erpresst werden.
Die finanzielle Beteiligung von
Stadt, Region und Land an einer Aufgabe des Bundes begann einmal als Bestechung des Bundes durch Land und Stadt
mit dem Ziel, auf Kosten anderer Bundesländer, Regionen und Städte Investitionskapital
des Bundes ins Land und eine der ohnehin bereits wirtschaftlich stärksten
Regionen der Bundesrepublik zu locken. Das Projekt stand ursprünglich nicht
einmal auf dem Bedarfsplan des Bundesverkehrsministeriums. Es wurde
erst durch Geschenke von Stadt und Land
auf ihn gehievt. Solche Bestechung
verstößt aber gegen das sozialstaatliche, verfassungsrechtliche Verbot der
Mischfinanzierung. Das Projekt war also von Anfang an auf Korruption
gegründet.
Durch den Finanzierungsvertrag
wurde aus der ursprünglichen Bestechung des Bundes durch die Regierung Oettinger
sowie die Landtagsfraktionen von CDU, FDP und SPD wie Strobel, Hauk, Schmid,
Schmiedel usw. sowie die entsprechenden Gemeinderatsfraktionen und den OB die Erpressung der Bürger und insbesondere
der grünen Fraktionen in Landtag und Gemeinderat, die sich an den erpresserischen
Vertrag gebunden sehen. Mich würde insbesondere einmal interessieren, welche
Rolle dabei Herr Schmiedel gespielt hat, für den ja „Gottes Segen“ auf S21 und damit ja wohl auch auf dem
Finanzierungsvertrag ruht.
Schlussfolgerungen
1. Die Regierung will keine
Ausstiegsdebatte. Das heißt, sie will den Finanzierungsvertrag „erfüllen“, auch
wenn uns das nicht gefällt. Unter Erfüllung des Vertrags versteht die
Landesregierung (zumindest der grüne Teil) jedoch etwas anderes als die Befürworter. Sie
versteht darunter Kostenbegleichung bis maximal
zu der vertraglich vereinbarten Höhe, soweit die vertraglich vereinbarten
Leistungen der Bahn vorliegen. Das heißt
in der Konsequenz, die sogenannten „Ausstiegskosten“ würden für das Land nicht
über der vereinbarten Milliarde und für die Stadt nicht über der vereinbarten
halben Milliarde (worst case) liegen, ob gebaut wird oder nicht.
2. Diesen „Ausstiegskosten“ (für
Land und Stadt) würde jedoch keineswegs „nichts“ gegenüberstehen, wie Geißler
so demagogisch wie dümmlich droht, sondern ein funktionstüchtiger, flexibler
und in überschaubaren Etappen ausbaufähiger
Kopfbahnhof, der auf jeden Fall mehr wert ist als 1,5 Mrd. Sagen wir, er
ist 4 Mrd. Euro wert. Und einmal ganz zu schweigen von den gesparten 15
Milliarden.
3. Unser wichtigster Schutz vor
dem Finanzierungsvertrag ist zur Zeit der
Kostendeckel der Landesregierung. Er
wirkt wie ein Knüppel im Räderwerk des Erpressungsmechanismus. Dieser Schutz ist
jedoch politisch nicht gesichert, weil die SPD ihn immer noch gern los wäre.
Will sie noch? Was muss noch geschehen, auch von unserer Seite, dass sie nicht mehr will???
4. Vertragserfüllung bei Kostendeckel durch Land und Stadt macht den
Vertrag für die Bahn uninteressant und das Projekt
zu einer gewaltigen Fehlkalkulation. Sie kann gar nicht anders als
aussteigen, früher oder später. Da wird auch die Kraftmeierei in Berlin nichts
ändern. Schließlich erfüllt das Land den Vertrag, die Bahn kann ihn jedoch nicht
erfüllen, trotz aller Kraftmeierei.
5. Wir haben zwei Trumpfkarten
für unsere Propaganda, zum einen die manifeste Überforderung der Bahn bei
Planung und Kostenbegrenzung, zum anderen die Machenschaften, das Projekt trotzdem durchzudrücken.