Letzte
Generation: ‚Start up Direkter
Demokratie‘? Zweite
Erzählung
14.03.2023
Reinhart
Vowinckel
Sicherheit
ist die Voraussetzung von Freiheit und Freiheit ihr Zweck.
(1)
Zum Gedenken des Sitzblockierers für den Frieden vor Mutlangen
General Gert Bastian.
In
meiner „Ersten Erzählung“ zu
Sitzblockaden ging
es um das Verhältnis des Nötigungsgesetzes § 240 StGB zur
Verfassung und das
Verhältnis des Verfassungsgerichts zu beiden.
Das Nötigungsgesetz ist
also verfassungswidrig.
Auch
der Bundesgerichtshof hatte
bereits
im Jahr 1952 in seiner
Entscheidung zur Auslegung der Rechtswidrigkeitsformel in
§ 240 StGB festgestellt:
„Hier
fällt deshalb dem Richter die Aufgabe zu, an Stelle des Gesetzgebers
durch unmittelbare Wertung zu entscheiden, ob die tatbestandsmäßige
Nötigung im Einzelfalle rechtswidrig ist oder nicht.“
[GSSt 2/51 Rn 7].“
Außerdem
hatten noch vor der Mutlangen-Entscheidung 28 Professoren des
Strafrechts in einer Eingabe an das Bundesverfassungsgericht, in
dessen Erstem Senat nicht ein einziger Strafrechtler saß, Bedenken
gegenüber dem Nötigungsgesetz zum Ausdruck gebracht
[Mutlangen-Urteil Rn 72].
Aber das
hat alles nicht geholfen. Vier Senatsmitglieder, voran der
Senatsvorsitzende haben sich auf den Standpunkt gestellt, sowohl das
Nötigungsgesetz als auch seine Auslegung durch den Bundesgerichtshof
im Jahr 1969 seien mit dem Gesetzlichkeitsgebot kompatibel.
Die
vier ‚Mandatare’ der SPD allerdings waren offensichtlich doch bei
ihrer Meinung geblieben, dass das Gesetz nicht kompatibel sei mit dem
Gesetzlichkeitsgebot, denn in einer Entscheidung zur gleichen Sache
ein Jahr später, im
General-Bastian-Urteil zu
dessen Teilnahme
an einer Sitzblockade bei
Mutlangen, heißt
es: „Soweit
die gegensätzliche Beurteilung von Sitzdemonstrationen durch das
Bundesverfassungsgericht und durch die Strafgerichte Unklarheiten und
Unsicherheiten ausgelöst hat, beruhen diese letztlich auf der
vielfach kritisierten Fassung des § 240 StGB und können nur vom
Gesetzgeber beseitigt werden.“ [BVerfGE
76/211 Rn
17] Auch bei dieser Entscheidung war der Senat
wieder hälftig gespalten. Offensichtlich hatten Partei-
und Machtpolitik über die Gebote der Gesetzlichkeit, der
Rechtsfindung und der Neutralität gesiegt, und eines der Opfer der
Verwirrung war Gert Bastian.
Damit
war auch das Gesetzlichkeitsgebot, dessen Wahrung und Bewahrung
eigentlich die Königsdisziplin des Verfassungsgerichts ist,
sozusagen vom
Thron gestoßen, um nicht zu sagen ruiniert worden. Zum zweiten Mal
in deutscher Rechtsgeschichte, denn es war im Jahr 1935 schon einmal
aufgehoben worden. Die Nationalsozialisten hatten statt des
Gesetzgebers das „gesunde
Volksempfinden“ auf
den Thron gehoben. Davon scheinen jedoch alle acht Senatsmitglieder
nichts gewusst zu haben, wohl
weil
diese Herkunft des Nötigungsgesetzes schon seit 1952 zum
Tabu geworden war.
Da hatte der Große Strafsenat drolliger Weise, aber mit Erfolg
behauptet, das Vorbild für § 240 StGB im Jahr 1943 sei das
Schweizer Nötigungsgesetz gewesen. [s. o.]
Diese peinliche Geschichte dürfte es überaus schwer werden lassen,
das heutige Nötigungsgesetz endlich seiner rechtsstaatsgemäßen
Bestimmung zuzuführen, nämlich seiner ‚Beerdigung‘, und das
Gesetzlichkeitsgebot ‚wiederzubeleben‘. Zu viel Prestige hängt
am Tabu, das verloren gehen könnte.
Aber
unsere Minister der Justiz und des Inneren stehen vor einem
historischen Dilemma, wenn sie ihre Staatsanwälte und Richter mit
Hilfe des Nötigungsgesetzes gegen vermeintliche „Straftäter“
der Letzten Generation durchgreifen lassen wollen, ein Dilemma, für
das sie nicht verantwortlich sind: Auf das Nötigungsgesetz können
sie sich vor den Aktivisten schlechterdings nicht mehr berufen, wenn
sie nicht weiterhin und nun bewusst verfassungswidrig handeln wollen.
Aus dem Dilemma finden wir nur alle gemeinsam und kooperativ heraus.
Da ist nun ein tiefes und gründliches Nachdenken über die
Weiterentwicklung unseres Rechtsstaats seitens der Zivilgesellschaft
und schließlich des Bundesgesetzgebers erforderlich. Endgültig
Abhilfe schaffen muss schließlich er.
(2)
‚Gesundes Volksempfinden‘ und ‚unterlassene
Hilfeleistung‘
Nun
zu dem Bild, das Politiker in ihrem Verhältnis zur Letzten
Generation bieten. Der nordrhein-westfälische Innenminister
Herbert Reul, bis zu seiner
Karriere als Berufspolitiker für die CDU Gymnasiallehrer, grübelt
laut rnd im Januar 2023 über das als unverständlich und äußerst
bedrohlich empfundene Phänomen Letzte Generation: „Irgendwas
machen wir in den Schulen falsch.“ Ein
nachdenklicher Satz. Als
ich ihn zum ersten Mal lese,
gefällt mir zweierlei
an
ihm: Herbert
Reul denkt
über sich und
über die Seinen nach.
Wer tut das schon als
Politiker, und
das öffentlich?
Es scheint, er sucht nach Fehlern auf seiner Seite. Auch
ich bin überzeugt, dass wir an den Schulen und schon im Kindergarten
bisher noch einiges falsch machen, was uns jetzt auf die Füße
fällt.
Aber
schon sein
nächste
Halbsatz geht dann
doch genau
in die andere Richtung: „Die
haben das noch nicht verstanden, wie das mit dem Rechtsstaat
funktioniert.“
Nicht
Wir, sondern Die! Die verstehen den Rechtsstaat nicht, und deswegen
packen sie alles
falsch an.
Aber
ist er
nicht selbst
durch
die selben
Schulen
gegangen, und er macht es trotzdem richtig? Könnten
nicht auch er und
die Seinen da
etwas falsch machen?
Vielleicht am Ende sogar genau das, was sie
den Vertretern
der Generation ihrer Kinder vorwerfen, die durch ihre Schulen
gegangen sind, wenn
er fortfährt; „Wenn
Menschen ihre eigene Meinung verabsolutieren und damit zu allen
Möglichkeiten greifen, dann ist das Klima auf der Straße das Erste
– und das Schießen nachher das Letzte.“
Geradezu
literarisch.
Die Kinder seiner Generation haben also in Schulen wie der seinen
gelernt, ihre Meinung zu verabsolutieren und zu deren Durchsetzung
„zu
allen Möglichkeiten“ zu
greifen,
also auch zu Methoden wie
Mord
und Terror wie
bei
der RAF?
Dagegen
hilft dann nur noch „die
volle Härte des Gesetzes“
wie
Bundesjustizminister
Marco Buschmann verkündet.
Wenn
er
doch
offensichtlich auch
nicht
weiß, wie das mit den
Grundrechten
wie
zum Beispiel dem Versammlungsrecht funktioniert,
weiß
Reul
dann
selbst,
„wie
das mit dem Rechtsstaat funktioniert“?
Wer
ist es, der da seine Meinung
verabsolutiert,
oder seine
Ängste?
Wie sagte
doch noch
laut Bibel
Jesus in seiner Bergpredigt:
„Wie
kannst du zu deinem Bruder sagen: Lass mich den Splitter aus deinem
Auge herausziehen! - und siehe, in deinem Auge steckt ein Balken!“
In der Psychoanalyse bezeichnet man einen
solchen Vorstellungsfehler
als „Projektion“, eine
‚Selbstbeglaubigung‘, nicht
ganz unähnlich
der Putins, der behauptet, er sei angegriffen worden.
Werfen
wir
also,
bevor
wir zu
den Prinzipien des Versammlungsrechts
kommen,
zunächst
einen
‚pointillistischen‘
Panorama-Blick
auf Reus’
Milieu
und
dessen
Projektionen:
Winfried
Kretschmann
(Grüne),
der
baden-württembergische Ministerpräsident, hält
die
Aktionen mit
den
Forderungen
nach einem Tempo 100 auf Autobahnen oder
für
ein 9-Euro-Ticket
für
„grotesk“,
also
lächerlich:
„Wir
sind ja auch mal auf die Straße gegangen, und zwar gegen Atomkraft
und Atomwaffen und nicht wegen untergeordneter politischer Fragen mit
begrenztem Effekt aufs Klima.“ Seine
Weihnachtsbotschaft: das Selbstverständnis der Letzten
Generation sei „natürlich
anmaßend“.
Kein
Wort zu den
Grundrechten
der Meinungs-, der Überzeugungs- und vor allem der
Versammlungsfreiheit.
Als
ich das zum
ersten Mal lese,
kommt
mir
eine
Erinnerung
an die Zeit, an die auch
Kretschmann
sich, auf seine Weise, erinnert: Ich gehe in
den 1980er Jahren auch
zu den Demonstrationen gegen die Nachrüstung mit Atomraketen wie
Gert Bastian.
Da fragt mich eines Tages eine Abiturientin: „Ja kann ich dann
überhaupt noch Kinder haben, wenn uns ein Atomkrieg droht?“ Ich
brauche vielleicht eine Sekunde, um zu antworten: „Aber ja! Ein
Atomkrieg ist nicht unmöglich, aber unwahrscheinlich.“ Ich
frage
mich seit
dem:
Wie
viel Zeit würde ich heute
wohl
brauchen,
um eine Antwort zu finden? Unwahrscheinlich?
Ähnlich
herablassend
väterlich‘
Bundeskanzler
Olaf
Scholz
(SPD):
„Ich glaube, die
Leute, die da im Stau stehen, verstehen nicht plötzlich die
Ernsthaftigkeit des Anliegens,
sondern ärgern
sich nur von vorne bis hinten. Und deshalb glaube ich, das ist kein
guter Einfall.“
Als
wenn die Aktivisten kein ‚Frustverständnis‘ für
von ihnen behinderte Autofahrer hätten.
‚Staufrust‘
gegen ‚Klimakatastrophensorge‘.
Kein
Wort zur Verteidigung des Versammlungsrechts.
Einer
seiner beiden Stellvertreter,
Bundeswirtschaftsminister
Robert
Habeck (Grüne)
steigt
gegen die ‚Quertreiber‘,
die unbequeme
‚Konkurrenz‘
‚in
die Bütt‘:
„Wer mit seinem
Protest Gesundheit und Leben von anderen riskiert,
büßt damit jede Legitimität ein und
schadet auch der Klimabewegung selbst.“ Soll
wohl heißen: „Besetzt!
Besetzt!
Wir
sind die Klima-Ritter!“
Kein
Gedanke an das Recht auf Unschuldsvermutung. Kein
Wort zur
Rechtslage,
nach
der Verkehrsregelung
und Verkehrssicherung Sache der Polizei und nicht der Demonstranten
sind.
Auch
von ihm kein
Wort vom Versammlungsrecht.
Marion
Gentges (CDU),
Justizministerin
im Kabinett Kretschmann, hält
es mit ihrem Chef und
geht schon einmal einen Schritt weiter:
„Die
Klimaaktivisten nehmen eine überlegene Moral für sich in Anspruch
und kommen doch über plumpe Straftaten nicht hinaus. Damit
erweisen sie nicht nur dem Klimaschutz einen wirklichen Bärendienst
,
sondern beschädigen auch unsere Demokratie.“
Wer
sich ihrer
Moral nicht
unterwirft, stellt sich damit über sie? Das kann natürlich nicht
hingenommen
werden!
Aber
ist
es nicht gerade umgekehrt? Fühlt
nicht vielmehr sie sich nicht nur politisch,
sondern auch moralisch überlegen? Weiter
heißt
es:
„Verkehrsblockaden
von Klimaaktivisten sind grundsätzlich geeignet, im beschleunigten
Verfahren behandelt zu werden.“
Sie
will, wie
anscheinend die meisten ihrer Kollegen, den
„kurzen Prozess“. So weist sie auch schon mal ‚ihre‘ Richter
auf ihre Erwartungen und deren ‚Pflicht‘ hin. Wer
verabsolutiert da seine Auffassungen
und
kennt als
Justizministerin
nicht
einmal das rechtsstaatliche Prinzip
der Unschuldsvermutung? Da
könnte
sie
sich sogar
bei
Alice Weidel noch
eine
Scheibe abschneiden (s.u).
Ihr
Parteigenosse
und
Kabinettskollege,
der
baden-württembergische Innenminister
Thomas
Strobel
steht
da auch
nicht
zurück. Für
ihn ist die
„Motivation der meist jungen Straftäter … irrelevant“.
Möglicherweise gehe es „dem einen oder dem anderen
gar nicht um den Klimaschutz, sondern darum, Straftaten
zu begehen.“ Straftaten als Spaß und Selbstzweck!
Darauf muss man erst mal kommen.
Bundesinnenministerin
Nancy
Faeser
(SPD)
setzt
auf
eine über Bayern hinausgehende und Deutschland
vereinende gesetzliche
Erlaubnis zum
„Präventivgewahrsam“
für Wiederholungstäter, eine Wortschöpfung mit Chancen auf die
Anerkennung als „Unwort des Jahres“.
Man
könnte da
auch - verständlicher - von Freiheitsberaubung sprechen.
Ähnlich
wie Herbert Reul hält
auch FDP
Parteichef
Christian
Lindner die
Gruppe
Letzte
Generation für
„brandgefährlich“,
denn
sie verfolge
ein „autoritäres
Gesellschaftsmodell“.
Sie
sehe sich als eine „Gruppe
von Eingeweihten“
, die
einer Mehrheit sagen wolle, was gut und richtig ist.
Sogar
AfD-Fraktions-
und Parteichefin Alice Weidel reagiert
da
zurückhaltender:
„Auch
wenn man mit persönlichen Schuldzuweisungen vorsichtig sein muss, so
ist es nun endgültig an der Zeit, dass sich die ,grünen
Straßenkämpfer‘ hinterfragen.“, während
AfD-Co-Fraktionschef
Ulrich Siegmund in
den Aktivisten, ähnlich wie Marion Gentges und Thomas Strobel,
schlicht „Extremisten
und Verbrecher“
sieht.
Der
CSU-Landesgruppenchef
im Bundestag Alexander Dobrindt überbietet
alle. Er erklärt
in
Bild
am Sonntag: „Klima-Protest
darf kein Freibrief für Straftaten sein … Es braucht deutlich
härtere Strafen für Klima-Chaoten, um einer weiteren
Radikalisierung in Teilen dieser Klimabewegung entgegenzuwirken und
Nachahmer abzuschrecken … Die Entstehung einer Klima-RAF muss
verhindert werden."
Sein
Parteichef
Markus
Söder
pflichtet ihm bei.
Allein
Die Linke bleibt
außerhalb der hier skizzierten ‚Großen Koalition‘ der
(partei)politischen Gegner der Gruppe.
„Ich
finde auch nicht jede Aktion gut, aber ich muss doch anerkennen, dass
die Aktionsformen bisher immer gewaltfrei waren.“
sagt
ihr
Parteivorsitzender
Martin Schirdewan
geradezu
flehentlich, verteidigt so
jedoch
als einziger der Zitierten wenigstens
im
Ansatz das Versammlungsrecht.
(3)
Rufer
in der Wüste
Ein
Senior der FDP, der Altliberale
Gerhart Baum, zur Zeit der RAF zeitweilig Bundesinnenminister und
deswegen Kenner der historischen
Materie,
bezeichnet Dobrindts RAF-Menetekel
als
„dummes
Zeug“,
und
Thomas
Haldenwang, Präsident des
Bundesverfassungsschutzes,
bezeichnet es
ähnlich
als
„Nonsens“.
Sein Argument:„Anders
kann man eigentlich gar nicht ausdrücken, wie sehr man dieses System
respektiert, wenn man eben die Funktionsträger zum Handeln
auffordert. Ich
erkenne jedenfalls gegenwärtig nicht, dass sich diese Gruppierung
gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung richtet, und
insofern ist das kein Beobachtungsobjekt für den Verfassungsschutz.“
Herbert
Reul und Christian Lindtner sehen es jedoch ähnlich wie Dobrindt und
Söder. Was
Dobrindt sagt, ist
zwar ‚Stammtisch beim fünften Bier‘, andererseits aber auch die
‚Bugwelle des
Shitstorms‘,
die im vergangenen Herbst nicht
nur über die Letzte Generation, sondern über die ganze Republik
hereingebrochen
ist und in der zu viele unserer Politiker einfach
mitgeschwommen
sind.
Der
Sozialphilosoph Robin Celikates warnt
in einem Aufsatz zur Klimaschutz-Bewegung:
„Die
aus politischem
Kalkül betriebene Delegitimierung und Kriminalisierung von Protest
ist eine viel größere Gefahr für die Demokratie als die
Straßenblockaden der Letzten Generation oder die Proteste in
Lützerath.“
[Blätter für
deutsche und internationale Politik 2/23, S. 104]
Damit
kommt er auf den Punkt. Hinter der von konservativer Seite
betriebenen Kampagne steckt mehr als bloße Aufregung oder gar
Dummheit. Angesichts
der
aktuellen
Hetzkampagne
stellt
sich vielmehr
die
Frage: Wie
ist es möglich, dass
sich
in
ihr niemand
an
das
Gesetz
gegen Volksverhetzung erinnert?
In §
130 StGB
heißt
es – verkürzt
und
konzentriert zitiert:
„Wer
in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu
stören, 1.
... gegen Teile der Bevölkerung oder gegen einen Einzelnen wegen
dessen Zugehörigkeit zu … einem Teil der Bevölkerung zum Hass
aufstachelt, zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen auffordert oder 2.
die Menschenwürde anderer dadurch angreift, dass er eine
vorbezeichnete Gruppe, Teile der Bevölkerung oder einen Einzelnen
wegen dessen Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu
einem Teil der Bevölkerung beschimpft, böswillig verächtlich macht
oder verleumdet, wird …bestraft“. Was
fehlt noch zur Erfüllung des Straftatbestandes der Volksverhetzung?
Wir
dürfen
nicht kapitulieren
vor
denen, die,
wenn
es ihnen drauf ankommt, auch
mit
Desinformationen das Volk gegen seine eigenen Rechte aufbringen,
die
sie
für
übertrieben halten.
(4)
Was
in unseren Schulen auch nicht ‚dran‘ ist.
Die
Brokdorf-Botschaft
des
Verfassungsgerichts zum
Versammlungsrecht
in
Zitaten
(1)„Als
Abwehrrecht ... gewährleistet Art. 8 GG den Grundrechtsträgern das
Selbstbestimmungsrecht über Ort, Zeitpunkt, Art. und Inhalt der
Veranstaltung und untersagt zugleich staatlichen
Zwang, an einer öffentlichen Versammlung teilzunehmen oder ihr
fernzubleiben. Schon
in diesem Sinne gebührt dem Grundrecht in einem freiheitlichen
Staatswesen ein besonderer Rang; das Recht, sich ungehindert und ohne
besondere Erlaubnis mit anderen zu versammeln, galt seit jeher als
Zeichen der Freiheit, Unabhängigkeit und Mündigkeit des
selbstbewussten Bürgers. In ihrer Geltung für politische
Veranstaltungen verkörpert die Freiheitsgarantie aber zugleich eine
Grundentscheidung, die in ihrer Bedeutung über den Schutz gegen
staatliche Eingriffe in die ungehinderte Persönlichkeitsentfaltung
hinausreicht. “(BVerfGE
69/315 Rn
62)
(2)„Indem
der Demonstrant seine Meinung in physischer Präsenz, in voller
Öffentlichkeit und ohne Zwischenschaltung von Medien kundgibt,
entfaltet auch er seine Persönlichkeit in unmittelbarer Weise. In
ihrer idealtypischen Ausformung sind Demonstrationen die gemeinsame
körperliche Sichtbarmachung von Überzeugungen, wobei die Teilnehmer
einerseits beträchtliche Einflüsse in der Gemeinschaft mit anderen
eine Vergewisserung dieser Überzeugungen erfahren und andererseits
nach außen - schon durch die bloße Anwesenheit, die Art. des
Auftretens und des Umganges miteinander oder die Wahl des Ortes - im
eigentlichen Sinne des Wortes Stellung nehmen und ihren Standpunkt
bezeugen (Rn 64).“
(3)„Große
Verbände, finanzstarke Geldgeber oder Massenmedien können
beträchtliche Einflüsse
ausüben, während sich der Staatsbürger
eher als ohnmächtig erlebt. In einer Gesellschaft, in welcher der
direkte Zugang zu den Medien und die Chance, sich durch sie zu
äußern, auf wenige beschränkt ist, verbleibt dem Einzelnen neben
seiner organisierten Mitwirkung in Parteien und Verbänden im
allgemeinen nur eine kollektive Einflussnahme durch Inanspruchnahme
der Versammlungsfreiheit für Demonstrationen. Die ungehinderte
Ausübung des Freiheitsrechts wirkt nicht nur dem Bewusstsein
politischer Ohnmacht und gefährlichen Tendenzen zur
Staatsverdrossenheit entgegen. Sie liegt letztlich auch deshalb im
wohlverstandenen Gemeinwohlinteresse, weil sich im
Kräfteparallelogramm der politischen Willensbildung im allgemeinen
erst dann eine relativ richtige Resultante herausbilden kann, wenn
alle Vektoren einigermaßen kräftig entwickelt sind. (Rn
66)
(4)"«[Versammlungen]
bieten ... die Möglichkeit zur öffentlichen Einflußnahme auf den
politischen Prozeß, zur Entwicklung pluralistischer Initiativen und
Alternativen oder auch zu Kritik und Protest ...; sie enthalten ein
Stück ursprünglich-ungebändigter unmittelbarer Demokratie,
das
geeignet ist, den politischen Betrieb vor Erstarrung in geschäftiger
Routine zu bewahren».“
(Rn
67)
(5)„Bei
allen begrenzenden Regelungen hat der Gesetzgeber die erörterte, in
Art. 8 GG verkörperte verfassungsrechtliche Grundentscheidung zu
beachten; er darf die Ausübung der Versammlungsfreiheit nur zum
Schutz gleichgewichtiger anderer Rechtsgüter unter strikter Wahrung
des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit begrenzen.“
(Rn
70)
(6)
„Eine
Notwendigkeit zu freiheitsbeschränkenden Eingriffen kann sich im
Bereich der Versammlungsfreiheit daraus ergeben, daß der Demonstrant
bei deren Ausübung Rechtspositionen Dritter beeinträchtigt. Auch
bei solchen Eingriffen haben die staatlichen Organe die
grundrechtsbeschränkenden Gesetze stets im Lichte der grundlegenden
Bedeutung dieses Grundrechts im freiheitlichen demokratischen Staat
auszulegen und sich bei ihren Maßnahmen auf das zu beschränken, was
zum Schutz gleichwertiger Rechtsgüter notwendig ist.
(Rn
71)
(7)„Danach
umfaßt der Begriff der
«öffentlichen
Sicherheit»
den Schutz zentraler Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit,
Ehre, Eigentum und Vermögen des Einzelnen sowie die Unversehrtheit
der Rechtsordnung und der staatlichen Einrichtungen, wobei in der
Regel eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit angenommen wird,
wenn eine strafbare Verletzung dieser Schutzgüter droht (Rn
78)…
während eine bloße Gefährdung der öffentlichen Ordnung im
allgemeinen nicht genügen wird (Rn
79).“
(5)
Zusammenfassung der Grundsätze
1.
Das
Versammlungsrecht ist
im freiheitlichen demokratischen Staat ein Recht von besonderer,
grundlegender
Bedeutung. Als
Ausdruck der Volkssouveränität reicht
es über
den Schutz gegen staatliche Eingriffe in die ungehinderte
Persönlichkeitsentfaltung hinaus und
berechtigt auch
beziehungsweise fordert geradezu
auf zur aktiven kollektiven Teilnahme am politischen und damit
gesellschaftlichen Prozess und hilft so in einer Art von Ideenauslese
(trial an error, Versuch – Irrtum - Versuch), Fehlentwicklungen zu
vermeiden.
2.
Versammlungen
sind gelebte
Volkssouveränität
und
ein Element direkter Demokratie.
Das
verleiht
Demonstranten
gegenüber, die Verantwortung
für
das Allgemeininteresse
und
für
die Interessen
von
Minderheiten übernehmen,
ein Privileg gegenüber
Dritten
und
- eine eigene Würde.
3.
Das
Versammlungsrecht hat wie zum
Beispiel das Notwehrrecht nach
§ 32 StGB oder
das
Selbsthilferecht
nach
§ 229 BGB im Verhältnis zur Nötigung mittels einfacher punktueller
Gewalt die Funktion einer gestattenden
Gegennorm.
4.
Der
Staat darf ohne zwingenden Grund wie
den einer Gefährdung von
Rechtsgütern, die
dem Versammlungsrecht in ihrer Bedeutung gleichkommen, keinen
Zwang ausüben, einer Versammlung fernzubleiben wie
etwa in der Form des geplanten
sogenannten
„Unterbindungsgewahrsams“.
[s.
o. u. (1)]
5.
Dem
Versammlungsrecht gleichrangig sind nur
Gefährdungen
von Rechtsgütern wie Leben,
Gesundheit, Freiheit, Ehre, Eigentum und Vermögen des Einzelnen
sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen
Einrichtungen, zusammengefasst
in der Formel „Öffentliche
Sicherheit“, wobei
es auf die jeweils abzuwägende Verhältnismäßigkeit ankommt.
(6)Staatsbürgerkunde:
Sicherheit ist die Voraussetzung von Freiheit und Freiheit ihr
Zweck
Ein
konstruktiver Effekt der
Wahrnehmung des Versammlungsrechts ist die
Erziehung
zur Friedlichkeit: Argumente statt Gewalt. Demokratie geht friedlich,
Diktatur nur mit Gewalt. Selbst
wenn Demonstranten
den
Staat loswerden wollen,
weil
sie noch
gar
nicht
begriffen haben, dass unsere
Freiheit erst
durch die
von ihm
gewährleistete
Sicherheit entsteht,
so
ist es doch zunächst einmal gut, dass sie
das
auch
nach
außen zeigen,
vorausgesetzt,
sie drohen nicht mit Gewalt und werden auch selbst nicht gewalttätig.
Dann
können wir uns mit ihnen auseinandersetzen. So
schützen Versammlungen vorbeugend
als
‚Überdruckventil’ für
das Gefühl oder die Tatsache de ‚Nicht Gehört
Werdens‘
auch
das
Gewaltmonopol des Staates. Solange
jemand Macht ehrlich
mit
Argumenten, also mittels menschlicher Vernunft zu erlangen sucht und
gehört wird,
solange greift er auch nicht zu roher
Gewalt.
In
diesem Sinne sollten
die Staatsgewalten vor
jedem Eingriff in die Versammlungsfreiheit bedenken, was die Gefahr
einer Radikalisierung
mehr begünstigt: Verbot und Strafgewalt oder Freiheit.
Diese
Überlegung sollten
unsere
Politiker
auch
ihren
Wählern vermitteln,
die
sich
durch
kommunikativ motivierte Verkehrsblockaden nur
belästigt
fühlen, weil
sie die Bedeutung des Versammlungsrechts für die Sicherung ihrer
Freiheit auf Grund versäumter Schulbildung nicht kennen.
So
könnten sie die freiheitlich-demokratische
Grundordnung im
Sinne ihrer Zukunft wirklich verteidigen.
In
meiner nächsten Erzählung wird es auch um das Versammlungsrecht
gehen, jedoch nicht nur um die Freiheit, sondern vor allem um deren
Beschränkungen.
Zum einen durch
das
Friedlichkeitsgebot nach
Art. 8, 1 GG,
das Gewalttätigkeit oder Bedrohlichkeit durch Versammlungen und
„Umzüge“, vom Schutz durch das Versammlungsrecht ausschließt,
zum anderen um das Bundesversammlungsgesetz nach
Art. 8,2 GG, dessen
Bestimmung es ist, den
kooperativen Umgang
der Ordnungsbehörden und
sich Versammelnder
miteinander im
Sinne des Verhältnismäßigkeitsgebotes zu organisieren.